Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.fertig war und nur weiter sprach, um das Volk, das noch einen Schlußtrumpf zu erwarten schien, nicht unbefriedigt nach Hause gehen zu lassen. Ich zweifle aber, daß dieser Schluß in anderer Form zur Erkenntniß der Aushaltenden gekommen ist, als in der schließlichen Total-Erschöpfung des Redners. Wir schritten High-Street weiter hinauf bis zur Stelle, wo Blair-Street auf den kleinen Platz, der Tron-Church umgiebt, ausmündet. Hier, in halber Zurückgezogenheit, von der Straße aus sichtbar und doch nicht direkt von ihrem Lärm berührt, hatte ein dicker alter Herr eine Kanzel, in Form eines Schulkatheders, bestiegen und predigte zu seinem Publikum. Das Auditorium war fast zahlreicher wie das, von dem wir eben kamen, aber minder aufmerksam, man kam und ging, sprach und kicherte; es war ersichtlich ein altes Lied, das man an dieser Stelle vernahm. Der alte Herr plaidirte für Mäßigkeit. Kein Zweifel, er gab sich die größte Mühe, aber auf den Gesichtern war weder Zustimmung noch Erbauung zu lesen. Was er sprach, war weder gut noch schlecht, er malte mit grellen Farben das bekannte Doppelbild: "Die wohlgekleidete Familie am Theetisch, daneben der Trunkenbold, der seine Frau schlägt", und ersetzte durch Stimmmittel was ihm an sonstigen Gaben gebrach; aber alles scheiterte, wenn nicht an der Verbrauchtheit der Mittel, so doch an der völligen Ungeeignetheit der Persönlichkeit. Der alte Herr glich einem behäbigen Farmer, jener wohlgenährten John Bull- fertig war und nur weiter sprach, um das Volk, das noch einen Schlußtrumpf zu erwarten schien, nicht unbefriedigt nach Hause gehen zu lassen. Ich zweifle aber, daß dieser Schluß in anderer Form zur Erkenntniß der Aushaltenden gekommen ist, als in der schließlichen Total-Erschöpfung des Redners. Wir schritten High-Street weiter hinauf bis zur Stelle, wo Blair-Street auf den kleinen Platz, der Tron-Church umgiebt, ausmündet. Hier, in halber Zurückgezogenheit, von der Straße aus sichtbar und doch nicht direkt von ihrem Lärm berührt, hatte ein dicker alter Herr eine Kanzel, in Form eines Schulkatheders, bestiegen und predigte zu seinem Publikum. Das Auditorium war fast zahlreicher wie das, von dem wir eben kamen, aber minder aufmerksam, man kam und ging, sprach und kicherte; es war ersichtlich ein altes Lied, das man an dieser Stelle vernahm. Der alte Herr plaidirte für Mäßigkeit. Kein Zweifel, er gab sich die größte Mühe, aber auf den Gesichtern war weder Zustimmung noch Erbauung zu lesen. Was er sprach, war weder gut noch schlecht, er malte mit grellen Farben das bekannte Doppelbild: „Die wohlgekleidete Familie am Theetisch, daneben der Trunkenbold, der seine Frau schlägt“, und ersetzte durch Stimmmittel was ihm an sonstigen Gaben gebrach; aber alles scheiterte, wenn nicht an der Verbrauchtheit der Mittel, so doch an der völligen Ungeeignetheit der Persönlichkeit. Der alte Herr glich einem behäbigen Farmer, jener wohlgenährten John Bull- <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0122" n="108"/> fertig war und nur weiter sprach, um das Volk, das noch einen Schlußtrumpf zu erwarten schien, nicht unbefriedigt nach Hause gehen zu lassen. Ich zweifle aber, daß dieser Schluß in anderer Form zur Erkenntniß der Aushaltenden gekommen ist, als in der schließlichen Total-Erschöpfung des Redners.</p><lb/> <p>Wir schritten High-Street weiter hinauf bis zur Stelle, wo Blair-Street auf den kleinen Platz, der Tron-Church umgiebt, ausmündet. Hier, in halber Zurückgezogenheit, von der Straße aus sichtbar und doch nicht direkt von ihrem Lärm berührt, hatte ein dicker alter Herr eine Kanzel, in Form eines Schulkatheders, bestiegen und predigte zu seinem Publikum. Das Auditorium war fast zahlreicher wie das, von dem wir eben kamen, aber minder aufmerksam, man kam und ging, sprach und kicherte; es war ersichtlich ein altes Lied, das man an dieser Stelle vernahm. Der alte Herr plaidirte für Mäßigkeit. Kein Zweifel, er gab sich die größte Mühe, aber auf den Gesichtern war weder Zustimmung noch Erbauung zu lesen. Was er sprach, war weder gut noch schlecht, er malte mit grellen Farben das bekannte Doppelbild: „Die wohlgekleidete Familie am Theetisch, daneben der Trunkenbold, der seine Frau schlägt“, und ersetzte durch Stimmmittel was ihm an sonstigen Gaben gebrach; aber alles scheiterte, wenn nicht an der Verbrauchtheit der Mittel, so doch an der völligen Ungeeignetheit der Persönlichkeit. Der alte Herr glich einem behäbigen Farmer, jener wohlgenährten John Bull-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [108/0122]
fertig war und nur weiter sprach, um das Volk, das noch einen Schlußtrumpf zu erwarten schien, nicht unbefriedigt nach Hause gehen zu lassen. Ich zweifle aber, daß dieser Schluß in anderer Form zur Erkenntniß der Aushaltenden gekommen ist, als in der schließlichen Total-Erschöpfung des Redners.
Wir schritten High-Street weiter hinauf bis zur Stelle, wo Blair-Street auf den kleinen Platz, der Tron-Church umgiebt, ausmündet. Hier, in halber Zurückgezogenheit, von der Straße aus sichtbar und doch nicht direkt von ihrem Lärm berührt, hatte ein dicker alter Herr eine Kanzel, in Form eines Schulkatheders, bestiegen und predigte zu seinem Publikum. Das Auditorium war fast zahlreicher wie das, von dem wir eben kamen, aber minder aufmerksam, man kam und ging, sprach und kicherte; es war ersichtlich ein altes Lied, das man an dieser Stelle vernahm. Der alte Herr plaidirte für Mäßigkeit. Kein Zweifel, er gab sich die größte Mühe, aber auf den Gesichtern war weder Zustimmung noch Erbauung zu lesen. Was er sprach, war weder gut noch schlecht, er malte mit grellen Farben das bekannte Doppelbild: „Die wohlgekleidete Familie am Theetisch, daneben der Trunkenbold, der seine Frau schlägt“, und ersetzte durch Stimmmittel was ihm an sonstigen Gaben gebrach; aber alles scheiterte, wenn nicht an der Verbrauchtheit der Mittel, so doch an der völligen Ungeeignetheit der Persönlichkeit. Der alte Herr glich einem behäbigen Farmer, jener wohlgenährten John Bull-
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(2018-07-25T15:22:45Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T15:22:45Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen. Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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