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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

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Versicherung erwiderte: "sie hab es alles vorher ge¬
wußt, von dem Nachmittag an, wo sie die Fahrt nach
Tempelhof und den Gang nach der Kürche gemacht
hätten. Denn sie hab es wohl gesehen, daß Victoire
neben dem großen für die Mama bestimmten Veilchen¬
strauß auch noch einen kleinen Strauß in der Hand
gehalten hätte, den habe sie dem lieben Bräutigam,
dem Herrn von Schach, in der Kürchenthüre präsen¬
tieren wollen. Aber als er dann gekommen sei, habe
sie das kleine Bouquet wieder weggeworfen, und es
sei dicht neben der Thür auf ein Kindergrab gefallen,
was immer etwas bedeute, und auch diesmal etwas
bedeutet habe. Denn so sehr sie gegen dem Aber¬
glauben sei, so glaube sie doch an Sympathie, natür¬
lich bei abnehmendem Mond. Und der ganze Nach¬
mittag stehe noch so deutlich vor ihr, als wär es
gestern gewesen, und wenn manche so thäten, als
wisse man nichts, so hätte man doch auch seine zwei
gesunden Augen, und wisse recht gut wo die besten
Kürschen hingen." In diesen Satz vertiefte sie sich immer
mehr, ohne daß die Bedeutung desselben dadurch klarer
geworden wäre.

Nach Tante Margueritens Toast löste sich die
Tafelreihe; jeder verließ seinen Platz, um abwechselnd
hier oder dort eine Gastrolle geben zu können, und
als bald danach auch die großen Jostyschen Devisen¬
bonbons umhergereicht und allerlei Sprüche wie bei¬

Verſicherung erwiderte: „ſie hab es alles vorher ge¬
wußt, von dem Nachmittag an, wo ſie die Fahrt nach
Tempelhof und den Gang nach der Kürche gemacht
hätten. Denn ſie hab es wohl geſehen, daß Victoire
neben dem großen für die Mama beſtimmten Veilchen¬
ſtrauß auch noch einen kleinen Strauß in der Hand
gehalten hätte, den habe ſie dem lieben Bräutigam,
dem Herrn von Schach, in der Kürchenthüre präſen¬
tieren wollen. Aber als er dann gekommen ſei, habe
ſie das kleine Bouquet wieder weggeworfen, und es
ſei dicht neben der Thür auf ein Kindergrab gefallen,
was immer etwas bedeute, und auch diesmal etwas
bedeutet habe. Denn ſo ſehr ſie gegen dem Aber¬
glauben ſei, ſo glaube ſie doch an Sympathie, natür¬
lich bei abnehmendem Mond. Und der ganze Nach¬
mittag ſtehe noch ſo deutlich vor ihr, als wär es
geſtern geweſen, und wenn manche ſo thäten, als
wiſſe man nichts, ſo hätte man doch auch ſeine zwei
geſunden Augen, und wiſſe recht gut wo die beſten
Kürſchen hingen.“ In dieſen Satz vertiefte ſie ſich immer
mehr, ohne daß die Bedeutung desſelben dadurch klarer
geworden wäre.

Nach Tante Margueritens Toaſt löſte ſich die
Tafelreihe; jeder verließ ſeinen Platz, um abwechſelnd
hier oder dort eine Gaſtrolle geben zu können, und
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bonbons umhergereicht und allerlei Sprüche wie bei¬

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[213/0225] Verſicherung erwiderte: „ſie hab es alles vorher ge¬ wußt, von dem Nachmittag an, wo ſie die Fahrt nach Tempelhof und den Gang nach der Kürche gemacht hätten. Denn ſie hab es wohl geſehen, daß Victoire neben dem großen für die Mama beſtimmten Veilchen¬ ſtrauß auch noch einen kleinen Strauß in der Hand gehalten hätte, den habe ſie dem lieben Bräutigam, dem Herrn von Schach, in der Kürchenthüre präſen¬ tieren wollen. Aber als er dann gekommen ſei, habe ſie das kleine Bouquet wieder weggeworfen, und es ſei dicht neben der Thür auf ein Kindergrab gefallen, was immer etwas bedeute, und auch diesmal etwas bedeutet habe. Denn ſo ſehr ſie gegen dem Aber¬ glauben ſei, ſo glaube ſie doch an Sympathie, natür¬ lich bei abnehmendem Mond. Und der ganze Nach¬ mittag ſtehe noch ſo deutlich vor ihr, als wär es geſtern geweſen, und wenn manche ſo thäten, als wiſſe man nichts, ſo hätte man doch auch ſeine zwei geſunden Augen, und wiſſe recht gut wo die beſten Kürſchen hingen.“ In dieſen Satz vertiefte ſie ſich immer mehr, ohne daß die Bedeutung desſelben dadurch klarer geworden wäre. Nach Tante Margueritens Toaſt löſte ſich die Tafelreihe; jeder verließ ſeinen Platz, um abwechſelnd hier oder dort eine Gaſtrolle geben zu können, und als bald danach auch die großen Joſtyſchen Deviſen¬ bonbons umhergereicht und allerlei Sprüche wie bei¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/225>, abgerufen am 23.11.2024.