Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Tag war inzwischen angebrochen. Über dem
First des Wuthenower Herrenhauses hing die Sonne,
während drüben am andern Ufer die Wolken im Wieder¬
schein glühten und die Waldstreifen ihren Schatten in
den See warfen. Auf dem See selbst aber begann es
sich zu regen, und ein die Morgenbrise benutzender Torf¬
kahn glitt mit ausgespanntem Segel an Schach vorüber.
Ein Frösteln überlief diesen. Aber dies Frösteln
that ihm wohl, denn er fühlte deutlich, wie der Druck,
der auf ihm lastete, sich dabei minderte. "Nahm er
es nicht zu schwer? Was war es denn am Ende?
Bosheit und Übelwollen. Und wer kann sich dem
entziehn! Es kommt und geht. Eine Woche noch, und
die Bosheit hat sich ausgelebt." Aber während er so
sich tröstete, zogen auch wieder andre Bilder herauf,
und er sah sich in einem Kutschwagen bei den prinz¬
lichen Herrschaften vorfahren, um ihnen Victoire von
Carayon als seine Braut vorzustellen. Und er hörte
deutlich, wie die alte Prinzeß Ferdinand ihrer Tochter,
der schönen Radiziwill, zuflüsterte: "Est-elle riche?"
"Sans doute." "Ah, je comprends."

Unter so wechselnden Bildern und Betrachtungen
bog er wieder in die kurz vorher so stille Bucht ein,
in deren Schilf jetzt ein buntes und bewegtes Leben
herrschte. Die darin nistenden Vögel kreischten oder
gurrten, ein paar Kibitze flogen auf, und eine Wild¬
ente, die sich neugierig umsah, tauchte nieder, als das

Der Tag war inzwiſchen angebrochen. Über dem
Firſt des Wuthenower Herrenhauſes hing die Sonne,
während drüben am andern Ufer die Wolken im Wieder¬
ſchein glühten und die Waldſtreifen ihren Schatten in
den See warfen. Auf dem See ſelbſt aber begann es
ſich zu regen, und ein die Morgenbriſe benutzender Torf¬
kahn glitt mit ausgeſpanntem Segel an Schach vorüber.
Ein Fröſteln überlief dieſen. Aber dies Fröſteln
that ihm wohl, denn er fühlte deutlich, wie der Druck,
der auf ihm laſtete, ſich dabei minderte. „Nahm er
es nicht zu ſchwer? Was war es denn am Ende?
Bosheit und Übelwollen. Und wer kann ſich dem
entziehn! Es kommt und geht. Eine Woche noch, und
die Bosheit hat ſich ausgelebt.“ Aber während er ſo
ſich tröſtete, zogen auch wieder andre Bilder herauf,
und er ſah ſich in einem Kutſchwagen bei den prinz¬
lichen Herrſchaften vorfahren, um ihnen Victoire von
Carayon als ſeine Braut vorzuſtellen. Und er hörte
deutlich, wie die alte Prinzeß Ferdinand ihrer Tochter,
der ſchönen Radiziwill, zuflüſterte: „Est-elle riche?“
„Sans doute.“ „Ah, je comprends.“

