Stoff bearbeitet, wie jeder berufene Handwerker, -- oder sei es Künstler, -- den seinen; ich hatte meine Kräfte an einer und für eine Gesammtheit entfaltet, -- ich würde sie, und das dünkt mich das Kenn¬ zeichen der Liebe, -- ich würde sie um keines Einzel¬ nen willen beschränkt haben. Mein Puls schlug nicht höher noch matter bei dem Schicksale eines Einzigen von denen, die ich die Meinen nannte; ich trug die Neugeborenen zum Taufstein, geleitete die Bräute zum Altar, die Todten zur Gruft; aber ich empfand we¬ nig mehr dabei, als wenn ich meine Bäume pflanzen und fällen, oder meine Aecker befruchten sah für einen neuen Trieb. Indem ich eine Bauernschaft zu bil¬ den strebte, hatte sich in mir der ächte, rechte Bauern¬ sinn ausgebildet, der den Menschen als ein Produkt der Scholle nimmt; der Scholle, die ihn nährt, und die er wieder nährt.
Das Werkzeug klapperte und auch die Kirchen¬ glocken läuteten, wie sich gebührt: Sang und Klang aber schwiegen in der Reckenburger Flur. Wir tanz¬ ten nicht unter dem Maienbaum, wir jubelten nicht bei Hochzeit und Kindelbier. Kein Weihnachtslicht mahnte uns an die frohe Botschaft der Gotteserschei¬ nung in einem hülflosen Kinde. Bursche und Dirne
Stoff bearbeitet, wie jeder berufene Handwerker, — oder ſei es Künſtler, — den ſeinen; ich hatte meine Kräfte an einer und für eine Geſammtheit entfaltet, — ich würde ſie, und das dünkt mich das Kenn¬ zeichen der Liebe, — ich würde ſie um keines Einzel¬ nen willen beſchränkt haben. Mein Puls ſchlug nicht höher noch matter bei dem Schickſale eines Einzigen von denen, die ich die Meinen nannte; ich trug die Neugeborenen zum Taufſtein, geleitete die Bräute zum Altar, die Todten zur Gruft; aber ich empfand we¬ nig mehr dabei, als wenn ich meine Bäume pflanzen und fällen, oder meine Aecker befruchten ſah für einen neuen Trieb. Indem ich eine Bauernſchaft zu bil¬ den ſtrebte, hatte ſich in mir der ächte, rechte Bauern¬ ſinn ausgebildet, der den Menſchen als ein Produkt der Scholle nimmt; der Scholle, die ihn nährt, und die er wieder nährt.
Das Werkzeug klapperte und auch die Kirchen¬ glocken läuteten, wie ſich gebührt: Sang und Klang aber ſchwiegen in der Reckenburger Flur. Wir tanz¬ ten nicht unter dem Maienbaum, wir jubelten nicht bei Hochzeit und Kindelbier. Kein Weihnachtslicht mahnte uns an die frohe Botſchaft der Gotteserſchei¬ nung in einem hülfloſen Kinde. Burſche und Dirne
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0171"n="167"/>
Stoff bearbeitet, wie jeder berufene Handwerker, —<lb/>
oder ſei es Künſtler, — den ſeinen; ich hatte meine<lb/>
Kräfte an einer und für eine Geſammtheit entfaltet,<lb/>— ich würde ſie, und das dünkt mich das Kenn¬<lb/>
zeichen der Liebe, — ich würde ſie um keines Einzel¬<lb/>
nen willen beſchränkt haben. Mein Puls ſchlug nicht<lb/>
höher noch matter bei dem Schickſale eines Einzigen<lb/>
von denen, die ich die Meinen nannte; ich trug die<lb/>
Neugeborenen zum Taufſtein, geleitete die Bräute zum<lb/>
Altar, die Todten zur Gruft; aber ich empfand we¬<lb/>
nig mehr dabei, als wenn ich meine Bäume pflanzen<lb/>
und fällen, oder meine Aecker befruchten ſah für einen<lb/>
neuen Trieb. Indem ich eine Bauernſchaft zu bil¬<lb/>
den ſtrebte, hatte ſich in mir der ächte, rechte Bauern¬<lb/>ſinn ausgebildet, der den Menſchen als ein Produkt<lb/>
der Scholle nimmt; der Scholle, die ihn nährt, und<lb/>
die er wieder nährt.</p><lb/><p>Das Werkzeug klapperte und auch die Kirchen¬<lb/>
glocken läuteten, wie ſich gebührt: Sang und Klang<lb/>
aber ſchwiegen in der Reckenburger Flur. Wir tanz¬<lb/>
ten nicht unter dem Maienbaum, wir jubelten nicht<lb/>
bei Hochzeit und Kindelbier. Kein Weihnachtslicht<lb/>
mahnte uns an die frohe Botſchaft der Gotteserſchei¬<lb/>
nung in einem hülfloſen Kinde. Burſche und Dirne<lb/></p></div></body></text></TEI>
[167/0171]
Stoff bearbeitet, wie jeder berufene Handwerker, —
oder ſei es Künſtler, — den ſeinen; ich hatte meine
Kräfte an einer und für eine Geſammtheit entfaltet,
— ich würde ſie, und das dünkt mich das Kenn¬
zeichen der Liebe, — ich würde ſie um keines Einzel¬
nen willen beſchränkt haben. Mein Puls ſchlug nicht
höher noch matter bei dem Schickſale eines Einzigen
von denen, die ich die Meinen nannte; ich trug die
Neugeborenen zum Taufſtein, geleitete die Bräute zum
Altar, die Todten zur Gruft; aber ich empfand we¬
nig mehr dabei, als wenn ich meine Bäume pflanzen
und fällen, oder meine Aecker befruchten ſah für einen
neuen Trieb. Indem ich eine Bauernſchaft zu bil¬
den ſtrebte, hatte ſich in mir der ächte, rechte Bauern¬
ſinn ausgebildet, der den Menſchen als ein Produkt
der Scholle nimmt; der Scholle, die ihn nährt, und
die er wieder nährt.
Das Werkzeug klapperte und auch die Kirchen¬
glocken läuteten, wie ſich gebührt: Sang und Klang
aber ſchwiegen in der Reckenburger Flur. Wir tanz¬
ten nicht unter dem Maienbaum, wir jubelten nicht
bei Hochzeit und Kindelbier. Kein Weihnachtslicht
mahnte uns an die frohe Botſchaft der Gotteserſchei¬
nung in einem hülfloſen Kinde. Burſche und Dirne
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/171>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.