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Francisci, Erasmus: Das eröffnete Lust-Haus Der Ober- und Nieder-Welt. Nürnberg, 1676.

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Der eilffte Discurs/ von der Himmels-Neigung/ und den
in 9. gleich-breite Climata/ so allezeit durch den zehenden Grad deß ersten
Mittagers gezogen.

Von allen Wirckungen solcher Himmels-Neigung fällt unserem
menschlichem Zustande keine scheinbarer und mercklicher/ als die Zu- und
Abnahme deß Tages/ welche der zwerch-schweiffende Sonnen-Zirckel
veranlasset.

Wie viel
Climata die
Alten ge-
zehlet.
Gleichwie nun die Gestirne beydes der menschlichen Geburt und Er-
haltung grosse Befordern[i]ß thun: also würcket die Himmels-Gegend/
vermittelst derselben/ in den Körpern unter dem Mond/ in belebten und
unbelebten Dingen/ fürnemlich in der Lufft/ in unserer menschlichen Na-
turen/ in Thieren/ Gewächsen/ und in dem Erdbodem selbsten/ merckli-
che Ungleichheiten. Die Länder/ so dem gleichnächtigem Strich unterthä-
nig/ beharren fast in einerley Stande/ und sind wenig Verändrungen
unterworffen. Sie geniessen einer reinen Lufft welche von einem lieblich-
sanfftem Ost-Winde/ die meiste Jahrs-Zeit/ durchstrichen/ und bey
ihrer Reinigkeit desto kräfftiger gefristet wird: gleichwie andren Ländern
hingegen die Hitze und Kälte/ das feuchte und trockne Wetter viel Be-
schwernissen/ sonderlich von Seuchen und Kranckheiten/ zufüget. Sobe-
richten uns auch die Jndianische Beschreibungen/ daß in selbigen Landen/
die Leute offt hundert und funfftzig Jahre/ bey guter vermöglicher Geruh-
lichkeit/ erreichen. Gleicher Massen/ soll das/ unweit davon ligende/ Egy-
pten mehr Menschen/ zu hohem Alter/ bringen/ denn sonst einiger Ort in
der Welt. Weil gegentheils unsere Gegenden kein solches Temperament
haben; sondern manche Veränderungen empfinden/ darauf vielerley Unge-
mach erfolgt: wird daraus geurtheilet/ daß die Menschen so viel mehr
ihrem Lebens-Alter abgezogen/ je weiter sie/ von dem Aufgang gen Mit-
ternacht gezogen.

Winterschild. Diß halte ich/ für einen blossen leeren Schein. Denn
in den mitternächtigen Ländern/ giebt es eben so wol viel starcke und gesunde
Menschen/ die gar spät zu Grabe kommen: weil ihre natürliche Wärme
und Feuchtigkeit/ durch die Kälte/ gefristet werden.

Daß in den
Nordlän-
dern/ die
Leute alt
werden.
Goldstern. Jch aber nicht: Jn Betrachtung/ daß/ in einigen
Nord-Ländern/ die Leute zwar älter werden/ denn bey uns; doch darum
so alt gleichwol nicht/ als in gedachten Ländern gegen Aufgang; zu dem
auch die Einwohner der kalten Nordländer durch harte Leibes-Ubungen/
Meidung zärtlicher Speisen/ und Uberflusses/ die Strengheit ihres Cli-
matis corrigiren. Wiewol solche Strengheit selbst ihnen gemeiniglich/
zur Gesundheit/ und weit-erstreckenden Alter/ mehr vor-als nachtheilig
ist. Jch stelle dar/ zu einem Muster/ die Lappen. Welche/ von einer so

harten

Der eilffte Discurs/ von der Himmels-Neigung/ und den
in 9. gleich-breite Climata/ ſo allezeit durch den zehenden Grad deß erſten
Mittagers gezogen.