Unter ſo wechſelnden Bildern und Betrachtungen
bog er wieder in die kurz vorher ſo ſtille Bucht ein,
in deren Schilf jetzt ein buntes und bewegtes Leben
herrſchte. Die darin niſtenden Vögel kreiſchten oder
gurrten, ein paar Kibitze flogen auf, und eine Wild¬
ente, die ſich neugierig umſah, tauchte nieder, als das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0174" n="162"/>
        <p>Der Tag war inzwi&#x017F;chen angebrochen. Über dem<lb/>
Fir&#x017F;t des Wuthenower Herrenhau&#x017F;es hing die Sonne,<lb/>
während drüben am andern Ufer die Wolken im Wieder¬<lb/>
&#x017F;chein glühten und die Wald&#x017F;treifen ihren Schatten in<lb/>
den See warfen. Auf dem See &#x017F;elb&#x017F;t aber begann es<lb/>
&#x017F;ich zu regen, und ein die Morgenbri&#x017F;e benutzender Torf¬<lb/>
kahn glitt mit ausge&#x017F;panntem Segel an Schach vorüber.<lb/>
Ein Frö&#x017F;teln überlief die&#x017F;en. Aber dies Frö&#x017F;teln<lb/>
that ihm wohl, denn er fühlte deutlich, wie der Druck,<lb/>
der auf ihm la&#x017F;tete, &#x017F;ich dabei minderte. &#x201E;Nahm er<lb/>
es nicht zu &#x017F;chwer? Was war es denn am Ende?<lb/>
Bosheit und Übelwollen. Und wer kann &#x017F;ich <hi rendition="#g">dem</hi><lb/>
entziehn! Es kommt und geht. Eine Woche noch, und<lb/>
die Bosheit hat &#x017F;ich ausgelebt.&#x201C; Aber während er &#x017F;o<lb/>
&#x017F;ich trö&#x017F;tete, zogen auch wieder andre Bilder herauf,<lb/>
und er &#x017F;ah &#x017F;ich in einem Kut&#x017F;chwagen bei den prinz¬<lb/>
lichen Herr&#x017F;chaften vorfahren, um ihnen Victoire von<lb/>
Carayon als &#x017F;eine Braut vorzu&#x017F;tellen. Und er hörte<lb/>
deutlich, wie die alte Prinzeß Ferdinand ihrer Tochter,<lb/>
der &#x017F;chönen Radiziwill, zuflü&#x017F;terte: <hi rendition="#aq">&#x201E;Est-elle riche?&#x201C;<lb/>
&#x201E;Sans doute.&#x201C; &#x201E;Ah, je comprends.&#x201C;</hi></p><lb/>
        <p>Unter &#x017F;o wech&#x017F;elnden Bildern und Betrachtungen<lb/>
bog er wieder in die kurz vorher &#x017F;o &#x017F;tille Bucht ein,<lb/>
in deren Schilf jetzt ein buntes und bewegtes Leben<lb/>
herr&#x017F;chte. Die darin ni&#x017F;tenden Vögel krei&#x017F;chten oder<lb/>
gurrten, ein paar Kibitze flogen auf, und eine Wild¬<lb/>
ente, die &#x017F;ich neugierig um&#x017F;ah, tauchte nieder, als das<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0174] Der Tag war inzwiſchen angebrochen. Über dem Firſt des Wuthenower Herrenhauſes hing die Sonne, während drüben am andern Ufer die Wolken im Wieder¬ ſchein glühten und die Waldſtreifen ihren Schatten in den See warfen. Auf dem See ſelbſt aber begann es ſich zu regen, und ein die Morgenbriſe benutzender Torf¬ kahn glitt mit ausgeſpanntem Segel an Schach vorüber. Ein Fröſteln überlief dieſen. Aber dies Fröſteln that ihm wohl, denn er fühlte deutlich, wie der Druck, der auf ihm laſtete, ſich dabei minderte. „Nahm er es nicht zu ſchwer? Was war es denn am Ende? Bosheit und Übelwollen. Und wer kann ſich dem entziehn! Es kommt und geht. Eine Woche noch, und die Bosheit hat ſich ausgelebt.“ Aber während er ſo ſich tröſtete, zogen auch wieder andre Bilder herauf, und er ſah ſich in einem Kutſchwagen bei den prinz¬ lichen Herrſchaften vorfahren, um ihnen Victoire von Carayon als ſeine Braut vorzuſtellen. Und er hörte deutlich, wie die alte Prinzeß Ferdinand ihrer Tochter, der ſchönen Radiziwill, zuflüſterte: „Est-elle riche?“ „Sans doute.“ „Ah, je comprends.“ Unter ſo wechſelnden Bildern und Betrachtungen bog er wieder in die kurz vorher ſo ſtille Bucht ein, in deren Schilf jetzt ein buntes und bewegtes Leben herrſchte. Die darin niſtenden Vögel kreiſchten oder gurrten, ein paar Kibitze flogen auf, und eine Wild¬ ente, die ſich neugierig umſah, tauchte nieder, als das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/174
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/174>, abgerufen am 26.11.2024.