sie nicht kennen lehren. O-Mai hat mir gesagt, daß auf Tahiti mehr als1774. April. vierzehn unterschiedene Pflanzen zum parfümiren gebraucht würden; man kann sich daraus leicht vorstellen, wie viel die Tahitier auf Wohl-Gerüche und bal- samische Düfte halten müssen.
Seit dem Handel mit rothen Federn, hatte sich die Anzahl der ge- meinen Frauenspersonen am Bord ungemein vermehret, und heute waren sie, vorzüglich, in solcher Menge gekommen, daß manche, die keinen Gespann hat- ten finden können, sich auf dem obern Verdeck als überzählig herumtrieben. Nächst den rothen Federn mochte auch das Verlangen nach Schweinefleisch sie herbey locken. Denn da es die geringern Leute selten zu eßen bekommen; so pflegten sich diese Dirnen bey unsern Matrosen, die Ueberfluß daran hatten, gern zu Gaste zu bitten. Oft aber liessen sie sichs so gut schmecken, daß die Stärke ihrer Verdauungs-Kräfte dem Uebermaaß ihres Appetits nicht gleich kam, und dann mußten sie es durch unruhige Nächte büßen, welches auch ihre Gesell- schafter oft im Schlafe stöhrte. Bey gewissen dringenden Gelegenheiten verlangten sie von ihren Liebhabern begleitet zu werden; da aber diese nicht immer so galant wa- ren; so sah es am Morgen auf den Verdecken fast eben so, wie auf den Fußsteigen, am Lande aus. *) Des Abends sich pflegten diese Frauenspersonen in unterschiede ne Haufen zu theilen, und auf dem Vorder- Mittel- und Hinterdek zu tanzen. Ihre Lustigkeit gieng oft bis zur Ausschweifung und gemeiniglich waren sie sehr laut dabey. Mit unter fehlte es ihnen aber auch würklich nicht an drolligten und originalen Einfällen. Wir hatten z. E. einen s[c]orbutischen Patienten der bey unse- rer Ankunft allhier sehr schwach gewesen, aber durch den Genuß des frischen Kräu- terwerks gar bald wieder besser geworden war, und daher kein Bedenken fand, dem Beyspiele seiner Cameraden zu folgen. In dieser Absicht wandte er sich an eines von jenen Mädchen und brachte sie, beym Einbruch der Dunkelheit, nach seiner Schlaf- stelle, wo er ein Licht anzündete. Nun sahe sie ihrem Liebhaber ins Gesicht, und da sie gewahr ward, daß er nur ein Auge hatte; so faßte sie ihn stillschweigend bey der Hand, führte ihn wieder aufs Verdeck und zu einem Mädchen, dem ebenfalls ein Auge fehlts, mit dem Beyfügen, daß diese sich recht gut für ihn schicke, Sie aber mit keinem Blinden oder Einäugigen etwas zu thun haben wolle.
*) Siehe weiter zuvor, Seite 21.
in den Jahren 1772 bis 1775.
ſie nicht kennen lehren. O-Mai hat mir geſagt, daß auf Tahiti mehr als1774. April. vierzehn unterſchiedene Pflanzen zum parfuͤmiren gebraucht wuͤrden; man kann ſich daraus leicht vorſtellen, wie viel die Tahitier auf Wohl-Geruͤche und bal- ſamiſche Duͤfte halten muͤſſen.
Seit dem Handel mit rothen Federn, hatte ſich die Anzahl der ge- meinen Frauensperſonen am Bord ungemein vermehret, und heute waren ſie, vorzuͤglich, in ſolcher Menge gekommen, daß manche, die keinen Geſpann hat- ten finden koͤnnen, ſich auf dem obern Verdeck als uͤberzaͤhlig herumtrieben. Naͤchſt den rothen Federn mochte auch das Verlangen nach Schweinefleiſch ſie herbey locken. Denn da es die geringern Leute ſelten zu eßen bekommen; ſo pflegten ſich dieſe Dirnen bey unſern Matroſen, die Ueberfluß daran hatten, gern zu Gaſte zu bitten. Oft aber lieſſen ſie ſichs ſo gut ſchmecken, daß die Staͤrke ihrer Verdauungs-Kraͤfte dem Uebermaaß ihres Appetits nicht gleich kam, und dann mußten ſie es durch unruhige Naͤchte buͤßen, welches auch ihre Geſell- ſchafter oft im Schlafe ſtoͤhrte. Bey gewiſſen dringenden Gelegenheiten verlangten ſie von ihren Liebhabern begleitet zu werden; da aber dieſe nicht immer ſo galant wa- ren; ſo ſah es am Morgen auf den Verdecken faſt eben ſo, wie auf den Fußſteigen, am Lande aus. *) Des Abends ſich pflegten dieſe Frauensperſonen in unterſchiede ne Haufen zu theilen, und auf dem Vorder- Mittel- und Hinterdek zu tanzen. Ihre Luſtigkeit gieng oft bis zur Ausſchweifung und gemeiniglich waren ſie ſehr laut dabey. Mit unter fehlte es ihnen aber auch wuͤrklich nicht an drolligten und originalen Einfaͤllen. Wir hatten z. E. einen ſ[c]orbutiſchen Patienten der bey unſe- rer Ankunft allhier ſehr ſchwach geweſen, aber durch den Genuß des friſchen Kraͤu- terwerks gar bald wieder beſſer geworden war, und daher kein Bedenken fand, dem Beyſpiele ſeiner Cameraden zu folgen. In dieſer Abſicht wandte er ſich an eines von jenen Maͤdchen und brachte ſie, beym Einbruch der Dunkelheit, nach ſeiner Schlaf- ſtelle, wo er ein Licht anzuͤndete. Nun ſahe ſie ihrem Liebhaber ins Geſicht, und da ſie gewahr ward, daß er nur ein Auge hatte; ſo faßte ſie ihn ſtillſchweigend bey der Hand, fuͤhrte ihn wieder aufs Verdeck und zu einem Maͤdchen, dem ebenfalls ein Auge fehlts, mit dem Beyfuͤgen, daß dieſe ſich recht gut fuͤr ihn ſchicke, Sie aber mit keinem Blinden oder Einaͤugigen etwas zu thun haben wolle.
