Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

Bild:
<< vorherige Seite

in den Jahren 1772 bis 1775.
samkeit über sich ergehen lassen müssen, weil sie die unglücklichen Völker1774.
April.

dieses Welttheils nicht als ihre Brüder, sondern als unvernünftige Thiere be-
handelten, die man gleichsam zur Lust niederzuschießen berechtigt zu seyn glaubt.
Aber wer hätte es von unsern erleuchteten Zeiten erwarten sollen, daß Vorurtheil
und Uebereilung den Einwohnern der Südsee fast eben so nachtheilig werden wür-
den? Maheine konnte sich der Thränen nicht erwehren, da er sahe, daß ein Mensch
den andern wegen einer so geringen Veranlassung ums Leben brachte. Seine
Empfindlichkeit ist für gesittete Europäer, die so viel Menschenliebe im Munde
und so wenig im Herzen haben, warlich, eine demüthigende Beschämung.

Das Bewußtseyn, wie elend es um die Gesundheits-Umstände seiner
Leute stand, verstattete dem Capitain Cook nicht, die Hoffnung aufzugeben, hier
einige Erfrischungen zu erhalten. Er ließ also das Schiff tiefer in den Haven
legen und landete mit einer ausgesuchten Anzahl von See-Soldaten und Matro-
sen unter dem gewölbten Felsen gegen Norden, von Dr. Sparrman, Maheine,
meinem Vater und mir begleitet. Ein Haufe von Wilden, der aus mehr als
hundert Köpfen bestand, empfieng uns auf diesem Felsen, mit Speeren und Keu-
len bewaffnet, ohne jedoch davon Gebrauch gegen uns zu machen. Wir gien-
gen ihnen mit vielen Freundschafts-Bezeugungen entgegen, welche sie nach ih-
rer Art zu erwiedern schienen. Wir verlangten, sie mögten sich niedersetzen, und
sie waren folgsam. Nunmehro suchte man ihnen das Vergangne auf der besten Seite
vorzustellen; wir gaben ihnen nemlich zu verstehen, daß wir nach einem ihrer
Landsleute geschossen, blos weil er sich an unserm Eigenthume vergriffen; wir wären
aber gesonnen, als Freunde mit ihnen zu leben, und hauptsächlich in der Absicht
hieher gekommen, Wasser, Holz und Erfrischungen einzunehmen; dafür hätten
wir Nägel, Beile und andre gute Waaren ihnen zum Tausch anzubiethen. Un-
sre Gründe fielen in die Augen und die Einwohner wurden damit beruhigt. Sie
schienen zu glauben, ihr Landsmann habe sein Schicksal verdient. In dieser
Ueberzeugung brachten sie uns ganz treuherzig längst dem Strande zu einem Ba-
che, wo wir unsre Wasserleute ansetzten und Gelegenheit fanden, einige wenige
Früchte einzukaufen. Mehrerer Sicherheit wegen mußten die See-Soldaten
eine Linie formiren, und unter den Waffen bleiben um uns die Rückkehr
zum Wasser zu sichern. Alle diese Vorsicht hätten wir ersparen können.

B 2

in den Jahren 1772 bis 1775.
ſamkeit uͤber ſich ergehen laſſen muͤſſen, weil ſie die ungluͤcklichen Voͤlker1774.
April.

dieſes Welttheils nicht als ihre Bruͤder, ſondern als unvernuͤnftige Thiere be-
handelten, die man gleichſam zur Luſt niederzuſchießen berechtigt zu ſeyn glaubt.
Aber wer haͤtte es von unſern erleuchteten Zeiten erwarten ſollen, daß Vorurtheil
und Uebereilung den Einwohnern der Suͤdſee faſt eben ſo nachtheilig werden wuͤr-
den? Maheine konnte ſich der Thraͤnen nicht erwehren, da er ſahe, daß ein Menſch
den andern wegen einer ſo geringen Veranlaſſung ums Leben brachte. Seine
Empfindlichkeit iſt fuͤr geſittete Europaͤer, die ſo viel Menſchenliebe im Munde
und ſo wenig im Herzen haben, warlich, eine demuͤthigende Beſchaͤmung.

