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Fouqué, Caroline de La Motte-: Die Frauen in der großen Welt. Berlin, 1826.

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nur zu. Die gepriesene Natürlichkeit macht
die unausstehlichsten Tyrannen der Gesell-
schaft.

Also widernatürliches Anerzie-
hen täuschender Aeußerlichkeiten,

könnte hierauf eingewandt werden, darauf
käme es bei dem an, was man gesellige
Bildung nennt?

Es klingt so; aber es ist nicht so.

Freilich läßt es sich nicht läugnen, ohne
Erziehung gibt es keine Wohlgezogenheit.
Und eben so, ohne Zwang gibt es keine bes-
sere Natur. Das Gesetz muß in Ueberein-
stimmung bringen, was die Willkühr zer-
stückelt hat.

Wie aber, mag sich, von diesem Grund-
satze ausgehend, noch irgendwo Unbefangen-
heit, freie, innere Bestimmung, absichtsloses
Denken und Empfinden retten, wenn Alles
im Leben Gebot wird? und was schwatzt
man noch von Unbewußtheit, von natürli-
cher Hingebung, von jenem unwillkührlichen
Blitz jugendlicher Sympathie, da der Druck
des Gesetzes jedes Entfalten und Erblühen

nur zu. Die geprieſene Natuͤrlichkeit macht
die unausſtehlichſten Tyrannen der Geſell-
ſchaft.

Alſo widernatuͤrliches Anerzie-
hen taͤuſchender Aeußerlichkeiten,

koͤnnte hierauf eingewandt werden, darauf
kaͤme es bei dem an, was man geſellige
Bildung nennt?

Es klingt ſo; aber es iſt nicht ſo.

Freilich laͤßt es ſich nicht laͤugnen, ohne
Erziehung gibt es keine Wohlgezogenheit.
Und eben ſo, ohne Zwang gibt es keine beſ-
ſere Natur. Das Geſetz muß in Ueberein-
ſtimmung bringen, was die Willkuͤhr zer-
ſtuͤckelt hat.

Wie aber, mag ſich, von dieſem Grund-
ſatze ausgehend, noch irgendwo Unbefangen-
heit, freie, innere Beſtimmung, abſichtsloſes
Denken und Empfinden retten, wenn Alles
im Leben Gebot wird? und was ſchwatzt
man noch von Unbewußtheit, von natuͤrli-
cher Hingebung, von jenem unwillkuͤhrlichen
Blitz jugendlicher Sympathie, da der Druck
des Geſetzes jedes Entfalten und Erbluͤhen

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[27/0031] nur zu. Die geprieſene Natuͤrlichkeit macht die unausſtehlichſten Tyrannen der Geſell- ſchaft. Alſo widernatuͤrliches Anerzie- hen taͤuſchender Aeußerlichkeiten, koͤnnte hierauf eingewandt werden, darauf kaͤme es bei dem an, was man geſellige Bildung nennt? Es klingt ſo; aber es iſt nicht ſo. Freilich laͤßt es ſich nicht laͤugnen, ohne Erziehung gibt es keine Wohlgezogenheit. Und eben ſo, ohne Zwang gibt es keine beſ- ſere Natur. Das Geſetz muß in Ueberein- ſtimmung bringen, was die Willkuͤhr zer- ſtuͤckelt hat. Wie aber, mag ſich, von dieſem Grund- ſatze ausgehend, noch irgendwo Unbefangen- heit, freie, innere Beſtimmung, abſichtsloſes Denken und Empfinden retten, wenn Alles im Leben Gebot wird? und was ſchwatzt man noch von Unbewußtheit, von natuͤrli- cher Hingebung, von jenem unwillkuͤhrlichen Blitz jugendlicher Sympathie, da der Druck des Geſetzes jedes Entfalten und Erbluͤhen

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Zitationshilfe: Fouqué, Caroline de La Motte-: Die Frauen in der großen Welt. Berlin, 1826, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_frauen_1826/31>, abgerufen am 29.03.2024.