Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Forster's Reise um die Welt
1774.
März.
Canot zu sprechen, die natürlicherweise keinem einzigen antworten konnten. Ca-
pitain Cook nahm allerhand Bänder, befestigte Medaillen und Corallen daran,
und ließ ihnen solche zum Gegengeschenk herab. Sie bewunderten diese Klei-
nigkeiten sehr; eilten aber unverzüglich wieder ans Land. Als sie auf dem Rück-
wege um das Hintertheil des Schiffs herum ruderten, und daselbst eine ausge-
worfne Angelschnur vom Verdeck herabhängen sahen, banden sie zum Abschieds-
Geschenk, noch ein klein Stückchen Zeug daran. Beym Heraufziehen fanden
wir, daß es aus eben solcher Baumrinde als das Tahitische verfertigt und gelb
gefärbt war. Den wenigen Worten nach zu urtheilen, die wir von ihnen gehört
hatten, dünkte uns ihre Sprache ein Dialect der Tahitischen zu seyn. Es
wird also an beyden Enden der Südsee einerley Sprache geredet. Ihr ganzes
Ansehen ließ uns vermuthen, daß sie ein Zweig desselbigen Volk-Stamms seyn
müßten. Sie waren von mittlerer Größe, aber mager, und der Gesichtsbil-
dung nach, den Tahitiern ähnlich, jedoch nicht so schön. Der eine von den
beyden, die im Canot waren, hatte einen Bart, der bis auf einen halben Zoll
abgeschnitten war. Der andre war ein junger Mensch von siebzehn Jahren.
Sie hatten über den ganzen Cörper eben solche Puncturen als die Neu-Seelän-
der, und als die Einwohner der Societäts- und der freundschaftlichen In-
seln
; giengen aber völlig nackend. Das Sonderbarste an ihnen war die Größe
ihrer Ohren, deren Zipfel oder Lappen so lang gezogen war, daß er fast auf den
Schultern lag; darneben hatten sie große Löcher hinein geschnitten, daß man
ganz bequem vier bis fünf Finger durchstecken konnte. Dies stimmte genau
mit der Beschreibung überein, welche Roggewein in seinem Reise-Journal
von ihnen macht. *) Ihr Canot war in seiner Art nicht minder sonderbar. Es
bestand aus lauter kleinen Stückchen Holz, die ohngefähr 4. 5 Zoll breit und
von 3 bis 4 Fus lang, sehr künstlich zusammengesetzt waren. Ueberhaupt mogte es
ohngefähr 10 bis 12 Fus lang seyn. Das Vor- und Hintertheil war jedes sehr
hoch; in der Mitte aber war das Fahrzeug sehr niedrig. Es hatte einen Aus-
leger oder Balancier von drey dünnen Stangen, und jeder von den Leuten führte
ein Ruder, dessen Schaufel gleichfalls aus verschiednen Stücken zusammenge-

*) Dalrymples historical collection. Vol. II. p. 90. 94. Histoire de l'expedition de trois
vaisseaux Tome I. p. 133. a la Haye.
1739.

Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
Maͤrz.
Canot zu ſprechen, die natuͤrlicherweiſe keinem einzigen antworten konnten. Ca-
pitain Cook nahm allerhand Baͤnder, befeſtigte Medaillen und Corallen daran,
und ließ ihnen ſolche zum Gegengeſchenk herab. Sie bewunderten dieſe Klei-
nigkeiten ſehr; eilten aber unverzuͤglich wieder ans Land. Als ſie auf dem Ruͤck-
wege um das Hintertheil des Schiffs herum ruderten, und daſelbſt eine ausge-
worfne Angelſchnur vom Verdeck herabhaͤngen ſahen, banden ſie zum Abſchieds-
Geſchenk, noch ein klein Stuͤckchen Zeug daran. Beym Heraufziehen fanden
wir, daß es aus eben ſolcher Baumrinde als das Tahitiſche verfertigt und gelb
gefaͤrbt war. Den wenigen Worten nach zu urtheilen, die wir von ihnen gehoͤrt
hatten, duͤnkte uns ihre Sprache ein Dialect der Tahitiſchen zu ſeyn. Es
wird alſo an beyden Enden der Suͤdſee einerley Sprache geredet. Ihr ganzes
Anſehen ließ uns vermuthen, daß ſie ein Zweig deſſelbigen Volk-Stamms ſeyn
muͤßten. Sie waren von mittlerer Groͤße, aber mager, und der Geſichtsbil-
dung nach, den Tahitiern aͤhnlich, jedoch nicht ſo ſchoͤn. Der eine von den
beyden, die im Canot waren, hatte einen Bart, der bis auf einen halben Zoll
abgeſchnitten war. Der andre war ein junger Menſch von ſiebzehn Jahren.