Von allen Wirckungen ſolcher Himmels-Neigung faͤllt unſerem
menſchlichem Zuſtande keine ſcheinbarer und mercklicher/ als die Zu- und
Abnahme deß Tages/ welche der zwerch-ſchweiffende Sonnen-Zirckel
veranlaſſet.

Wie viel
Climata die
Alten ge-
zehlet.
Gleichwie nun die Geſtirne beydes der menſchlichen Geburt und Er-
haltung groſſe Befordern[i]ß thun: alſo wuͤrcket die Himmels-Gegend/
vermittelſt derſelben/ in den Koͤrpern unter dem Mond/ in belebten und
unbelebten Dingen/ fuͤrnemlich in der Lufft/ in unſerer menſchlichen Na-
turen/ in Thieren/ Gewaͤchſen/ und in dem Erdbodem ſelbſten/ merckli-
che Ungleichheiten. Die Laͤnder/ ſo dem gleichnaͤchtigem Strich unterthaͤ-
nig/ beharren faſt in einerley Stande/ und ſind wenig Veraͤndrungen
unterworffen. Sie genieſſen einer reinen Lufft welche von einem lieblich-
ſanfftem Oſt-Winde/ die meiſte Jahrs-Zeit/ durchſtrichen/ und bey
ihrer Reinigkeit deſto kraͤfftiger gefriſtet wird: gleichwie andren Laͤndern
hingegen die Hitze und Kaͤlte/ das feuchte und trockne Wetter viel Be-
ſchwerniſſen/ ſonderlich von Seuchen und Kranckheiten/ zufuͤget. Sobe-
richten uns auch die Jndianiſche Beſchreibungen/ daß in ſelbigen Landen/
die Leute offt hundert und funfftzig Jahre/ bey guter vermoͤglicher Geruh-
lichkeit/ erreichen. Gleicher Maſſen/ ſoll das/ unweit davon ligende/ Egy-
pten mehr Menſchen/ zu hohem Alter/ bringen/ denn ſonſt einiger Ort in
der Welt. Weil gegentheils unſere Gegenden kein ſolches Temperament
haben; ſondern manche Veraͤnderungen empfinden/ darauf vielerley Unge-
mach erfolgt: wird daraus geurtheilet/ daß die Menſchen ſo viel mehr
ihrem Lebens-Alter abgezogen/ je weiter ſie/ von dem Aufgang gen Mit-
ternacht gezogen.

Winterſchild. Diß halte ich/ fuͤr einen bloſſen leeren Schein. Denn
in den mitternaͤchtigen Laͤndern/ giebt es eben ſo wol viel ſtarcke und geſunde
Menſchen/ die gar ſpaͤt zu Grabe kommen: weil ihre natuͤrliche Waͤrme
und Feuchtigkeit/ durch die Kaͤlte/ gefriſtet werden.

Daß in den
Nordlaͤn-
dern/ die
Leute alt
werden.
Goldſtern. Jch aber nicht: Jn Betrachtung/ daß/ in einigen
Nord-Laͤndern/ die Leute zwar aͤlter werden/ denn bey uns; doch darum
ſo alt gleichwol nicht/ als in gedachten Laͤndern gegen Aufgang; zu dem
auch die Einwohner der kalten Nordlaͤnder durch harte Leibes-Ubungen/
Meidung zaͤrtlicher Speiſen/ und Uberfluſſes/ die Strengheit ihres Cli-
matis corrigiren. Wiewol ſolche Strengheit ſelbſt ihnen gemeiniglich/
zur Geſundheit/ und weit-erſtreckenden Alter/ mehr vor-als nachtheilig
iſt. Jch ſtelle dar/ zu einem Muſter/ die Lappen. Welche/ von einer ſo

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Zitationshilfe: Francisci, Erasmus: Das eröffnete Lust-Haus Der Ober- und Nieder-Welt. Nürnberg, 1676, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/francisci_lusthaus_1676/274>, abgerufen am 13.05.2024.