Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.aufgeknüpft und alles schien vorüber. In diesem Augenblick aber sprang einer aus dem Volk auf's Schaffot, schnitt den bereits Entseelten ab und machte Miene, den Leichnam unter dem Jubel des Volkes fortzutragen. Das war zu viel für Porteus. Er sprang dem Uebelthäter nach, erschoß ihn auf der Stelle und commandirte "Feuer", als er das wüthend werdende Volk auf sich eindringen sah. Ein halbes Dutzend wurde getödtet, viele waren verwundet; man stob auseinander. Der Vorfall machte ein ungeheures Aufsehen; Hauptmann Porteus wurde eingezogen und endlich, angeklagt auf Mord und schnöden Mißbrauch dienstlicher Gewalt, vom Gerichtshofe einstimmig zum Tode verurtheilt. Der Tag der Hinrichtung wurde festgesetzt; das Volk jubelte; der Graßmarket hatte sich mit Tausenden gefüllt. Man wartete und wartete, die Stunde war längst vorüber, der Verurtheilte erschien nicht, endlich hieß es: "man habe ihn in London begnadigt." So war es in der That. Das Volk hörte die Nachricht scheinbar ruhig an und verlief sich dann. Das war in der Mittagsstunde. Um Mitternacht hörte man dumpfen Trommelschlag in High-Street und wo immer das Wirbeln gehört wurde, aus allen Höfen und Gassen, kam das Volk herbei; in einer halben Stunde waren mehrere Tausend beisammen; immer mehr schlossen sich dem gespenstischen Tambour an, kein Wort wurde laut, jeder wußte, um was es sich handelte. Die Thore wurden geschlossen, die Stadtsoldaten entwaffnet und einige hundert Mann aufgeknüpft und alles schien vorüber. In diesem Augenblick aber sprang einer aus dem Volk auf’s Schaffot, schnitt den bereits Entseelten ab und machte Miene, den Leichnam unter dem Jubel des Volkes fortzutragen. Das war zu viel für Porteus. Er sprang dem Uebelthäter nach, erschoß ihn auf der Stelle und commandirte „Feuer“, als er das wüthend werdende Volk auf sich eindringen sah. Ein halbes Dutzend wurde getödtet, viele waren verwundet; man stob auseinander. Der Vorfall machte ein ungeheures Aufsehen; Hauptmann Porteus wurde eingezogen und endlich, angeklagt auf Mord und schnöden Mißbrauch dienstlicher Gewalt, vom Gerichtshofe einstimmig zum Tode verurtheilt. Der Tag der Hinrichtung wurde festgesetzt; das Volk jubelte; der Graßmarket hatte sich mit Tausenden gefüllt. Man wartete und wartete, die Stunde war längst vorüber, der Verurtheilte erschien nicht, endlich hieß es: „man habe ihn in London begnadigt.“ So war es in der That. Das Volk hörte die Nachricht scheinbar ruhig an und verlief sich dann. Das war in der Mittagsstunde. Um Mitternacht hörte man dumpfen Trommelschlag in High-Street und wo immer das Wirbeln gehört wurde, aus allen Höfen und Gassen, kam das Volk herbei; in einer halben Stunde waren mehrere Tausend beisammen; immer mehr schlossen sich dem gespenstischen Tambour an, kein Wort wurde laut, jeder wußte, um was es sich handelte. Die Thore wurden geschlossen, die Stadtsoldaten entwaffnet und einige hundert Mann <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0104" n="90"/> aufgeknüpft und alles schien vorüber. In diesem Augenblick aber sprang einer aus dem Volk auf’s Schaffot, schnitt den bereits Entseelten ab und machte Miene, den Leichnam unter dem Jubel des Volkes fortzutragen. Das war zu viel für Porteus. Er sprang dem Uebelthäter nach, erschoß ihn auf der Stelle und commandirte „Feuer“, als er das wüthend werdende Volk auf sich eindringen sah. Ein halbes Dutzend wurde getödtet, viele waren verwundet; man stob auseinander. Der Vorfall machte ein ungeheures Aufsehen; Hauptmann Porteus wurde eingezogen und endlich, angeklagt auf Mord und schnöden Mißbrauch dienstlicher Gewalt, vom Gerichtshofe einstimmig zum Tode verurtheilt. Der Tag der Hinrichtung wurde festgesetzt; das Volk jubelte; der Graßmarket hatte sich mit Tausenden gefüllt. Man wartete und wartete, die Stunde war längst vorüber, der Verurtheilte erschien nicht, endlich hieß es: „man habe ihn in London begnadigt.“ So war es in der That. Das Volk hörte die Nachricht scheinbar ruhig an und verlief sich dann. Das war in der Mittagsstunde. Um Mitternacht hörte man dumpfen Trommelschlag in High-Street und wo immer das Wirbeln gehört wurde, aus allen Höfen und Gassen, kam das Volk herbei; in einer halben Stunde waren mehrere Tausend beisammen; immer mehr schlossen sich dem gespenstischen Tambour an, kein Wort wurde laut, jeder wußte, um was es sich handelte. Die Thore wurden geschlossen, die Stadtsoldaten entwaffnet und einige hundert Mann<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [90/0104]
aufgeknüpft und alles schien vorüber. In diesem Augenblick aber sprang einer aus dem Volk auf’s Schaffot, schnitt den bereits Entseelten ab und machte Miene, den Leichnam unter dem Jubel des Volkes fortzutragen. Das war zu viel für Porteus. Er sprang dem Uebelthäter nach, erschoß ihn auf der Stelle und commandirte „Feuer“, als er das wüthend werdende Volk auf sich eindringen sah. Ein halbes Dutzend wurde getödtet, viele waren verwundet; man stob auseinander. Der Vorfall machte ein ungeheures Aufsehen; Hauptmann Porteus wurde eingezogen und endlich, angeklagt auf Mord und schnöden Mißbrauch dienstlicher Gewalt, vom Gerichtshofe einstimmig zum Tode verurtheilt. Der Tag der Hinrichtung wurde festgesetzt; das Volk jubelte; der Graßmarket hatte sich mit Tausenden gefüllt. Man wartete und wartete, die Stunde war längst vorüber, der Verurtheilte erschien nicht, endlich hieß es: „man habe ihn in London begnadigt.“ So war es in der That. Das Volk hörte die Nachricht scheinbar ruhig an und verlief sich dann. Das war in der Mittagsstunde. Um Mitternacht hörte man dumpfen Trommelschlag in High-Street und wo immer das Wirbeln gehört wurde, aus allen Höfen und Gassen, kam das Volk herbei; in einer halben Stunde waren mehrere Tausend beisammen; immer mehr schlossen sich dem gespenstischen Tambour an, kein Wort wurde laut, jeder wußte, um was es sich handelte. Die Thore wurden geschlossen, die Stadtsoldaten entwaffnet und einige hundert Mann
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/104>, abgerufen am 22.07.2024. |