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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.

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den er schon das vorige Mal als einen angenehmen und plauderhaften Mann kennen gelernt hatte, so blieb er unten im Gastzimmer und hatte da, was er sehr liebte, einen eingängigen Diskurs über deutsche Hotels in der Schweiz und in Italien. Der Besitzer des Hotels war vordem jahrelang Küchenchef in Venedig gewesen, was natürlich hundert Anknüpfungspunkte gab. Und dabei kam man auch auf Asti-Wein zu sprechen, und als Lepel hörte, daß der Wirt etwas davon in seinem Keller habe, bat er darum, und unter Plaudern behaglich sein zweites Frühstück nehmend, verging die Zeit. Zuletzt aber wurde der Wirt doch unruhig und sagte: "Ja, Herr Major, so schwer es mir wird ... aber ich glaube beinahe, es ist die höchste Zeit. Sie haben nur noch eine Viertelstunde." Lepel sprang nun auf und ging auf sein Zimmer, um da im Fluge Toilette zu machen. Aber das Versäumte war doch durch keine Flinkheit wieder einzubringen, und als er aufs neue bei dem Wirt unten erschien, erfuhr er, daß der Zug schon geraume Zeit nach der Kirche sei ... "Gut, gut, dann werd' ich direkt in die Kirche gehen." Und das geschah denn auch. Als er eintrat, schien ihm in der That noch nichts versäumt oder doch nur sehr wenig; sie sangen noch und die Orgel spielte leise. "Gott sei Dank," sagte Lepel vor sich

den er schon das vorige Mal als einen angenehmen und plauderhaften Mann kennen gelernt hatte, so blieb er unten im Gastzimmer und hatte da, was er sehr liebte, einen eingängigen Diskurs über deutsche Hotels in der Schweiz und in Italien. Der Besitzer des Hotels war vordem jahrelang Küchenchef in Venedig gewesen, was natürlich hundert Anknüpfungspunkte gab. Und dabei kam man auch auf Asti-Wein zu sprechen, und als Lepel hörte, daß der Wirt etwas davon in seinem Keller habe, bat er darum, und unter Plaudern behaglich sein zweites Frühstück nehmend, verging die Zeit. Zuletzt aber wurde der Wirt doch unruhig und sagte: „Ja, Herr Major, so schwer es mir wird … aber ich glaube beinahe, es ist die höchste Zeit. Sie haben nur noch eine Viertelstunde.“ Lepel sprang nun auf und ging auf sein Zimmer, um da im Fluge Toilette zu machen. Aber das Versäumte war doch durch keine Flinkheit wieder einzubringen, und als er aufs neue bei dem Wirt unten erschien, erfuhr er, daß der Zug schon geraume Zeit nach der Kirche sei … „Gut, gut, dann werd’ ich direkt in die Kirche gehen.“ Und das geschah denn auch. Als er eintrat, schien ihm in der That noch nichts versäumt oder doch nur sehr wenig; sie sangen noch und die Orgel spielte leise. „Gott sei Dank,“ sagte Lepel vor sich

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[481/0490] den er schon das vorige Mal als einen angenehmen und plauderhaften Mann kennen gelernt hatte, so blieb er unten im Gastzimmer und hatte da, was er sehr liebte, einen eingängigen Diskurs über deutsche Hotels in der Schweiz und in Italien. Der Besitzer des Hotels war vordem jahrelang Küchenchef in Venedig gewesen, was natürlich hundert Anknüpfungspunkte gab. Und dabei kam man auch auf Asti-Wein zu sprechen, und als Lepel hörte, daß der Wirt etwas davon in seinem Keller habe, bat er darum, und unter Plaudern behaglich sein zweites Frühstück nehmend, verging die Zeit. Zuletzt aber wurde der Wirt doch unruhig und sagte: „Ja, Herr Major, so schwer es mir wird … aber ich glaube beinahe, es ist die höchste Zeit. Sie haben nur noch eine Viertelstunde.“ Lepel sprang nun auf und ging auf sein Zimmer, um da im Fluge Toilette zu machen. Aber das Versäumte war doch durch keine Flinkheit wieder einzubringen, und als er aufs neue bei dem Wirt unten erschien, erfuhr er, daß der Zug schon geraume Zeit nach der Kirche sei … „Gut, gut, dann werd’ ich direkt in die Kirche gehen.“ Und das geschah denn auch. Als er eintrat, schien ihm in der That noch nichts versäumt oder doch nur sehr wenig; sie sangen noch und die Orgel spielte leise. „Gott sei Dank,“ sagte Lepel vor sich

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T10:02:20Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T10:02:20Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 481. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/490>, abgerufen am 22.11.2024.