Sie hatten uͤber den ganzen Coͤrper eben ſolche Puncturen als die Neu-Seelaͤn-
der, und als die Einwohner der Societaͤts- und der freundſchaftlichen In-
ſeln
; giengen aber voͤllig nackend. Das Sonderbarſte an ihnen war die Groͤße
ihrer Ohren, deren Zipfel oder Lappen ſo lang gezogen war, daß er faſt auf den
Schultern lag; darneben hatten ſie große Loͤcher hinein geſchnitten, daß man
ganz bequem vier bis fuͤnf Finger durchſtecken konnte. Dies ſtimmte genau
mit der Beſchreibung uͤberein, welche Roggewein in ſeinem Reiſe-Journal
von ihnen macht. *) Ihr Canot war in ſeiner Art nicht minder ſonderbar. Es
beſtand aus lauter kleinen Stuͤckchen Holz, die ohngefaͤhr 4. 5 Zoll breit und
von 3 bis 4 Fus lang, ſehr kuͤnſtlich zuſammengeſetzt waren. Ueberhaupt mogte es
ohngefaͤhr 10 bis 12 Fus lang ſeyn. Das Vor- und Hintertheil war jedes ſehr
hoch; in der Mitte aber war das Fahrzeug ſehr niedrig. Es hatte einen Aus-
leger oder Balancier von drey duͤnnen Stangen, und jeder von den Leuten fuͤhrte
ein Ruder, deſſen Schaufel gleichfalls aus verſchiednen Stuͤcken zuſammenge-

*) Dalrymples hiſtorical collection. Vol. II. p. 90. 94. Hiſtoire de l’expedition de trois
vaiſſeaux Tome I. p. 133. à la Haye.
1739.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0479" n="412[420]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><persName>For&#x017F;ter&#x2019;s</persName> Rei&#x017F;e um die Welt</hi></fw><lb/><note place="left">1774.<lb/>
Ma&#x0364;rz.</note>Canot zu &#x017F;prechen, die natu&#x0364;rlicherwei&#x017F;e keinem einzigen antworten konnten. Ca-<lb/>
pitain <hi rendition="#fr"><persName>Cook</persName></hi> nahm allerhand Ba&#x0364;nder, befe&#x017F;tigte Medaillen und Corallen daran,<lb/>
und ließ ihnen &#x017F;olche zum Gegenge&#x017F;chenk herab. Sie bewunderten die&#x017F;e Klei-<lb/>
nigkeiten &#x017F;ehr; eilten aber unverzu&#x0364;glich wieder ans Land. Als &#x017F;ie auf dem Ru&#x0364;ck-<lb/>
wege um das Hintertheil des Schiffs herum ruderten, und da&#x017F;elb&#x017F;t eine ausge-<lb/>
worfne Angel&#x017F;chnur vom Verdeck herabha&#x0364;ngen &#x017F;ahen, banden &#x017F;ie zum Ab&#x017F;chieds-<lb/>
Ge&#x017F;chenk, noch ein klein Stu&#x0364;ckchen Zeug daran. Beym Heraufziehen fanden<lb/>
wir, daß es aus eben &#x017F;olcher Baumrinde als das Tahiti&#x017F;che verfertigt und gelb<lb/>
gefa&#x0364;rbt war. Den wenigen Worten nach zu urtheilen, die wir von ihnen geho&#x0364;rt<lb/>
hatten, du&#x0364;nkte uns ihre Sprache ein Dialect der <hi rendition="#fr">Tahiti&#x017F;chen</hi> zu &#x017F;eyn. Es<lb/>
wird al&#x017F;o an beyden Enden der <placeName>Su&#x0364;d&#x017F;ee</placeName> einerley Sprache geredet. Ihr ganzes<lb/>
An&#x017F;ehen ließ uns vermuthen, daß &#x017F;ie ein Zweig de&#x017F;&#x017F;elbigen Volk-Stamms &#x017F;eyn<lb/>
mu&#x0364;ßten. Sie waren von mittlerer Gro&#x0364;ße, aber mager, und der Ge&#x017F;ichtsbil-<lb/>
dung nach, den <hi rendition="#fr">Tahitiern</hi> a&#x0364;hnlich, jedoch nicht &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n. Der eine von den<lb/>
beyden, die im Canot waren, hatte einen Bart, der bis auf einen halben Zoll<lb/>
abge&#x017F;chnitten war. Der andre war ein junger Men&#x017F;ch von &#x017F;iebzehn Jahren.<lb/>
Sie hatten u&#x0364;ber den ganzen Co&#x0364;rper eben &#x017F;olche Puncturen als die Neu-Seela&#x0364;n-<lb/>
der, und als die Einwohner der <placeName><hi rendition="#fr">Societa&#x0364;ts</hi>- und der <hi rendition="#fr">freund&#x017F;chaftlichen</hi> In-<lb/>
&#x017F;eln</placeName>; giengen aber vo&#x0364;llig nackend. Das Sonderbar&#x017F;te an ihnen war die Gro&#x0364;ße<lb/>
ihrer Ohren, deren Zipfel oder Lappen &#x017F;o lang gezogen war, daß er fa&#x017F;t auf den<lb/>
Schultern lag; darneben hatten &#x017F;ie große Lo&#x0364;cher hinein ge&#x017F;chnitten, daß man<lb/>
ganz bequem vier bis fu&#x0364;nf Finger durch&#x017F;tecken konnte. Dies &#x017F;timmte genau<lb/>
