haben. Die Kranke hätte, nach des Arztes Ausspruch, ohne Gefahr nach Reckenburg übersiedelt werden dürfen; aber nicht einmal einer Antwort würdigte uns die Gräfin auf meine Anzeige des erlittenen Verlustes, auf des Probstes wiederholte Darstellung unserer Lage. Mit Recht hob dieser fürsorgliche Freund hervor, daß auch alle Aussichten für die Zukunft mir entschlüpfen würden, wenn ein Anderer den von mir verlassenen Verwaltungsposten einnehmen und sich geschickt auf demselben behaupten sollte, und wie viel bedeutender, wie viel mächtiger lockend als ich mir bis dahin ein¬ gestanden hatte, stellten diese Aussichten sich jetzt mir dar. Alles in Allem: ich sah keine Ausflucht aus meiner Bedrängniß und das Pförtchen, das sich mir endlich erschloß, das Pförtchen, welches heute von dem Immergrün der Treue bekränzt, leuchtender vor der Erinnerung steht als das Portal zu dem Goldthurme der Reckenburg: damals war es eng und drückend für den stolz gewöhnten Sinn.
Das Asyl, welches die reiche Verwandtin in ihrem leerstehenden Palaste verweigerte, die arme Dienerin eröffnete es in ihrer dürftigen Hütte. Muhme Justine erbot sich, ihre einstige Herrin aufzunehmen und zu verpflegen, während die Tochter in das Amt zurücktrat,
haben. Die Kranke hätte, nach des Arztes Ausſpruch, ohne Gefahr nach Reckenburg überſiedelt werden dürfen; aber nicht einmal einer Antwort würdigte uns die Gräfin auf meine Anzeige des erlittenen Verluſtes, auf des Probſtes wiederholte Darſtellung unſerer Lage. Mit Recht hob dieſer fürſorgliche Freund hervor, daß auch alle Ausſichten für die Zukunft mir entſchlüpfen würden, wenn ein Anderer den von mir verlaſſenen Verwaltungspoſten einnehmen und ſich geſchickt auf demſelben behaupten ſollte, und wie viel bedeutender, wie viel mächtiger lockend als ich mir bis dahin ein¬ geſtanden hatte, ſtellten dieſe Ausſichten ſich jetzt mir dar. Alles in Allem: ich ſah keine Ausflucht aus meiner Bedrängniß und das Pförtchen, das ſich mir endlich erſchloß, das Pförtchen, welches heute von dem Immergrün der Treue bekränzt, leuchtender vor der Erinnerung ſteht als das Portal zu dem Goldthurme der Reckenburg: damals war es eng und drückend für den ſtolz gewöhnten Sinn.
Das Aſyl, welches die reiche Verwandtin in ihrem leerſtehenden Palaſte verweigerte, die arme Dienerin eröffnete es in ihrer dürftigen Hütte. Muhme Juſtine erbot ſich, ihre einſtige Herrin aufzunehmen und zu verpflegen, während die Tochter in das Amt zurücktrat,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0154"n="150"/>
haben. Die Kranke hätte, nach des Arztes Ausſpruch,<lb/>
ohne Gefahr nach Reckenburg überſiedelt werden dürfen;<lb/>
aber nicht einmal einer Antwort würdigte uns die<lb/>
Gräfin auf meine Anzeige des erlittenen Verluſtes,<lb/>
auf des Probſtes wiederholte Darſtellung unſerer Lage.<lb/>
Mit Recht hob dieſer fürſorgliche Freund hervor, daß<lb/>
auch alle Ausſichten für die Zukunft mir entſchlüpfen<lb/>
würden, wenn ein Anderer den von mir verlaſſenen<lb/>
Verwaltungspoſten einnehmen und ſich geſchickt auf<lb/>
demſelben behaupten ſollte, und wie viel bedeutender,<lb/>
wie viel mächtiger lockend als ich mir bis dahin ein¬<lb/>
geſtanden hatte, ſtellten dieſe Ausſichten ſich jetzt mir<lb/>
dar. Alles in Allem: ich ſah keine Ausflucht aus<lb/>
meiner Bedrängniß und das Pförtchen, das ſich mir<lb/>
endlich erſchloß, das Pförtchen, welches heute von dem<lb/>
Immergrün der Treue bekränzt, leuchtender vor der<lb/>
Erinnerung ſteht als das Portal zu dem Goldthurme der<lb/>
Reckenburg: damals war es eng und drückend für den<lb/>ſtolz gewöhnten Sinn.</p><lb/><p>Das Aſyl, welches die reiche Verwandtin in ihrem<lb/>
leerſtehenden Palaſte verweigerte, die arme Dienerin<lb/>
eröffnete es in ihrer dürftigen Hütte. Muhme Juſtine<lb/>
erbot ſich, ihre einſtige Herrin aufzunehmen und zu<lb/>
verpflegen, während die Tochter in das Amt zurücktrat,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[150/0154]
haben. Die Kranke hätte, nach des Arztes Ausſpruch,
ohne Gefahr nach Reckenburg überſiedelt werden dürfen;
aber nicht einmal einer Antwort würdigte uns die
Gräfin auf meine Anzeige des erlittenen Verluſtes,
auf des Probſtes wiederholte Darſtellung unſerer Lage.
Mit Recht hob dieſer fürſorgliche Freund hervor, daß
auch alle Ausſichten für die Zukunft mir entſchlüpfen
würden, wenn ein Anderer den von mir verlaſſenen
Verwaltungspoſten einnehmen und ſich geſchickt auf
demſelben behaupten ſollte, und wie viel bedeutender,
wie viel mächtiger lockend als ich mir bis dahin ein¬
geſtanden hatte, ſtellten dieſe Ausſichten ſich jetzt mir
dar. Alles in Allem: ich ſah keine Ausflucht aus
meiner Bedrängniß und das Pförtchen, das ſich mir
endlich erſchloß, das Pförtchen, welches heute von dem
Immergrün der Treue bekränzt, leuchtender vor der
Erinnerung ſteht als das Portal zu dem Goldthurme der
Reckenburg: damals war es eng und drückend für den
ſtolz gewöhnten Sinn.
Das Aſyl, welches die reiche Verwandtin in ihrem
leerſtehenden Palaſte verweigerte, die arme Dienerin
eröffnete es in ihrer dürftigen Hütte. Muhme Juſtine
erbot ſich, ihre einſtige Herrin aufzunehmen und zu
verpflegen, während die Tochter in das Amt zurücktrat,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 2. Berlin, 1871, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin02_1871/154>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.