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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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Woche konnte demnach die Entscheidung unter Ihrem
heimischen Dache, Fräulein Hardine, gefallen sein.
Durfte ich hoffen, daß diese Entscheidung meinem er¬
warteten Pflegling einen Vater gegeben habe? Mußte
ich fürchten, daß sie ihm auch noch die Mutter ge¬
raubt? In der lebhaftesten Spannung legte ich den
Weg zur Anstalt zurück.

"Kaum dort angekommen, berichtete meine alte,
Sie wissen, kurzsichtige Haushälterin, daß am Tage
nach meiner Abreise, bei kaum grauendem Morgen,
ein verhülltes, städtisch gekleidetes Frauenzimmer nach
mir gefragt, und als es meine Entfernung vernom¬
men, gebeten habe, ihr Anliegen schriftlich hinterlassen
zu dürfen. Ich fand das Blatt ohne Aufschrift, aber
versiegelt, auf meinem Schreibtische, und las die we¬
nigen Worte: "Sobald Sie zurückkehren, Hochwürden,
bitte, lassen Sie mich es wissen. Aber um Gottes¬
willen! kommen Sie nicht zu mir, auch nicht zu der
gnädigen Herrschaft, bevor Sie mich benachrichtigt
haben."

"Sie wünschte demnach eine Unterredung, ohne
Zweifel, um ihres Kindes Zukunft festzustellen, und
sie fürchtete eine absichtliche oder zufällige Enthüllung.
Ich wußte jetzt, wie die Entscheidung gefallen war."

Woche konnte demnach die Entſcheidung unter Ihrem
heimiſchen Dache, Fräulein Hardine, gefallen ſein.
Durfte ich hoffen, daß dieſe Entſcheidung meinem er¬
warteten Pflegling einen Vater gegeben habe? Mußte
ich fürchten, daß ſie ihm auch noch die Mutter ge¬
raubt? In der lebhafteſten Spannung legte ich den
Weg zur Anſtalt zurück.

„Kaum dort angekommen, berichtete meine alte,
Sie wiſſen, kurzſichtige Haushälterin, daß am Tage
nach meiner Abreiſe, bei kaum grauendem Morgen,
ein verhülltes, ſtädtiſch gekleidetes Frauenzimmer nach
mir gefragt, und als es meine Entfernung vernom¬
men, gebeten habe, ihr Anliegen ſchriftlich hinterlaſſen
zu dürfen. Ich fand das Blatt ohne Aufſchrift, aber
verſiegelt, auf meinem Schreibtiſche, und las die we¬
nigen Worte: „Sobald Sie zurückkehren, Hochwürden,
bitte, laſſen Sie mich es wiſſen. Aber um Gottes¬
willen! kommen Sie nicht zu mir, auch nicht zu der
gnädigen Herrſchaft, bevor Sie mich benachrichtigt
haben.“

„Sie wünſchte demnach eine Unterredung, ohne
Zweifel, um ihres Kindes Zukunft feſtzuſtellen, und
ſie fürchtete eine abſichtliche oder zufällige Enthüllung.
Ich wußte jetzt, wie die Entſcheidung gefallen war.“

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[77/0081] Woche konnte demnach die Entſcheidung unter Ihrem heimiſchen Dache, Fräulein Hardine, gefallen ſein. Durfte ich hoffen, daß dieſe Entſcheidung meinem er¬ warteten Pflegling einen Vater gegeben habe? Mußte ich fürchten, daß ſie ihm auch noch die Mutter ge¬ raubt? In der lebhafteſten Spannung legte ich den Weg zur Anſtalt zurück. „Kaum dort angekommen, berichtete meine alte, Sie wiſſen, kurzſichtige Haushälterin, daß am Tage nach meiner Abreiſe, bei kaum grauendem Morgen, ein verhülltes, ſtädtiſch gekleidetes Frauenzimmer nach mir gefragt, und als es meine Entfernung vernom¬ men, gebeten habe, ihr Anliegen ſchriftlich hinterlaſſen zu dürfen. Ich fand das Blatt ohne Aufſchrift, aber verſiegelt, auf meinem Schreibtiſche, und las die we¬ nigen Worte: „Sobald Sie zurückkehren, Hochwürden, bitte, laſſen Sie mich es wiſſen. Aber um Gottes¬ willen! kommen Sie nicht zu mir, auch nicht zu der gnädigen Herrſchaft, bevor Sie mich benachrichtigt haben.“ „Sie wünſchte demnach eine Unterredung, ohne Zweifel, um ihres Kindes Zukunft feſtzuſtellen, und ſie fürchtete eine abſichtliche oder zufällige Enthüllung. Ich wußte jetzt, wie die Entſcheidung gefallen war.“

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/81>, abgerufen am 23.04.2024.