mit der Be&#x017F;chreibung u&#x0364;berein, welche <hi rendition="#fr"><persName>Roggewein</persName></hi> in &#x017F;einem Rei&#x017F;e-Journal<lb/>
von ihnen macht. <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i"><persName>Dalrymples</persName></hi> hi&#x017F;torical collection. Vol. II. p. 90. 94. Hi&#x017F;toire de l&#x2019;expedition de trois<lb/>
vai&#x017F;&#x017F;eaux Tome I. p. 133. à la Haye.</hi> 1739.</note> Ihr Canot war in &#x017F;einer Art nicht minder &#x017F;onderbar. Es<lb/>
be&#x017F;tand aus lauter kleinen Stu&#x0364;ckchen Holz, die ohngefa&#x0364;hr 4. 5 Zoll breit und<lb/>
von 3 bis 4 Fus lang, &#x017F;ehr ku&#x0364;n&#x017F;tlich zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt waren. Ueberhaupt mogte es<lb/>
ohngefa&#x0364;hr 10 bis 12 Fus lang &#x017F;eyn. Das Vor- und <choice><sic>Hinterheil</sic><corr>Hintertheil</corr></choice> war jedes &#x017F;ehr<lb/>
hoch; in der Mitte aber war das Fahrzeug &#x017F;ehr niedrig. Es hatte einen Aus-<lb/>
leger oder Balancier von drey du&#x0364;nnen Stangen, und jeder von den Leuten fu&#x0364;hrte<lb/>
ein Ruder, de&#x017F;&#x017F;en Schaufel gleichfalls aus ver&#x017F;chiednen Stu&#x0364;cken zu&#x017F;ammenge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[412[420]/0479] Forſter’s Reiſe um die Welt Canot zu ſprechen, die natuͤrlicherweiſe keinem einzigen antworten konnten. Ca- pitain Cook nahm allerhand Baͤnder, befeſtigte Medaillen und Corallen daran, und ließ ihnen ſolche zum Gegengeſchenk herab. Sie bewunderten dieſe Klei- nigkeiten ſehr; eilten aber unverzuͤglich wieder ans Land. Als ſie auf dem Ruͤck- wege um das Hintertheil des Schiffs herum ruderten, und daſelbſt eine ausge- worfne Angelſchnur vom Verdeck herabhaͤngen ſahen, banden ſie zum Abſchieds- Geſchenk, noch ein klein Stuͤckchen Zeug daran. Beym Heraufziehen fanden wir, daß es aus eben ſolcher Baumrinde als das Tahitiſche verfertigt und gelb gefaͤrbt war. Den wenigen Worten nach zu urtheilen, die wir von ihnen gehoͤrt hatten, duͤnkte uns ihre Sprache ein Dialect der Tahitiſchen zu ſeyn. Es wird alſo an beyden Enden der Suͤdſee einerley Sprache geredet. Ihr ganzes Anſehen ließ uns vermuthen, daß ſie ein Zweig deſſelbigen Volk-Stamms ſeyn muͤßten. Sie waren von mittlerer Groͤße, aber mager, und der Geſichtsbil- dung nach, den Tahitiern aͤhnlich, jedoch nicht ſo ſchoͤn. Der eine von den beyden, die im Canot waren, hatte einen Bart, der bis auf einen halben Zoll abgeſchnitten war. Der andre war ein junger Menſch von ſiebzehn Jahren. Sie hatten uͤber den ganzen Coͤrper eben ſolche Puncturen als die Neu-Seelaͤn- der, und als die Einwohner der Societaͤts- und der freundſchaftlichen In- ſeln; giengen aber voͤllig nackend. Das Sonderbarſte an ihnen war die Groͤße ihrer Ohren, deren Zipfel oder Lappen ſo lang gezogen war, daß er faſt auf den Schultern lag; darneben hatten ſie große Loͤcher hinein geſchnitten, daß man ganz bequem vier bis fuͤnf Finger durchſtecken konnte. Dies ſtimmte genau mit der Beſchreibung uͤberein, welche Roggewein in ſeinem Reiſe-Journal von ihnen macht. *) Ihr Canot war in ſeiner Art nicht minder ſonderbar. Es beſtand aus lauter kleinen Stuͤckchen Holz, die ohngefaͤhr 4. 5 Zoll breit und von 3 bis 4 Fus lang, ſehr kuͤnſtlich zuſammengeſetzt waren. Ueberhaupt mogte es ohngefaͤhr 10 bis 12 Fus lang ſeyn. Das Vor- und Hintertheil war jedes ſehr hoch; in der Mitte aber war das Fahrzeug ſehr niedrig. Es hatte einen Aus- leger oder Balancier von drey duͤnnen Stangen, und jeder von den Leuten fuͤhrte ein Ruder, deſſen Schaufel gleichfalls aus verſchiednen Stuͤcken zuſammenge- 1774. Maͤrz. *) Dalrymples hiſtorical collection. Vol. II. p. 90. 94. Hiſtoire de l’expedition de trois vaiſſeaux Tome I. p. 133. à la Haye. 1739.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/479
Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 412[420]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/479>, abgerufen am 22.11.2024.