*) Siehe weiter zuvor, Seite 21.
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in den Jahren 1772 bis 1775.
ſie nicht kennen lehren. O-Mai hat mir geſagt, daß auf Tahiti mehr als
vierzehn unterſchiedene Pflanzen zum parfuͤmiren gebraucht wuͤrden; man kann
ſich daraus leicht vorſtellen, wie viel die Tahitier auf Wohl-Geruͤche und bal-
ſamiſche Duͤfte halten muͤſſen.
1774.
April.
Seit dem Handel mit rothen Federn, hatte ſich die Anzahl der ge-
meinen Frauensperſonen am Bord ungemein vermehret, und heute waren ſie,
vorzuͤglich, in ſolcher Menge gekommen, daß manche, die keinen Geſpann hat-
ten finden koͤnnen, ſich auf dem obern Verdeck als uͤberzaͤhlig herumtrieben.
Naͤchſt den rothen Federn mochte auch das Verlangen nach Schweinefleiſch ſie
herbey locken. Denn da es die geringern Leute ſelten zu eßen bekommen; ſo
pflegten ſich dieſe Dirnen bey unſern Matroſen, die Ueberfluß daran hatten, gern
zu Gaſte zu bitten. Oft aber lieſſen ſie ſichs ſo gut ſchmecken, daß die Staͤrke
ihrer Verdauungs-Kraͤfte dem Uebermaaß ihres Appetits nicht gleich kam, und
dann mußten ſie es durch unruhige Naͤchte buͤßen, welches auch ihre Geſell-
ſchafter oft im Schlafe ſtoͤhrte. Bey gewiſſen dringenden Gelegenheiten verlangten
ſie von ihren Liebhabern begleitet zu werden; da aber dieſe nicht immer ſo galant wa-
ren; ſo ſah es am Morgen auf den Verdecken faſt eben ſo, wie auf den Fußſteigen,
am Lande aus. *) Des Abends ſich pflegten dieſe Frauensperſonen in unterſchiede
ne Haufen zu theilen, und auf dem Vorder- Mittel- und Hinterdek zu tanzen.
Ihre Luſtigkeit gieng oft bis zur Ausſchweifung und gemeiniglich waren ſie ſehr
laut dabey. Mit unter fehlte es ihnen aber auch wuͤrklich nicht an drolligten und
originalen Einfaͤllen. Wir hatten z. E. einen ſcorbutiſchen Patienten der bey unſe-
rer Ankunft allhier ſehr ſchwach geweſen, aber durch den Genuß des friſchen Kraͤu-
terwerks gar bald wieder beſſer geworden war, und daher kein Bedenken fand, dem
Beyſpiele ſeiner Cameraden zu folgen. In dieſer Abſicht wandte er ſich an eines von
jenen Maͤdchen und brachte ſie, beym Einbruch der Dunkelheit, nach ſeiner Schlaf-
ſtelle, wo er ein Licht anzuͤndete. Nun ſahe ſie ihrem Liebhaber ins Geſicht,
und da ſie gewahr ward, daß er nur ein Auge hatte; ſo faßte ſie ihn ſtillſchweigend
bey der Hand, fuͤhrte ihn wieder aufs Verdeck und zu einem Maͤdchen, dem
ebenfalls ein Auge fehlts, mit dem Beyfuͤgen, daß dieſe ſich recht gut fuͤr ihn ſchicke,
Sie aber mit keinem Blinden oder Einaͤugigen etwas zu thun haben wolle.
*) Siehe weiter zuvor, Seite 21.
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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/75>, abgerufen am 24.11.2024.
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