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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

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Victoire sah die Mama mit einem Anfluge schel¬
mischer Verwunderung an.

"Ja, lache nur, Kind, lache laut, ich verüble Dirs
nicht. Hast Du mich doch selber oft genug über diese
Dinge lachen sehen. Aber, meine süße Victoire, die
Stunden sind nicht gleich, und heute bitt ich Deinem
Vater ab und dank ihm von Herzen, weil er mir in
seinem Adelsstolze, mit dem er mich zur Verzweiflung
gebracht und aus seiner Nähe hinweg gelangweilt hat,
eine willkommene Waffe gegen diesen mir unerträg¬
lichen Dünkel in die Hand giebt. Schach, Schach!
Was ist Schach? Ich kenn ihre Geschichte nicht und
will sie nicht kennen, aber ich wette diese meine
Broche gegen eine Stecknadel, daß Du, wenn Du das
ganze Geschlecht auf die Tenne wirfst, da, wo der
Wind am schärfsten geht, daß nichts übrig bleibt, sag
ich, als ein halbes Dutzend Obersten und Rittmeister,
alle devotest erstorben und alle mit einer Pontaknase.
Lehre mich diese Leute kennen!"

"Aber, Mama . ."

"Und nun die Carayons! Es ist wahr, ihre
Wiege hat nicht an der Havel und nicht einmal an
der Spree gestanden, und weder im Brandenburger
noch im Havelberger Dom ist je geläutet worden,
wenn einer von ihnen kam oder ging. Oh, ces
pauvres gens, ces malheureux Carayons!
Sie
hatten ihre Schlösser, beiläufig wirkliche Schlösser,

Victoire ſah die Mama mit einem Anfluge ſchel¬
miſcher Verwunderung an.

„Ja, lache nur, Kind, lache laut, ich verüble Dirs
nicht. Haſt Du mich doch ſelber oft genug über dieſe
Dinge lachen ſehen. Aber, meine ſüße Victoire, die
Stunden ſind nicht gleich, und heute bitt ich Deinem
Vater ab und dank ihm von Herzen, weil er mir in
ſeinem Adelsſtolze, mit dem er mich zur Verzweiflung
gebracht und aus ſeiner Nähe hinweg gelangweilt hat,
eine willkommene Waffe gegen dieſen mir unerträg¬
lichen Dünkel in die Hand giebt. Schach, Schach!
Was iſt Schach? Ich kenn ihre Geſchichte nicht und
will ſie nicht kennen, aber ich wette dieſe meine
Broche gegen eine Stecknadel, daß Du, wenn Du das
ganze Geſchlecht auf die Tenne wirfſt, da, wo der
Wind am ſchärfſten geht, daß nichts übrig bleibt, ſag
ich, als ein halbes Dutzend Oberſten und Rittmeiſter,
alle devoteſt erſtorben und alle mit einer Pontaknaſe.
Lehre mich dieſe Leute kennen!“

„Aber, Mama . .“

„Und nun die Carayons! Es iſt wahr, ihre
Wiege hat nicht an der Havel und nicht einmal an
der Spree geſtanden, und weder im Brandenburger
noch im Havelberger Dom iſt je geläutet worden,
wenn einer von ihnen kam oder ging. Oh, ces
pauvres gens, ces malheureux Carayons!
Sie
hatten ihre Schlöſſer, beiläufig wirkliche Schlöſſer,

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[176/0188] Victoire ſah die Mama mit einem Anfluge ſchel¬ miſcher Verwunderung an. „Ja, lache nur, Kind, lache laut, ich verüble Dirs nicht. Haſt Du mich doch ſelber oft genug über dieſe Dinge lachen ſehen. Aber, meine ſüße Victoire, die Stunden ſind nicht gleich, und heute bitt ich Deinem Vater ab und dank ihm von Herzen, weil er mir in ſeinem Adelsſtolze, mit dem er mich zur Verzweiflung gebracht und aus ſeiner Nähe hinweg gelangweilt hat, eine willkommene Waffe gegen dieſen mir unerträg¬ lichen Dünkel in die Hand giebt. Schach, Schach! Was iſt Schach? Ich kenn ihre Geſchichte nicht und will ſie nicht kennen, aber ich wette dieſe meine Broche gegen eine Stecknadel, daß Du, wenn Du das ganze Geſchlecht auf die Tenne wirfſt, da, wo der Wind am ſchärfſten geht, daß nichts übrig bleibt, ſag ich, als ein halbes Dutzend Oberſten und Rittmeiſter, alle devoteſt erſtorben und alle mit einer Pontaknaſe. Lehre mich dieſe Leute kennen!“ „Aber, Mama . .“ „Und nun die Carayons! Es iſt wahr, ihre Wiege hat nicht an der Havel und nicht einmal an der Spree geſtanden, und weder im Brandenburger noch im Havelberger Dom iſt je geläutet worden, wenn einer von ihnen kam oder ging. Oh, ces pauvres gens, ces malheureux Carayons! Sie hatten ihre Schlöſſer, beiläufig wirkliche Schlöſſer,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/188>, abgerufen am 27.11.2024.