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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.

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in den Jahren 1772 bis 1775.
chen und die Diebe aufzusuchen; ohnerachtet dieser Entschluß alle seine Ver-1773.
Septem-
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wandten in Furcht und Schrecken setzte. Mehr als funfzig anwesende Personen,
Männer und Weiber, fiengen an bitterlich zu weinen, als sie sahen, daß er mit
uns ins Boot stieg. Einige suchten, mit den rührendsten Stellungen, ihn da-
von abzurathen; Andre umarmten und hielten ihn zurück. Allein er ließ sich
nichts anfechten und äußerte im Mitgehen, er habe nichts zu fürchten, weil
er sich nichts vorzuwerfen habe. Mein Vater erbot sich, zu ihrer Beruhigung,
als Geißel bey ihnen zu bleiben, allein Orih wollte es nicht zugeben, und nahm,
von allen seinen Verwandten, nur einen einzigen mit an Bord. Wir ruder-
ten nunmehro in eine, den Schiffen gerade gegenüber liegende, tiefe Bucht,
als in welcher Gegend die Räuberey vorgegangen war. Von hieraus mar-
schirten wir tief ins Land hinein, jedoch ohne Erfolg, weil die Leute, welche
Ori zu Ergreifung der Räuber abgeschickt, ihre Schuldigkeit nicht gethan hat-
ten. Wir mußten also unbefriedigt wieder um- und nach dem Schiffe zurück-
kehren, wohin uns auch Orih begleitete, ohne sich durch die Thränen einer alten
Frau und ihrer schönen Tochter davon abhalten zu lassen. Als die junge Person
sahe, daß ihr Weinen nichts helfen wollte, ergrif sie in einer Art von Verzweif-
lung etliche Muschel-Schaalen, und ritzte sich damit am Kopf, daß das Blut
darnach floß, die Mutter aber entriß ihr solche und begleitete uns, sowohl als
Ori, nach dem Schiffe. Dieser ließ sichs sehr gut bey uns schmecken; die Frau
hingegen wollte, der Landesgewohnheit nach, von unsern Speisen nichts anrüh-
ren. Nach Tische brachten wir ihn wieder nach seinem Hause zurück, woselbst
sich die vornehmsten Familien der Insel versammlet hatten und in großer Be-
trübniß, zum Theil weinend, auf der Erde saßen. Wir setzten uns ganz gerührt
zu ihnen und boten alle unsre Tahitische Beredsamkeit auf, um sie wieder
vergnügt und guten Muths zu machen. Die Frauenspersonen waren vorzüg-
lich niedergeschlagen und konnten sich in langer Zeit nicht wieder zufrieden ge-
ben. Die Betrübniß dieser Insulaner war in gegenwärtigem Fall ein so augen-
scheinlicher Beweis von der Güte ihrer Herzen, daß wir uns nicht enthalten
konnten, aufrichtigen Antheil an derselben zu nehmen, und da sie sahen, daß
es uns ein Ernst sey ihnen Trost zuzusprechen; so beruhigten sie sich endlich und
gewannen wiederum neues Zutrauen. Unter den Bemerkungen, welche wir

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in den Jahren 1772 bis 1775.
chen und die Diebe aufzuſuchen; ohnerachtet dieſer Entſchluß alle ſeine Ver-1773.
Septem-
ber.

wandten in Furcht und Schrecken ſetzte. Mehr als funfzig anweſende Perſonen,
Maͤnner und Weiber, fiengen an bitterlich zu weinen, als ſie ſahen, daß er mit
uns ins Boot ſtieg. Einige ſuchten, mit den ruͤhrendſten Stellungen, ihn da-
von abzurathen; Andre umarmten und hielten ihn zuruͤck. Allein er ließ ſich
nichts anfechten und aͤußerte im Mitgehen, er habe nichts zu fuͤrchten, weil
er ſich nichts vorzuwerfen habe. Mein Vater erbot ſich, zu ihrer Beruhigung,
als Geißel bey ihnen zu bleiben, allein Orih wollte es nicht zugeben, und nahm,
von allen ſeinen Verwandten, nur einen einzigen mit an Bord. Wir ruder-
ten nunmehro in eine, den Schiffen gerade gegenuͤber liegende, tiefe Bucht,
als in welcher Gegend die Raͤuberey vorgegangen war. Von hieraus mar-
ſchirten wir tief ins Land hinein, jedoch ohne Erfolg, weil die Leute, welche
Ori zu Ergreifung der Raͤuber abgeſchickt, ihre Schuldigkeit nicht gethan hat-
ten. Wir mußten alſo unbefriedigt wieder um- und nach dem Schiffe zuruͤck-
kehren, wohin uns auch Orih begleitete, ohne ſich durch die Thraͤnen einer alten
Frau und ihrer ſchoͤnen Tochter davon abhalten zu laſſen. Als die junge Perſon
ſahe, daß ihr Weinen nichts helfen wollte, ergrif ſie in einer Art von Verzweif-
lung etliche Muſchel-Schaalen, und ritzte ſich damit am Kopf, daß das Blut
darnach floß, die Mutter aber entriß ihr ſolche und begleitete uns, ſowohl als
Ori, nach dem Schiffe. Dieſer ließ ſichs ſehr gut bey uns ſchmecken; die Frau
hingegen wollte, der Landesgewohnheit nach, von unſern Speiſen nichts anruͤh-
ren. Nach Tiſche brachten wir ihn wieder nach ſeinem Hauſe zuruͤck, woſelbſt
ſich die vornehmſten Familien der Inſel verſammlet hatten und in großer Be-
truͤbniß, zum Theil weinend, auf der Erde ſaßen. Wir ſetzten uns ganz geruͤhrt
zu ihnen und boten alle unſre Tahitiſche Beredſamkeit auf, um ſie wieder
vergnuͤgt und guten Muths zu machen. Die Frauensperſonen waren vorzuͤg-
lich niedergeſchlagen und konnten ſich in langer Zeit nicht wieder zufrieden ge-
ben. Die Betruͤbniß dieſer Inſulaner war in gegenwaͤrtigem Fall ein ſo augen-
ſcheinlicher Beweis von der Guͤte ihrer Herzen, daß wir uns nicht enthalten
konnten, aufrichtigen Antheil an derſelben zu nehmen, und da ſie ſahen, daß
es uns ein Ernſt ſey ihnen Troſt zuzuſprechen; ſo beruhigten ſie ſich endlich und
gewannen wiederum neues Zutrauen. Unter den Bemerkungen, welche wir

