1774. August.lebens gehören, bald stärkere Schritte zur Vollkommenheit thun, denn die schwerste Arbeit wird uns leicht und unterhaltend, sobald wir sie aus eigner Willkühr oder zu Vergnügung der Sinne unternehmen: Wäre aber nur erst in einem Stück für die Verfeinerung der Sitten gesorgt, so würde sie auch bald genug in mehreren erfolgen. Schon jetzt hat die Musik hier eine höhere Stuffe der Vollkommenheit erreicht, als irgend sonstwo im Süd-Meer, und es ist wohl nicht zu längnen, daß das Wohlgefallen an harmonischen Tönen eine gewisse Empfindlichkeit voraussetzt, die der Sittlichkeit den Weg bereitet. --
Die Staatsverfassung ist, dem gegenwärtigen Zustande der Nation ge- mäß, noch sehr unvollkommen. Jedes Dorf, jede Familie ist unabhängig, und vereinigt sich mit den Nachbarn nur alsdenn, wenn ihr gemeinschaftlicher Nutzen es durchaus so erfordert, zum Beyspiel, wenn feindliche Einfälle zu be- fürchten sind. Leute von Jahren und von bewährter Tapferkeit scheinen bey dem großen Haufen in gewissem Ansehen zu stehen, Rangordnung aber sonst noch un- bekannt zu seyn. Das Interesse so vieler kleinen Partheyen muß einander oft geradehin zuwieder seyn, und sie folglich in Streitigkeiten verwickeln, die dann dem Mißtrauen und der Rachsucht unaufhörliche Nahrung geben. Die- sem Uebel kann allein in der Folge, vermittelst einer stärkeren Bevölkerung, abge- holfen werden; der Wachsthum dieser letzteren wird sie nemlich, dringender als jede andere Ursach, nöthigen, auf eine gewisse gesellschaftliche Vereinigung zu denken und die Regierungsform auf festeren Fuß zu setzen. Die Verfertigung der Waffen, auf welche sie jetzt den größten Theil ihrer Zeit verwenden müssen, würde alsdenn, bey müßigen Stunden, gleichsam nur zum Zeitvertreib dürfen vorgenommen werden, und die Folgen eines solchen öffentlichen Ruhestandes, ge- genseitiges Zutrauen und allgemeine Sicherheit, würden ihnen Muße verschaf- fen, es in der Zierlichkeit aller Arten von Handarbeiten eben so weit zu bringen, als die Einwohner der Freundschaftlichen-Inseln. Wie viel der Umgang mit den benachbarten Insulanern zu Beschleunigung dieses Zeitpuncts beytragen möchte, läßt sich so genau nicht angeben; im Ganzen aber ists wohl ausgemacht, daß, durch den Handel, der Fortgang der Civilisation ungemein befördert wird.
Von der Religion der Tanneser wissen wir nichts zu sagen. Der feyer- liche Gesang, den man fast jeden Morgen an der östlichen Spitze des Havens
Forſter’s Reiſe um die Welt
1774. Auguſt.lebens gehoͤren, bald ſtaͤrkere Schritte zur Vollkommenheit thun, denn die ſchwerſte Arbeit wird uns leicht und unterhaltend, ſobald wir ſie aus eigner Willkuͤhr oder zu Vergnuͤgung der Sinne unternehmen: Waͤre aber nur erſt in einem Stuͤck fuͤr die Verfeinerung der Sitten geſorgt, ſo wuͤrde ſie auch bald genug in mehreren erfolgen. Schon jetzt hat die Muſik hier eine hoͤhere Stuffe der Vollkommenheit erreicht, als irgend ſonſtwo im Suͤd-Meer, und es iſt wohl nicht zu laͤngnen, daß das Wohlgefallen an harmoniſchen Toͤnen eine gewiſſe Empfindlichkeit vorausſetzt, die der Sittlichkeit den Weg bereitet. —
