ich dürfte, nicht erfüllen zu können," versetzte der Gymnasiast. "Es existiren keine Register aus jener Zeit. Die Bücher sind mit abgebrannt, als anno 97, glaub' ich, der Blitz in die Sakristei geschlagen und auch die alte Kirche zum großen Theil zerstört hat. Die Sie hier oben sehen, ist neu errichtet durch Fräu¬ lein Hardinen, wie denn alles in unserem Reckenburg neu geworden ist durch sie: die Flur, das Dorf und selber das Menschengeschlecht. Das himmlische Feuer aber mußte vom Himmel fallen, sagt mein Vater, daß auch in den Registern keiner mehr an die alte, böse, zuchtlose Zeit erinnert werde. Aber wissen Sie was, guter Mann," fuhr er nach einigem Besinnen fort, "warten Sie, bis gegen Abend die Gäste das Schloß verlassen haben werden und fragen Sie dann nach bei Fräulein Hardinen selbst. Sie ist in den neun¬ ziger Jahren schon häufig als Gast bei der alten Gräfin gewesen, und sie, die nichts vergißt, erinnert sich gewiß noch jedes Kindes, das in dieser Zeit im Dorfe geboren worden ist, zumal wenn ihre alte Muhme dasselbe aufgezogen hat."
Nach diesen Worten sprang der Knabe munter voran, da er eben ein elegantes Viergespann in die Dorfstraße einbiegen sah. August Müller folgte ihm
ich dürfte, nicht erfüllen zu können,“ verſetzte der Gymnaſiaſt. „Es exiſtiren keine Regiſter aus jener Zeit. Die Bücher ſind mit abgebrannt, als anno 97, glaub' ich, der Blitz in die Sakriſtei geſchlagen und auch die alte Kirche zum großen Theil zerſtört hat. Die Sie hier oben ſehen, iſt neu errichtet durch Fräu¬ lein Hardinen, wie denn alles in unſerem Reckenburg neu geworden iſt durch ſie: die Flur, das Dorf und ſelber das Menſchengeſchlecht. Das himmliſche Feuer aber mußte vom Himmel fallen, ſagt mein Vater, daß auch in den Regiſtern keiner mehr an die alte, böſe, zuchtloſe Zeit erinnert werde. Aber wiſſen Sie was, guter Mann,“ fuhr er nach einigem Beſinnen fort, „warten Sie, bis gegen Abend die Gäſte das Schloß verlaſſen haben werden und fragen Sie dann nach bei Fräulein Hardinen ſelbſt. Sie iſt in den neun¬ ziger Jahren ſchon häufig als Gaſt bei der alten Gräfin geweſen, und ſie, die nichts vergißt, erinnert ſich gewiß noch jedes Kindes, das in dieſer Zeit im Dorfe geboren worden iſt, zumal wenn ihre alte Muhme daſſelbe aufgezogen hat.“
Nach dieſen Worten ſprang der Knabe munter voran, da er eben ein elegantes Viergeſpann in die Dorfſtraße einbiegen ſah. Auguſt Müller folgte ihm
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0070"n="63"/>
ich dürfte, nicht erfüllen zu können,“ verſetzte der<lb/>
Gymnaſiaſt. „Es exiſtiren keine Regiſter aus jener<lb/>
Zeit. Die Bücher ſind mit abgebrannt, als <hirendition="#aq">anno</hi> 97,<lb/>
glaub' ich, der Blitz in die Sakriſtei geſchlagen und<lb/>
auch die alte Kirche zum großen Theil zerſtört hat.<lb/>
Die Sie hier oben ſehen, iſt neu errichtet durch Fräu¬<lb/>
lein Hardinen, wie denn alles in unſerem Reckenburg<lb/>
neu geworden iſt durch ſie: die Flur, das Dorf und<lb/>ſelber das Menſchengeſchlecht. Das himmliſche Feuer<lb/>
aber mußte vom Himmel fallen, ſagt mein Vater, daß<lb/>
auch in den Regiſtern keiner mehr an die alte, böſe,<lb/>
zuchtloſe Zeit erinnert werde. Aber wiſſen Sie was,<lb/>
guter Mann,“ fuhr er nach einigem Beſinnen fort,<lb/>„warten Sie, bis gegen Abend die Gäſte das Schloß<lb/>
verlaſſen haben werden und fragen Sie dann nach<lb/>
bei Fräulein Hardinen ſelbſt. Sie iſt in den neun¬<lb/>
ziger Jahren ſchon häufig als Gaſt bei der alten<lb/>
Gräfin geweſen, und ſie, die nichts vergißt, erinnert<lb/>ſich gewiß noch jedes Kindes, das in dieſer Zeit im<lb/>
Dorfe geboren worden iſt, zumal wenn ihre alte<lb/>
Muhme daſſelbe aufgezogen hat.“</p><lb/><p>Nach dieſen Worten ſprang der Knabe munter<lb/>
voran, da er eben ein elegantes Viergeſpann in die<lb/>
Dorfſtraße einbiegen ſah. Auguſt Müller folgte ihm<lb/></p></div></body></text></TEI>
[63/0070]
ich dürfte, nicht erfüllen zu können,“ verſetzte der
Gymnaſiaſt. „Es exiſtiren keine Regiſter aus jener
Zeit. Die Bücher ſind mit abgebrannt, als anno 97,
glaub' ich, der Blitz in die Sakriſtei geſchlagen und
auch die alte Kirche zum großen Theil zerſtört hat.
Die Sie hier oben ſehen, iſt neu errichtet durch Fräu¬
lein Hardinen, wie denn alles in unſerem Reckenburg
neu geworden iſt durch ſie: die Flur, das Dorf und
ſelber das Menſchengeſchlecht. Das himmliſche Feuer
aber mußte vom Himmel fallen, ſagt mein Vater, daß
auch in den Regiſtern keiner mehr an die alte, böſe,
zuchtloſe Zeit erinnert werde. Aber wiſſen Sie was,
guter Mann,“ fuhr er nach einigem Beſinnen fort,
„warten Sie, bis gegen Abend die Gäſte das Schloß
verlaſſen haben werden und fragen Sie dann nach
bei Fräulein Hardinen ſelbſt. Sie iſt in den neun¬
ziger Jahren ſchon häufig als Gaſt bei der alten
Gräfin geweſen, und ſie, die nichts vergißt, erinnert
ſich gewiß noch jedes Kindes, das in dieſer Zeit im
Dorfe geboren worden iſt, zumal wenn ihre alte
Muhme daſſelbe aufgezogen hat.“
Nach dieſen Worten ſprang der Knabe munter
voran, da er eben ein elegantes Viergeſpann in die
Dorfſtraße einbiegen ſah. Auguſt Müller folgte ihm
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
François, Louise von: Die letzte Reckenburgerin. Bd. 1. Berlin, 1871, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francois_reckenburgerin01_1871/70>, abgerufen am 31.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.