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[291/0346] in den Jahren 1772 bis 1775. chen und die Diebe aufzuſuchen; ohnerachtet dieſer Entſchluß alle ſeine Ver- wandten in Furcht und Schrecken ſetzte. Mehr als funfzig anweſende Perſonen, Maͤnner und Weiber, fiengen an bitterlich zu weinen, als ſie ſahen, daß er mit uns ins Boot ſtieg. Einige ſuchten, mit den ruͤhrendſten Stellungen, ihn da- von abzurathen; Andre umarmten und hielten ihn zuruͤck. Allein er ließ ſich nichts anfechten und aͤußerte im Mitgehen, er habe nichts zu fuͤrchten, weil er ſich nichts vorzuwerfen habe. Mein Vater erbot ſich, zu ihrer Beruhigung, als Geißel bey ihnen zu bleiben, allein Orih wollte es nicht zugeben, und nahm, von allen ſeinen Verwandten, nur einen einzigen mit an Bord. Wir ruder- ten nunmehro in eine, den Schiffen gerade gegenuͤber liegende, tiefe Bucht, als in welcher Gegend die Raͤuberey vorgegangen war. Von hieraus mar- ſchirten wir tief ins Land hinein, jedoch ohne Erfolg, weil die Leute, welche Ori zu Ergreifung der Raͤuber abgeſchickt, ihre Schuldigkeit nicht gethan hat- ten. Wir mußten alſo unbefriedigt wieder um- und nach dem Schiffe zuruͤck- kehren, wohin uns auch Orih begleitete, ohne ſich durch die Thraͤnen einer alten Frau und ihrer ſchoͤnen Tochter davon abhalten zu laſſen. Als die junge Perſon ſahe, daß ihr Weinen nichts helfen wollte, ergrif ſie in einer Art von Verzweif- lung etliche Muſchel-Schaalen, und ritzte ſich damit am Kopf, daß das Blut darnach floß, die Mutter aber entriß ihr ſolche und begleitete uns, ſowohl als Ori, nach dem Schiffe. Dieſer ließ ſichs ſehr gut bey uns ſchmecken; die Frau hingegen wollte, der Landesgewohnheit nach, von unſern Speiſen nichts anruͤh- ren. Nach Tiſche brachten wir ihn wieder nach ſeinem Hauſe zuruͤck, woſelbſt ſich die vornehmſten Familien der Inſel verſammlet hatten und in großer Be- truͤbniß, zum Theil weinend, auf der Erde ſaßen. Wir ſetzten uns ganz geruͤhrt zu ihnen und boten alle unſre Tahitiſche Beredſamkeit auf, um ſie wieder vergnuͤgt und guten Muths zu machen. Die Frauensperſonen waren vorzuͤg- lich niedergeſchlagen und konnten ſich in langer Zeit nicht wieder zufrieden ge- ben. Die Betruͤbniß dieſer Inſulaner war in gegenwaͤrtigem Fall ein ſo augen- ſcheinlicher Beweis von der Guͤte ihrer Herzen, daß wir uns nicht enthalten konnten, aufrichtigen Antheil an derſelben zu nehmen, und da ſie ſahen, daß es uns ein Ernſt ſey ihnen Troſt zuzuſprechen; ſo beruhigten ſie ſich endlich und gewannen wiederum neues Zutrauen. Unter den Bemerkungen, welche wir 1773. Septem- ber. O o 2

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/346>, abgerufen am 26.06.2024.