Die Staatsverfaſſung iſt, dem gegenwaͤrtigen Zuſtande der Nation ge- maͤß, noch ſehr unvollkommen. Jedes Dorf, jede Familie iſt unabhaͤngig, und vereinigt ſich mit den Nachbarn nur alsdenn, wenn ihr gemeinſchaftlicher Nutzen es durchaus ſo erfordert, zum Beyſpiel, wenn feindliche Einfaͤlle zu be- fuͤrchten ſind. Leute von Jahren und von bewaͤhrter Tapferkeit ſcheinen bey dem großen Haufen in gewiſſem Anſehen zu ſtehen, Rangordnung aber ſonſt noch un- bekannt zu ſeyn. Das Intereſſe ſo vieler kleinen Partheyen muß einander oft geradehin zuwieder ſeyn, und ſie folglich in Streitigkeiten verwickeln, die dann dem Mißtrauen und der Rachſucht unaufhoͤrliche Nahrung geben. Die- ſem Uebel kann allein in der Folge, vermittelſt einer ſtaͤrkeren Bevoͤlkerung, abge- holfen werden; der Wachsthum dieſer letzteren wird ſie nemlich, dringender als jede andere Urſach, noͤthigen, auf eine gewiſſe geſellſchaftliche Vereinigung zu denken und die Regierungsform auf feſteren Fuß zu ſetzen. Die Verfertigung der Waffen, auf welche ſie jetzt den groͤßten Theil ihrer Zeit verwenden muͤſſen, wuͤrde alsdenn, bey muͤßigen Stunden, gleichſam nur zum Zeitvertreib duͤrfen vorgenommen werden, und die Folgen eines ſolchen oͤffentlichen Ruheſtandes, ge- genſeitiges Zutrauen und allgemeine Sicherheit, wuͤrden ihnen Muße verſchaf- fen, es in der Zierlichkeit aller Arten von Handarbeiten eben ſo weit zu bringen, als die Einwohner der Freundſchaftlichen-Inſeln. Wie viel der Umgang mit den benachbarten Inſulanern zu Beſchleunigung dieſes Zeitpuncts beytragen moͤchte, laͤßt ſich ſo genau nicht angeben; im Ganzen aber iſts wohl ausgemacht, daß, durch den Handel, der Fortgang der Civiliſation ungemein befoͤrdert wird.
Von der Religion der Tanneſer wiſſen wir nichts zu ſagen. Der feyer- liche Geſang, den man faſt jeden Morgen an der oͤſtlichen Spitze des Havens
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0300"n="286"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><persName>Forſter’s</persName> Reiſe um die Welt</hi></fw><lb/><noteplace="left">1774.<lb/>
Auguſt.</note>lebens gehoͤren, bald ſtaͤrkere Schritte zur Vollkommenheit thun, denn die<lb/>ſchwerſte Arbeit wird uns leicht und unterhaltend, ſobald wir ſie aus eigner<lb/>
Willkuͤhr oder zu Vergnuͤgung der Sinne unternehmen: Waͤre aber nur erſt in<lb/>
einem Stuͤck fuͤr die Verfeinerung der Sitten geſorgt, ſo wuͤrde ſie auch bald<lb/>
genug in mehreren erfolgen. Schon jetzt hat die Muſik hier eine hoͤhere Stuffe<lb/>
der Vollkommenheit erreicht, als irgend ſonſtwo im <placeName>Suͤd-Meer</placeName>, und es iſt wohl<lb/>
nicht zu laͤngnen, daß das Wohlgefallen an harmoniſchen Toͤnen eine gewiſſe<lb/>
Empfindlichkeit vorausſetzt, die der Sittlichkeit den Weg bereitet. —</p><lb/><p>Die Staatsverfaſſung iſt, dem gegenwaͤrtigen Zuſtande der Nation ge-<lb/>
maͤß, noch ſehr unvollkommen. Jedes Dorf, jede Familie iſt unabhaͤngig,<lb/>
und vereinigt ſich mit den Nachbarn nur alsdenn, wenn ihr gemeinſchaftlicher<lb/>
Nutzen es durchaus ſo erfordert, zum Beyſpiel, wenn feindliche Einfaͤlle zu be-<lb/>
fuͤrchten ſind. Leute von Jahren und von bewaͤhrter Tapferkeit ſcheinen bey dem<lb/>
großen Haufen in gewiſſem Anſehen zu ſtehen, Rangordnung aber ſonſt noch un-<lb/>
bekannt zu ſeyn. Das Intereſſe ſo vieler kleinen Partheyen muß einander oft<lb/>
geradehin zuwieder ſeyn, und ſie folglich in Streitigkeiten verwickeln, die<lb/>
dann dem Mißtrauen und der Rachſucht unaufhoͤrliche Nahrung geben. Die-<lb/>ſem Uebel kann allein in der Folge, vermittelſt einer ſtaͤrkeren Bevoͤlkerung, abge-<lb/>
holfen werden; der Wachsthum dieſer letzteren wird ſie nemlich, dringender als<lb/>
jede andere Urſach, noͤthigen, auf eine gewiſſe geſellſchaftliche Vereinigung zu<lb/>
denken und die Regierungsform auf feſteren Fuß zu ſetzen. Die Verfertigung<lb/>
der Waffen, auf welche ſie jetzt den groͤßten Theil ihrer Zeit verwenden muͤſſen,<lb/>