Das Bewußtſeyn, wie elend es um die Geſundheits-Umſtaͤnde ſeiner
Leute ſtand, verſtattete dem Capitain Cook nicht, die Hoffnung aufzugeben, hier
einige Erfriſchungen zu erhalten. Er ließ alſo das Schiff tiefer in den Haven
legen und landete mit einer ausgeſuchten Anzahl von See-Soldaten und Matro-
ſen unter dem gewoͤlbten Felſen gegen Norden, von Dr. Sparrman, Maheine,
meinem Vater und mir begleitet. Ein Haufe von Wilden, der aus mehr als
hundert Koͤpfen beſtand, empfieng uns auf dieſem Felſen, mit Speeren und Keu-
len bewaffnet, ohne jedoch davon Gebrauch gegen uns zu machen. Wir gien-
gen ihnen mit vielen Freundſchafts-Bezeugungen entgegen, welche ſie nach ih-
rer Art zu erwiedern ſchienen. Wir verlangten, ſie moͤgten ſich niederſetzen, und
ſie waren folgſam. Nunmehro ſuchte man ihnen das Vergangne auf der beſten Seite
vorzuſtellen; wir gaben ihnen nemlich zu verſtehen, daß wir nach einem ihrer
Landsleute geſchoſſen, blos weil er ſich an unſerm Eigenthume vergriffen; wir waͤren
aber geſonnen, als Freunde mit ihnen zu leben, und hauptſaͤchlich in der Abſicht
hieher gekommen, Waſſer, Holz und Erfriſchungen einzunehmen; dafuͤr haͤtten
wir Naͤgel, Beile und andre gute Waaren ihnen zum Tauſch anzubiethen. Un-
ſre Gruͤnde fielen in die Augen und die Einwohner wurden damit beruhigt. Sie
ſchienen zu glauben, ihr Landsmann habe ſein Schickſal verdient. In dieſer
Ueberzeugung brachten ſie uns ganz treuherzig laͤngſt dem Strande zu einem Ba-
che, wo wir unſre Waſſerleute anſetzten und Gelegenheit fanden, einige wenige
Fruͤchte einzukaufen. Mehrerer Sicherheit wegen mußten die See-Soldaten
eine Linie formiren, und unter den Waffen bleiben um uns die Ruͤckkehr
zum Waſſer zu ſichern. Alle dieſe Vorſicht haͤtten wir erſparen koͤnnen.

