dickten Säfte leicht salzig und caustisch werden, welches man eigentlich als1772. August. Ursachen der Entzündungsfieber anzugeben pflegt.
Der heutige Regen hatte unsre arme Schwalbe durchaus naß gemacht. Sie setzte sich also auf das Gelender des Verdecks am Hintertheil des Schiffes und ließ sich geduldig fangen. Ich trocknete sie und lies sie, sobald sie sich erholt, im Steuer-Raum fliegen, wo sie, unbekümmert über ihre Einsperrung, so gleich über die Fliegen herfiel, welche daselbst sehr häufig waren. Beym Mittags- Essen öfneten wir die Fenster und sie setzte sich wieder in Freyheit; um sechs Uhr des Abends aber kam sie in den Steuer-Raum und in die Cajütte zurück, gleich- sam überzeugt, daß wir ihr nichts Uebles wolten. Nach einer abermaligen Flie- gen-Collation, flog sie wieder fort und blieb die Nacht über auf der Außenseite des Schiffes. Früh Morgens kam sie nochmals in die Cajüte und frühstückte Fliegen. Da sie gutes Obdach bey uns fand und wenig oder gar nicht gestöhrt wurde, so ward das arme Thierchen dreister und wagte sich endlich durch jedes Schießloch, Fenster oder andre Oefnung herein ins Schiff. Einen Theil des heutigen Vormittags brachte sie in der Cajütte des Herrn Wales sehr munter zu, aber nachher war sie fort. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß sie einem Fühl- losen in die Fäuste gefallen und so gefangen worden, um ein Tractament für eine geliebtere Katze zu werden. In den einsamen Stunden einer einförmigen See- fahrt intereßirt den Reisenden jeder kleine Vorfall; man muß sich also nicht wun- dern, daß ein so geringer Umstand als der Mord eines unschuldigen Vogels dem Herzen dererjenigen doppelt wehe that, die noch nicht unempfindlich ge- worden waren.
Die Geschichte dieses Vogels, welches eine gewöhnliche Haus-Schwalbe war, (hirundo rustica Linn.) zeigt zugleich sehr deutlich: wie einzelne Land- vögel so weit hinaus in die See gebracht werden können. Es scheint sie folgen den Schiffen, wenn diese vom Lande abgehen, gerathen hernach unvermerkt auf die ofne See, und müssen alsdann nahe beym Schiffe, als der einzigen festen Masse bleiben, welche ihnen die unabsehliche Fläche des Meeres darbietet. Hieraus erhellet, "daß man, weit vom Lande, Landvögel antreffen könne," ohne daß deshalb irgendwo eine Küste in der Nähe seyn darf, welches gleichwohl oft ganz unbedingt daraus gefolgert worden ist. Indeß verdient ein solcher Irr-
E 2
in den Jahren 1772 bis 1775.
dickten Saͤfte leicht ſalzig und cauſtiſch werden, welches man eigentlich als1772. Auguſt. Urſachen der Entzuͤndungsfieber anzugeben pflegt.
Der heutige Regen hatte unſre arme Schwalbe durchaus naß gemacht. Sie ſetzte ſich alſo auf das Gelender des Verdecks am Hintertheil des Schiffes und ließ ſich geduldig fangen. Ich trocknete ſie und lies ſie, ſobald ſie ſich erholt, im Steuer-Raum fliegen, wo ſie, unbekuͤmmert uͤber ihre Einſperrung, ſo gleich uͤber die Fliegen herfiel, welche daſelbſt ſehr haͤufig waren. Beym Mittags- Eſſen oͤfneten wir die Fenſter und ſie ſetzte ſich wieder in Freyheit; um ſechs Uhr des Abends aber kam ſie in den Steuer-Raum und in die Cajuͤtte zuruͤck, gleich- ſam uͤberzeugt, daß wir ihr nichts Uebles wolten. Nach einer abermaligen Flie- gen-Collation, flog ſie wieder fort und blieb die Nacht uͤber auf der Außenſeite des Schiffes. Fruͤh Morgens kam ſie nochmals in die Cajuͤte und fruͤhſtuͤckte Fliegen. Da ſie gutes Obdach bey uns fand und wenig oder gar nicht geſtoͤhrt wurde, ſo ward das arme Thierchen dreiſter und wagte ſich endlich durch jedes Schießloch, Fenſter oder andre Oefnung herein ins Schiff. Einen Theil des heutigen Vormittags brachte ſie in der Cajuͤtte des Herrn Wales ſehr munter zu, aber nachher war ſie fort. Es iſt mehr als wahrſcheinlich, daß ſie einem Fuͤhl- loſen in die Faͤuſte gefallen und ſo gefangen worden, um ein Tractament fuͤr eine geliebtere Katze zu werden. In den einſamen Stunden einer einfoͤrmigen See- fahrt intereßirt den Reiſenden jeder kleine Vorfall; man muß ſich alſo nicht wun- dern, daß ein ſo geringer Umſtand als der Mord eines unſchuldigen Vogels dem Herzen dererjenigen doppelt wehe that, die noch nicht unempfindlich ge- worden waren.