wuͤrde alsdenn, bey muͤßigen Stunden, gleichſam nur zum Zeitvertreib duͤrfen<lb/>
vorgenommen werden, und die Folgen eines ſolchen oͤffentlichen Ruheſtandes, ge-<lb/>
genſeitiges Zutrauen und allgemeine Sicherheit, wuͤrden ihnen Muße verſchaf-<lb/>
fen, es in der Zierlichkeit aller Arten von Handarbeiten eben ſo weit zu bringen,<lb/>
als die Einwohner der Freundſchaftlichen-Inſeln. Wie viel der Umgang mit<lb/>
den benachbarten Inſulanern zu Beſchleunigung dieſes Zeitpuncts beytragen<lb/>
moͤchte, laͤßt ſich ſo genau nicht angeben; im Ganzen aber iſts wohl ausgemacht,<lb/>
daß, durch den Handel, der Fortgang der Civiliſation ungemein befoͤrdert wird.</p><lb/><p>Von der Religion der <hirendition="#fr">Tanneſer</hi> wiſſen wir nichts zu ſagen. Der feyer-<lb/>
liche Geſang, den man faſt jeden Morgen an der oͤſtlichen Spitze des Havens<lb/></p></div></body></text></TEI>
[286/0300]
Forſter’s Reiſe um die Welt
lebens gehoͤren, bald ſtaͤrkere Schritte zur Vollkommenheit thun, denn die
ſchwerſte Arbeit wird uns leicht und unterhaltend, ſobald wir ſie aus eigner
Willkuͤhr oder zu Vergnuͤgung der Sinne unternehmen: Waͤre aber nur erſt in
einem Stuͤck fuͤr die Verfeinerung der Sitten geſorgt, ſo wuͤrde ſie auch bald
genug in mehreren erfolgen. Schon jetzt hat die Muſik hier eine hoͤhere Stuffe
der Vollkommenheit erreicht, als irgend ſonſtwo im Suͤd-Meer, und es iſt wohl
nicht zu laͤngnen, daß das Wohlgefallen an harmoniſchen Toͤnen eine gewiſſe
Empfindlichkeit vorausſetzt, die der Sittlichkeit den Weg bereitet. —
1774.
Auguſt.
Die Staatsverfaſſung iſt, dem gegenwaͤrtigen Zuſtande der Nation ge-
maͤß, noch ſehr unvollkommen. Jedes Dorf, jede Familie iſt unabhaͤngig,
und vereinigt ſich mit den Nachbarn nur alsdenn, wenn ihr gemeinſchaftlicher
Nutzen es durchaus ſo erfordert, zum Beyſpiel, wenn feindliche Einfaͤlle zu be-
fuͤrchten ſind. Leute von Jahren und von bewaͤhrter Tapferkeit ſcheinen bey dem
großen Haufen in gewiſſem Anſehen zu ſtehen, Rangordnung aber ſonſt noch un-
bekannt zu ſeyn. Das Intereſſe ſo vieler kleinen Partheyen muß einander oft
geradehin zuwieder ſeyn, und ſie folglich in Streitigkeiten verwickeln, die
dann dem Mißtrauen und der Rachſucht unaufhoͤrliche Nahrung geben. Die-
ſem Uebel kann allein in der Folge, vermittelſt einer ſtaͤrkeren Bevoͤlkerung, abge-
holfen werden; der Wachsthum dieſer letzteren wird ſie nemlich, dringender als
jede andere Urſach, noͤthigen, auf eine gewiſſe geſellſchaftliche Vereinigung zu
denken und die Regierungsform auf feſteren Fuß zu ſetzen. Die Verfertigung
der Waffen, auf welche ſie jetzt den groͤßten Theil ihrer Zeit verwenden muͤſſen,
wuͤrde alsdenn, bey muͤßigen Stunden, gleichſam nur zum Zeitvertreib duͤrfen
vorgenommen werden, und die Folgen eines ſolchen oͤffentlichen Ruheſtandes, ge-
genſeitiges Zutrauen und allgemeine Sicherheit, wuͤrden ihnen Muße verſchaf-
fen, es in der Zierlichkeit aller Arten von Handarbeiten eben ſo weit zu bringen,
als die Einwohner der Freundſchaftlichen-Inſeln. Wie viel der Umgang mit
den benachbarten Inſulanern zu Beſchleunigung dieſes Zeitpuncts beytragen
moͤchte, laͤßt ſich ſo genau nicht angeben; im Ganzen aber iſts wohl ausgemacht,
daß, durch den Handel, der Fortgang der Civiliſation ungemein befoͤrdert wird.
Von der Religion der Tanneſer wiſſen wir nichts zu ſagen. Der feyer-
liche Geſang, den man faſt jeden Morgen an der oͤſtlichen Spitze des Havens
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/300>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.