B 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0021" n="11"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">in den Jahren 1772 bis 1775.</hi></fw><lb/>
&#x017F;amkeit u&#x0364;ber &#x017F;ich ergehen la&#x017F;&#x017F;en mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, weil &#x017F;ie die unglu&#x0364;cklichen Vo&#x0364;lker<note place="right">1774.<lb/>
April.</note><lb/>
die&#x017F;es Welttheils nicht als ihre Bru&#x0364;der, &#x017F;ondern als unvernu&#x0364;nftige Thiere be-<lb/>
handelten, die man gleich&#x017F;am zur Lu&#x017F;t niederzu&#x017F;chießen berechtigt zu &#x017F;eyn glaubt.<lb/>
Aber wer ha&#x0364;tte es von un&#x017F;ern erleuchteten Zeiten erwarten &#x017F;ollen, daß Vorurtheil<lb/>
und Uebereilung den Einwohnern der <placeName>Su&#x0364;d&#x017F;ee</placeName> fa&#x017F;t eben &#x017F;o nachtheilig werden wu&#x0364;r-<lb/>
den? <hi rendition="#fr"><persName>Maheine</persName></hi> konnte &#x017F;ich der Thra&#x0364;nen nicht erwehren, da er &#x017F;ahe, daß ein Men&#x017F;ch<lb/>
den andern wegen einer &#x017F;o geringen Veranla&#x017F;&#x017F;ung ums Leben brachte. Seine<lb/>
Empfindlichkeit i&#x017F;t fu&#x0364;r ge&#x017F;ittete Europa&#x0364;er, die &#x017F;o viel Men&#x017F;chenliebe im Munde<lb/>
und &#x017F;o wenig im Herzen haben, warlich, eine demu&#x0364;thigende Be&#x017F;cha&#x0364;mung.</p><lb/>
        <p>Das Bewußt&#x017F;eyn, wie elend es um die Ge&#x017F;undheits-Um&#x017F;ta&#x0364;nde &#x017F;einer<lb/>
Leute &#x017F;tand, ver&#x017F;tattete dem Capitain <hi rendition="#fr"><persName>Cook</persName></hi> nicht, die Hoffnung aufzugeben, hier<lb/>
einige Erfri&#x017F;chungen zu erhalten. Er ließ al&#x017F;o das Schiff tiefer in den Haven<lb/>
legen und landete mit einer ausge&#x017F;uchten Anzahl von See-Soldaten und Matro-<lb/>
&#x017F;en unter dem gewo&#x0364;lbten Fel&#x017F;en gegen Norden, von Dr. <hi rendition="#fr"><persName>Sparrman</persName>, <persName>Maheine</persName>,</hi><lb/>
meinem <hi rendition="#fr">Vater</hi> und mir begleitet. Ein Haufe von Wilden, der aus mehr als<lb/>
hundert Ko&#x0364;pfen be&#x017F;tand, empfieng uns auf die&#x017F;em Fel&#x017F;en, mit Speeren und Keu-<lb/>
len bewaffnet, ohne jedoch davon Gebrauch gegen uns zu machen. Wir gien-<lb/>
gen ihnen mit vielen Freund&#x017F;chafts-Bezeugungen entgegen, welche &#x017F;ie nach ih-<lb/>
rer Art zu erwiedern &#x017F;chienen. Wir verlangten, &#x017F;ie mo&#x0364;gten &#x017F;ich nieder&#x017F;etzen, und<lb/>
&#x017F;ie waren folg&#x017F;am. Nunmehro &#x017F;uchte man ihnen das Vergangne auf der be&#x017F;ten Seite<lb/>
vorzu&#x017F;tellen; wir gaben ihnen nemlich zu ver&#x017F;tehen, daß wir nach einem ihrer<lb/>
Landsleute ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en, blos weil er &#x017F;ich an un&#x017F;erm Eigenthume vergriffen; wir wa&#x0364;ren<lb/>
aber ge&#x017F;onnen, als Freunde mit ihnen zu leben, und haupt&#x017F;a&#x0364;chlich in der Ab&#x017F;icht<lb/>
hieher gekommen, Wa&#x017F;&#x017F;er, Holz und Erfri&#x017F;chungen einzunehmen; dafu&#x0364;r ha&#x0364;tten<lb/>
wir Na&#x0364;gel, Beile und andre gute Waaren ihnen zum Tau&#x017F;ch anzubiethen. Un-<lb/>
&#x017F;re Gru&#x0364;nde fielen in die Augen und die Einwohner wurden damit beruhigt. Sie<lb/>
