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François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871.

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freiten nicht nach Neigung und Lust, sondern nach
Vernunft und elterlichem Willen; der Bettler schlug
einen Bogen um Reckenburg, denn er sah keinen Bro¬
samen von des Reichen Tische fallen, und "arbeite
wie wir, so wirst Du Dich wohl befinden wie wir,
ein Jeder sorge für das Seine," schallte es ihm von
der ungastlichen Schwelle entgegen. In der That:
wir waren eine sehr ehrsame, aber eine sehr lieblose
Colonie!

Die unbestimmte Empfindung von etwas Feh¬
lendem
in meinem Werk und Leben dämmerte mir
zum erstenmale in jener Pause, wo ich mich des
Gelingens hätte freuen sollen. Ich spürte keine Ab¬
spannung, aber eine Art unruhiger Langeweile, und
es kamen Stunden, wo ich mir sagte, daß wenn ich
noch einmal zu leben anfangen sollte, ich nicht als
Arbeitsbiene wieder anfangen möchte. Ich hätte Zer¬
streuungen suchen können, Umgang, großstädtischen
Wechsel, hätte reisen können, künstlerische Liebhabe¬
reien pflegen und Gott weiß was sonst noch Alles
reiche Leute können. Aber ich kannte mich hinlänglich,
um zu wissen, daß das, was mir fehlte, nicht von
Außen in mich getragen, daß es aus dem Innern
herauswachsen müsse. Was es aber war, das in mir

freiten nicht nach Neigung und Luſt, ſondern nach
Vernunft und elterlichem Willen; der Bettler ſchlug
einen Bogen um Reckenburg, denn er ſah keinen Bro¬
ſamen von des Reichen Tiſche fallen, und „arbeite
wie wir, ſo wirſt Du Dich wohl befinden wie wir,
ein Jeder ſorge für das Seine,“ ſchallte es ihm von
der ungaſtlichen Schwelle entgegen. In der That:
wir waren eine ſehr ehrſame, aber eine ſehr liebloſe
Colonie!

Die unbeſtimmte Empfindung von etwas Feh¬
lendem
in meinem Werk und Leben dämmerte mir
zum erſtenmale in jener Pauſe, wo ich mich des
Gelingens hätte freuen ſollen. Ich ſpürte keine Ab¬
ſpannung, aber eine Art unruhiger Langeweile, und
es kamen Stunden, wo ich mir ſagte, daß wenn ich
noch einmal zu leben anfangen ſollte, ich nicht als
Arbeitsbiene wieder anfangen möchte. Ich hätte Zer¬
ſtreuungen ſuchen können, Umgang, großſtädtiſchen
Wechſel, hätte reiſen können, künſtleriſche Liebhabe¬
reien pflegen und Gott weiß was ſonſt noch Alles
reiche Leute können. Aber ich kannte mich hinlänglich,
um zu wiſſen, daß das, was mir fehlte, nicht von
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[168/0172] freiten nicht nach Neigung und Luſt, ſondern nach Vernunft und elterlichem Willen; der Bettler ſchlug einen Bogen um Reckenburg, denn er ſah keinen Bro¬ ſamen von des Reichen Tiſche fallen, und „arbeite wie wir, ſo wirſt Du Dich wohl befinden wie wir, ein Jeder ſorge für das Seine,“ ſchallte es ihm von der ungaſtlichen Schwelle entgegen. In der That: wir waren eine ſehr ehrſame, aber eine ſehr liebloſe Colonie! Die unbeſtimmte Empfindung von etwas Feh¬ lendem in meinem Werk und Leben dämmerte mir zum erſtenmale in jener Pauſe, wo ich mich des Gelingens hätte freuen ſollen. Ich ſpürte keine Ab¬ ſpannung, aber eine Art unruhiger Langeweile, und es kamen Stunden, wo ich mir ſagte, daß wenn ich noch einmal zu leben anfangen ſollte, ich nicht als Arbeitsbiene wieder anfangen möchte. Ich hätte Zer¬ ſtreuungen ſuchen können, Umgang, großſtädtiſchen Wechſel, hätte reiſen können, künſtleriſche Liebhabe¬ reien pflegen und Gott weiß was ſonſt noch Alles reiche Leute können. Aber ich kannte mich hinlänglich, um zu wiſſen, daß das, was mir fehlte, nicht von Außen in mich getragen, daß es aus dem Innern herauswachſen müſſe. Was es aber war, das in mir

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Zitationshilfe: François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/172>, abgerufen am 19.04.2024.