Die Geſchichte dieſes Vogels, welches eine gewoͤhnliche Haus-Schwalbe war, (hirundo ruſtica Linn.) zeigt zugleich ſehr deutlich: wie einzelne Land- voͤgel ſo weit hinaus in die See gebracht werden koͤnnen. Es ſcheint ſie folgen den Schiffen, wenn dieſe vom Lande abgehen, gerathen hernach unvermerkt auf die ofne See, und muͤſſen alsdann nahe beym Schiffe, als der einzigen feſten Maſſe bleiben, welche ihnen die unabſehliche Flaͤche des Meeres darbietet. Hieraus erhellet, “daß man, weit vom Lande, Landvoͤgel antreffen koͤnne,” ohne daß deshalb irgendwo eine Kuͤſte in der Naͤhe ſeyn darf, welches gleichwohl oft ganz unbedingt daraus gefolgert worden iſt. Indeß verdient ein ſolcher Irr-
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in den Jahren 1772 bis 1775.
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Urſachen der Entzuͤndungsfieber anzugeben pflegt.
1772.
Auguſt.
Der heutige Regen hatte unſre arme Schwalbe durchaus naß gemacht.
Sie ſetzte ſich alſo auf das Gelender des Verdecks am Hintertheil des Schiffes
und ließ ſich geduldig fangen. Ich trocknete ſie und lies ſie, ſobald ſie ſich erholt,
im Steuer-Raum fliegen, wo ſie, unbekuͤmmert uͤber ihre Einſperrung, ſo gleich
uͤber die Fliegen herfiel, welche daſelbſt ſehr haͤufig waren. Beym Mittags-
Eſſen oͤfneten wir die Fenſter und ſie ſetzte ſich wieder in Freyheit; um ſechs Uhr
des Abends aber kam ſie in den Steuer-Raum und in die Cajuͤtte zuruͤck, gleich-
ſam uͤberzeugt, daß wir ihr nichts Uebles wolten. Nach einer abermaligen Flie-
gen-Collation, flog ſie wieder fort und blieb die Nacht uͤber auf der Außenſeite
des Schiffes. Fruͤh Morgens kam ſie nochmals in die Cajuͤte und fruͤhſtuͤckte
Fliegen. Da ſie gutes Obdach bey uns fand und wenig oder gar nicht geſtoͤhrt
wurde, ſo ward das arme Thierchen dreiſter und wagte ſich endlich durch jedes
Schießloch, Fenſter oder andre Oefnung herein ins Schiff. Einen Theil des
heutigen Vormittags brachte ſie in der Cajuͤtte des Herrn Wales ſehr munter zu,
aber nachher war ſie fort. Es iſt mehr als wahrſcheinlich, daß ſie einem Fuͤhl-
loſen in die Faͤuſte gefallen und ſo gefangen worden, um ein Tractament fuͤr eine
geliebtere Katze zu werden. In den einſamen Stunden einer einfoͤrmigen See-
fahrt intereßirt den Reiſenden jeder kleine Vorfall; man muß ſich alſo nicht wun-
dern, daß ein ſo geringer Umſtand als der Mord eines unſchuldigen Vogels
dem Herzen dererjenigen doppelt wehe that, die noch nicht unempfindlich ge-
worden waren.
Die Geſchichte dieſes Vogels, welches eine gewoͤhnliche Haus-Schwalbe
war, (hirundo ruſtica Linn.) zeigt zugleich ſehr deutlich: wie einzelne Land-
voͤgel ſo weit hinaus in die See gebracht werden koͤnnen. Es ſcheint ſie folgen
den Schiffen, wenn dieſe vom Lande abgehen, gerathen hernach unvermerkt auf die
ofne See, und muͤſſen alsdann nahe beym Schiffe, als der einzigen feſten Maſſe
bleiben, welche ihnen die unabſehliche Flaͤche des Meeres darbietet. Hieraus
erhellet, “daß man, weit vom Lande, Landvoͤgel antreffen koͤnne,” ohne
daß deshalb irgendwo eine Kuͤſte in der Naͤhe ſeyn darf, welches gleichwohl oft
ganz unbedingt daraus gefolgert worden iſt. Indeß verdient ein ſolcher Irr-
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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/80>, abgerufen am 26.11.2024.
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