&#x017F;chienen zu glauben, ihr Landsmann habe &#x017F;ein Schick&#x017F;al verdient. In die&#x017F;er<lb/>
Ueberzeugung brachten &#x017F;ie uns ganz treuherzig la&#x0364;ng&#x017F;t dem Strande zu einem Ba-<lb/>
che, wo wir un&#x017F;re Wa&#x017F;&#x017F;erleute an&#x017F;etzten und Gelegenheit fanden, einige wenige<lb/>
Fru&#x0364;chte einzukaufen. Mehrerer Sicherheit wegen mußten die See-Soldaten<lb/>
eine Linie formiren, und unter den Waffen bleiben um uns die Ru&#x0364;ckkehr<lb/>
zum Wa&#x017F;&#x017F;er zu &#x017F;ichern. Alle die&#x017F;e Vor&#x017F;icht ha&#x0364;tten wir er&#x017F;paren ko&#x0364;nnen.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 2</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[11/0021] in den Jahren 1772 bis 1775. ſamkeit uͤber ſich ergehen laſſen muͤſſen, weil ſie die ungluͤcklichen Voͤlker dieſes Welttheils nicht als ihre Bruͤder, ſondern als unvernuͤnftige Thiere be- handelten, die man gleichſam zur Luſt niederzuſchießen berechtigt zu ſeyn glaubt. Aber wer haͤtte es von unſern erleuchteten Zeiten erwarten ſollen, daß Vorurtheil und Uebereilung den Einwohnern der Suͤdſee faſt eben ſo nachtheilig werden wuͤr- den? Maheine konnte ſich der Thraͤnen nicht erwehren, da er ſahe, daß ein Menſch den andern wegen einer ſo geringen Veranlaſſung ums Leben brachte. Seine Empfindlichkeit iſt fuͤr geſittete Europaͤer, die ſo viel Menſchenliebe im Munde und ſo wenig im Herzen haben, warlich, eine demuͤthigende Beſchaͤmung. 1774. April. Das Bewußtſeyn, wie elend es um die Geſundheits-Umſtaͤnde ſeiner Leute ſtand, verſtattete dem Capitain Cook nicht, die Hoffnung aufzugeben, hier einige Erfriſchungen zu erhalten. Er ließ alſo das Schiff tiefer in den Haven legen und landete mit einer ausgeſuchten Anzahl von See-Soldaten und Matro- ſen unter dem gewoͤlbten Felſen gegen Norden, von Dr. Sparrman, Maheine, meinem Vater und mir begleitet. Ein Haufe von Wilden, der aus mehr als hundert Koͤpfen beſtand, empfieng uns auf dieſem Felſen, mit Speeren und Keu- len bewaffnet, ohne jedoch davon Gebrauch gegen uns zu machen. Wir gien- gen ihnen mit vielen Freundſchafts-Bezeugungen entgegen, welche ſie nach ih- rer Art zu erwiedern ſchienen. Wir verlangten, ſie moͤgten ſich niederſetzen, und ſie waren folgſam. Nunmehro ſuchte man ihnen das Vergangne auf der beſten Seite vorzuſtellen; wir gaben ihnen nemlich zu verſtehen, daß wir nach einem ihrer Landsleute geſchoſſen, blos weil er ſich an unſerm Eigenthume vergriffen; wir waͤren aber geſonnen, als Freunde mit ihnen zu leben, und hauptſaͤchlich in der Abſicht hieher gekommen, Waſſer, Holz und Erfriſchungen einzunehmen; dafuͤr haͤtten wir Naͤgel, Beile und andre gute Waaren ihnen zum Tauſch anzubiethen. Un- ſre Gruͤnde fielen in die Augen und die Einwohner wurden damit beruhigt. Sie ſchienen zu glauben, ihr Landsmann habe ſein Schickſal verdient. In dieſer Ueberzeugung brachten ſie uns ganz treuherzig laͤngſt dem Strande zu einem Ba- che, wo wir unſre Waſſerleute anſetzten und Gelegenheit fanden, einige wenige Fruͤchte einzukaufen. Mehrerer Sicherheit wegen mußten die See-Soldaten eine Linie formiren, und unter den Waffen bleiben um uns die Ruͤckkehr zum Waſſer zu ſichern. Alle dieſe Vorſicht haͤtten wir erſparen koͤnnen. B 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/21
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/21>, abgerufen am 22.11.2024.