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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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würde, hätte er dieses Liebeskind zur Führung an
seiner Hand gefühlt?

Wie früh und sicher er die Füßchen bewegen
lernte, wie ausgelassen er sich im Walde tummelte,
mit den Hasen Wettlauf hielt, hellen Klangs die Vo¬
gelstimmen nachahmte, lange ehe er unsere menschliche
Sprache zu reden verstand! Wie trotzig lachend er
sich das Eichhörnchen zum Muster nahm, bis zum
Wipfel der knorrigen Steineiche hinankletterte, während
die alte Muhme mit ohnmächtiger Angst am Fuße
drohend die Fäuste ballte! -- So wurde dem Kinde
der Natur die Natur eine frühe Bildnerin; frühe aber
auch drängte das Bedürfniß sich auf, es einer strengeren
Regel und dem Gesetze eines männlichen Willens zu
unterstellen. Als der Knabe im fünften Jahre stand,
erklärte die Muhme, den Wildling nicht über den
nächsten Winter hinaus bändigen zu können, noch
zu wollen.

Denn es gab nichts Curioseres, und für mich
nichts Aergerlicheres als der Zwiespalt der alten Seele
gegenüber ihrem Ziehekind. Sie hatte ein Wohlgefallen
an dem neckischen, kleinen Patron, ja ein Herz für
ihn; sobald sie ihn aber in meiner Nähe sah, überfiel
sie eine so unwirsche Laune, daß, hätten noch Bären

würde, hätte er dieſes Liebeskind zur Führung an
ſeiner Hand gefühlt?

Wie früh und ſicher er die Füßchen bewegen
lernte, wie ausgelaſſen er ſich im Walde tummelte,
mit den Haſen Wettlauf hielt, hellen Klangs die Vo¬
gelſtimmen nachahmte, lange ehe er unſere menſchliche
Sprache zu reden verſtand! Wie trotzig lachend er
ſich das Eichhörnchen zum Muſter nahm, bis zum
Wipfel der knorrigen Steineiche hinankletterte, während
die alte Muhme mit ohnmächtiger Angſt am Fuße
drohend die Fäuſte ballte! — So wurde dem Kinde
der Natur die Natur eine frühe Bildnerin; frühe aber
auch drängte das Bedürfniß ſich auf, es einer ſtrengeren
Regel und dem Geſetze eines männlichen Willens zu
unterſtellen. Als der Knabe im fünften Jahre ſtand,
erklärte die Muhme, den Wildling nicht über den
nächſten Winter hinaus bändigen zu können, noch
zu wollen.

Denn es gab nichts Curioſeres, und für mich
nichts Aergerlicheres als der Zwieſpalt der alten Seele
gegenüber ihrem Ziehekind. Sie hatte ein Wohlgefallen
an dem neckiſchen, kleinen Patron, ja ein Herz für
ihn; ſobald ſie ihn aber in meiner Nähe ſah, überfiel
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[54/0058] würde, hätte er dieſes Liebeskind zur Führung an ſeiner Hand gefühlt? Wie früh und ſicher er die Füßchen bewegen lernte, wie ausgelaſſen er ſich im Walde tummelte, mit den Haſen Wettlauf hielt, hellen Klangs die Vo¬ gelſtimmen nachahmte, lange ehe er unſere menſchliche Sprache zu reden verſtand! Wie trotzig lachend er ſich das Eichhörnchen zum Muſter nahm, bis zum Wipfel der knorrigen Steineiche hinankletterte, während die alte Muhme mit ohnmächtiger Angſt am Fuße drohend die Fäuſte ballte! — So wurde dem Kinde der Natur die Natur eine frühe Bildnerin; frühe aber auch drängte das Bedürfniß ſich auf, es einer ſtrengeren Regel und dem Geſetze eines männlichen Willens zu unterſtellen. Als der Knabe im fünften Jahre ſtand, erklärte die Muhme, den Wildling nicht über den nächſten Winter hinaus bändigen zu können, noch zu wollen. Denn es gab nichts Curioſeres, und für mich nichts Aergerlicheres als der Zwieſpalt der alten Seele gegenüber ihrem Ziehekind. Sie hatte ein Wohlgefallen an dem neckiſchen, kleinen Patron, ja ein Herz für ihn; ſobald ſie ihn aber in meiner Nähe ſah, überfiel ſie eine ſo unwirſche Laune, daß, hätten noch Bären

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/58>, abgerufen am 28.03.2024.