war eben so froh, seiner milden Herrin zu ge- horchen, als Bertalda's Trotz zu brechen, und so ungeberdig diese auch schelten und drohen mochte, lag dennoch in kurzer Zeit der Stein über der Oeffnung des Brunnens fest. Undine lehnte sich sinnend darüber hin, und schrieb mit den schönen Fingern auf der Fläche. Sie muß- te aber wohl etwas sehr Scharfes und Aetzen- des dabei in der Hand gehabt haben, denn als sie sich abwandte, und die Andern näher hinzu- traten, nahmen sie allerhand seltsame Zeichen auf dem Steine wahr, die Keiner vorher an demselben gesehn haben wollte.
Den heimkehrenden Ritter empfing am Abend Bertalda mit Thränen und Klagen über Undi- nens Verfahren. Er warf ernste Blicke auf diese, und die arme Frau sah betrübt vor sich nieder. Doch sagte sie mit großer Fassung: mein Herr und Ehgemahl schilt ja keinen Leib- eignen, bevor er ihn hört, wie minder dann sein angetrautes Weib. -- Sprich, was Dich zu jener seltsamen That bewog; sagte der Ritter
war eben ſo froh, ſeiner milden Herrin zu ge- horchen, als Bertalda’s Trotz zu brechen, und ſo ungeberdig dieſe auch ſchelten und drohen mochte, lag dennoch in kurzer Zeit der Stein uͤber der Oeffnung des Brunnens feſt. Undine lehnte ſich ſinnend daruͤber hin, und ſchrieb mit den ſchoͤnen Fingern auf der Flaͤche. Sie muß- te aber wohl etwas ſehr Scharfes und Aetzen- des dabei in der Hand gehabt haben, denn als ſie ſich abwandte, und die Andern naͤher hinzu- traten, nahmen ſie allerhand ſeltſame Zeichen auf dem Steine wahr, die Keiner vorher an demſelben geſehn haben wollte.
Den heimkehrenden Ritter empfing am Abend Bertalda mit Thraͤnen und Klagen uͤber Undi- nens Verfahren. Er warf ernſte Blicke auf dieſe, und die arme Frau ſah betruͤbt vor ſich nieder. Doch ſagte ſie mit großer Faſſung: mein Herr und Ehgemahl ſchilt ja keinen Leib- eignen, bevor er ihn hoͤrt, wie minder dann ſein angetrautes Weib. — Sprich, was Dich zu jener ſeltſamen That bewog; ſagte der Ritter
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war eben ſo froh, ſeiner milden Herrin zu ge-
horchen, als Bertalda’s Trotz zu brechen, und
ſo ungeberdig dieſe auch ſchelten und drohen
mochte, lag dennoch in kurzer Zeit der Stein
uͤber der Oeffnung des Brunnens feſt. Undine
lehnte ſich ſinnend daruͤber hin, und ſchrieb mit
den ſchoͤnen Fingern auf der Flaͤche. Sie muß-
te aber wohl etwas ſehr Scharfes und Aetzen-
des dabei in der Hand gehabt haben, denn als
ſie ſich abwandte, und die Andern naͤher hinzu-
traten, nahmen ſie allerhand ſeltſame Zeichen
auf dem Steine wahr, die Keiner vorher an
demſelben geſehn haben wollte.
Den heimkehrenden Ritter empfing am Abend
Bertalda mit Thraͤnen und Klagen uͤber Undi-
nens Verfahren. Er warf ernſte Blicke auf
dieſe, und die arme Frau ſah betruͤbt vor ſich
nieder. Doch ſagte ſie mit großer Faſſung:
mein Herr und Ehgemahl ſchilt ja keinen Leib-
eignen, bevor er ihn hoͤrt, wie minder dann
ſein angetrautes Weib. — Sprich, was Dich
zu jener ſeltſamen That bewog; ſagte der Ritter
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Fouqué, Friedrich de la Motte: Undine, eine Erzählung. In: Die Jahreszeiten. Eine Vierteljahrsschrift für romantische Dichtungen, 1811, Frühlings-Heft, S. 1–189, hier S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_undine_1811/144>, abgerufen am 23.07.2024.
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