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Fouqué, Friedrich de la Motte: Undine, eine Erzählung. In: Die Jahreszeiten. Eine Vierteljahrsschrift für romantische Dichtungen, 1811, Frühlings-Heft, S. 1–189.

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und nickend am jenseitigen Ufer: aber eben diese
ungeheuern Bilder rissen ihn gewaltig nach sich
hin, weil er bedachte, daß Undine in Todesäng-
sten unter ihnen sei, und allein.

Schon hatte er einen starken Fichtenast er-
griffen, und stand, auf diesen gestützt, in den
wirbelnden Fluthen, gegen die er sich kaum auf-
recht zu halten vermochte; aber er schritt getro-
sten Muthes tiefer hinein. Da rief es neben
ihm mit anmuthiger Stimme: trau' nicht, trau'
nicht! Er ist tückisch, der Alte, der Strom! --
Er kannte diese lieblichen Laute, er stand wie
bethört unter den Schatten, die sich eben dun-
kel über den Mond gelegt hatten, und ihn
schwindelte vor dem Gerolle der Wogen, die er
pfeilschnell an seinen Schenkeln hinschießen sah.
Dennoch wollte er nicht ablassen. -- Bist Du
nicht wirklich da, gaukelst Du nur neblicht um
mich her, so mag auch ich nicht leben, und will
ein Schatten werden, wie Du, Du liebe, liebe
Undine! Dies rief er laut, und schritt wieder
tiefer in den Strom. -- Sieh' Dich doch um,

und nickend am jenſeitigen Ufer: aber eben dieſe
ungeheuern Bilder riſſen ihn gewaltig nach ſich
hin, weil er bedachte, daß Undine in Todesaͤng-
ſten unter ihnen ſei, und allein.

Schon hatte er einen ſtarken Fichtenaſt er-
griffen, und ſtand, auf dieſen geſtuͤtzt, in den
wirbelnden Fluthen, gegen die er ſich kaum auf-
recht zu halten vermochte; aber er ſchritt getro-
ſten Muthes tiefer hinein. Da rief es neben
ihm mit anmuthiger Stimme: trau’ nicht, trau’
nicht! Er iſt tuͤckiſch, der Alte, der Strom! —
Er kannte dieſe lieblichen Laute, er ſtand wie
bethoͤrt unter den Schatten, die ſich eben dun-
kel uͤber den Mond gelegt hatten, und ihn
ſchwindelte vor dem Gerolle der Wogen, die er
pfeilſchnell an ſeinen Schenkeln hinſchießen ſah.
Dennoch wollte er nicht ablaſſen. — Biſt Du
nicht wirklich da, gaukelſt Du nur neblicht um
mich her, ſo mag auch ich nicht leben, und will
ein Schatten werden, wie Du, Du liebe, liebe
Undine! Dies rief er laut, und ſchritt wieder
tiefer in den Strom. — Sieh’ Dich doch um,

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[30/0044] und nickend am jenſeitigen Ufer: aber eben dieſe ungeheuern Bilder riſſen ihn gewaltig nach ſich hin, weil er bedachte, daß Undine in Todesaͤng- ſten unter ihnen ſei, und allein. Schon hatte er einen ſtarken Fichtenaſt er- griffen, und ſtand, auf dieſen geſtuͤtzt, in den wirbelnden Fluthen, gegen die er ſich kaum auf- recht zu halten vermochte; aber er ſchritt getro- ſten Muthes tiefer hinein. Da rief es neben ihm mit anmuthiger Stimme: trau’ nicht, trau’ nicht! Er iſt tuͤckiſch, der Alte, der Strom! — Er kannte dieſe lieblichen Laute, er ſtand wie bethoͤrt unter den Schatten, die ſich eben dun- kel uͤber den Mond gelegt hatten, und ihn ſchwindelte vor dem Gerolle der Wogen, die er pfeilſchnell an ſeinen Schenkeln hinſchießen ſah. Dennoch wollte er nicht ablaſſen. — Biſt Du nicht wirklich da, gaukelſt Du nur neblicht um mich her, ſo mag auch ich nicht leben, und will ein Schatten werden, wie Du, Du liebe, liebe Undine! Dies rief er laut, und ſchritt wieder tiefer in den Strom. — Sieh’ Dich doch um,

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Zitationshilfe: Fouqué, Friedrich de la Motte: Undine, eine Erzählung. In: Die Jahreszeiten. Eine Vierteljahrsschrift für romantische Dichtungen, 1811, Frühlings-Heft, S. 1–189, hier S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_undine_1811/44>, abgerufen am 19.04.2024.