fertige Kritik, der dreiste Tadel, das rasche Wegwerfen von diesem und jenem, ehr auf Eigenthümlichkeit der Ansichten schließen zu lassen. Allein im höchsten Ueberdruß der Langenweile weiß man kaum noch, was um Einen vorgeht. Man singt das Lied mit, was Alle singen, ohne sich sonderlich um den Sinn der Worte zu bekümmern. Variirt der Moment die Melodie, so fügt sich die Stimme mechanisch dem Wechsel des Tones an, ohne daß dieser deutlich in's Ohr fällt. Auf solche Weise wiederholt sich Dasselbe in's Unendliche. Man wird es dann müde. Es verhallt. Es ist gewesen.
Daß wir uns mehr oder weniger in einem ähnlichen Zustande der Erschöpfung befinden, ließe sich allenfalls beweisen. Die kränkliche Apathie, in die wir uns hinein- empfunden und gedacht haben, macht Ge- fühle und Gedanken stumpf oder confus.
Manch Einer dankt Gott, wenn ihm der Dritte sagen kann, was er eigentlich denkt und fühlt. Deshalb wird es so leicht den Geschmack zu lenken.
fertige Kritik, der dreiſte Tadel, das raſche Wegwerfen von dieſem und jenem, ehr auf Eigenthuͤmlichkeit der Anſichten ſchließen zu laſſen. Allein im hoͤchſten Ueberdruß der Langenweile weiß man kaum noch, was um Einen vorgeht. Man ſingt das Lied mit, was Alle ſingen, ohne ſich ſonderlich um den Sinn der Worte zu bekuͤmmern. Variirt der Moment die Melodie, ſo fuͤgt ſich die Stimme mechaniſch dem Wechſel des Tones an, ohne daß dieſer deutlich in’s Ohr faͤllt. Auf ſolche Weiſe wiederholt ſich Daſſelbe in’s Unendliche. Man wird es dann muͤde. Es verhallt. Es iſt geweſen.
Daß wir uns mehr oder weniger in einem aͤhnlichen Zuſtande der Erſchoͤpfung befinden, ließe ſich allenfalls beweiſen. Die kraͤnkliche Apathie, in die wir uns hinein- empfunden und gedacht haben, macht Ge- fuͤhle und Gedanken ſtumpf oder confus.
Manch Einer dankt Gott, wenn ihm der Dritte ſagen kann, was er eigentlich denkt und fuͤhlt. Deshalb wird es ſo leicht den Geſchmack zu lenken.
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fertige Kritik, der dreiſte Tadel, das raſche
Wegwerfen von dieſem und jenem, ehr auf
Eigenthuͤmlichkeit der Anſichten ſchließen zu
laſſen. Allein im hoͤchſten Ueberdruß der
Langenweile weiß man kaum noch, was um
Einen vorgeht. Man ſingt das Lied mit,
was Alle ſingen, ohne ſich ſonderlich um
den Sinn der Worte zu bekuͤmmern. Variirt
der Moment die Melodie, ſo fuͤgt ſich die
Stimme mechaniſch dem Wechſel des Tones
an, ohne daß dieſer deutlich in’s Ohr faͤllt.
Auf ſolche Weiſe wiederholt ſich Daſſelbe
in’s Unendliche. Man wird es dann muͤde.
Es verhallt. Es iſt geweſen.
Daß wir uns mehr oder weniger in
einem aͤhnlichen Zuſtande der Erſchoͤpfung
befinden, ließe ſich allenfalls beweiſen. Die
kraͤnkliche Apathie, in die wir uns hinein-
empfunden und gedacht haben, macht Ge-
fuͤhle und Gedanken ſtumpf oder confus.
Manch Einer dankt Gott, wenn ihm
der Dritte ſagen kann, was er eigentlich
denkt und fuͤhlt. Deshalb wird es ſo leicht
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Fouqué, Caroline de La Motte-: Die Frauen in der großen Welt. Berlin, 1826, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fouque_frauen_1826/114>, abgerufen am 26.07.2024.
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