Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.hinwegzutreten. Der einzige Ort, wo wir noch einen Augenblick zu verweilen haben, ist der Graßmarket selbst. Die Häuser sind hier besser, geräumiger, saubrer, erinnern an die soliden Bauten in High-Street und mögen vor zwei, dreihundert Jahren eine Zierde Alt-Edinburgs gewesen sein. Das "Castle" überragt nach Norden hin diesen Platz, blickt dominirend auf denselben herab. Ziemlich in der Mitte des Platzes befindet sich ein mit weißen Steinen ausgelegtes Kreuz, um die Stelle zu bezeichnen, wo in "guten alten Zeiten" der Galgen stand. Er hatte eine Zeit lang eine gefährliche Concurrenz mit dem "City-Croß" zu bestehen, wo, wie ich an andrer Stelle erzählt habe, die Häupter Montrose's, Huntley's und der beiden Argyle's fielen, aber vielleicht gerade der Umstand, daß in verhältnißmäßig kurzer Zeit so viel edles Blut auf die Steine von High-Street floß, brachte zwischen den beiden Rivalen ein für allemal einen Compromiß zu Stande, und während das City-Croß für die Partheihäupter des Adels blieb, fiel der Rest des Publikums dem Graßmarket zu. Es war eine aristokratische Theilung zwischen Schwert und Strick. Der Graßmarket und das Steinkreuz in der Mitte wissen viel zu erzählen, ich greife indeß aus der Fülle ihrer Ueberlieferungen nur eine heraus, die im Gedächtniß der Edinburger fortlebt bis auf diesen Tag, vielleicht weil man stolz ist auf den ganzen Vorgang und auf den Muth, die Independence und das starre Rechtsgefühl, das sich darin ausspricht. Man hört die Geschichte mit einer hinwegzutreten. Der einzige Ort, wo wir noch einen Augenblick zu verweilen haben, ist der Graßmarket selbst. Die Häuser sind hier besser, geräumiger, saubrer, erinnern an die soliden Bauten in High-Street und mögen vor zwei, dreihundert Jahren eine Zierde Alt-Edinburgs gewesen sein. Das „Castle“ überragt nach Norden hin diesen Platz, blickt dominirend auf denselben herab. Ziemlich in der Mitte des Platzes befindet sich ein mit weißen Steinen ausgelegtes Kreuz, um die Stelle zu bezeichnen, wo in „guten alten Zeiten“ der Galgen stand. Er hatte eine Zeit lang eine gefährliche Concurrenz mit dem „City-Croß“ zu bestehen, wo, wie ich an andrer Stelle erzählt habe, die Häupter Montrose’s, Huntley’s und der beiden Argyle’s fielen, aber vielleicht gerade der Umstand, daß in verhältnißmäßig kurzer Zeit so viel edles Blut auf die Steine von High-Street floß, brachte zwischen den beiden Rivalen ein für allemal einen Compromiß zu Stande, und während das City-Croß für die Partheihäupter des Adels blieb, fiel der Rest des Publikums dem Graßmarket zu. Es war eine aristokratische Theilung zwischen Schwert und Strick. Der Graßmarket und das Steinkreuz in der Mitte wissen viel zu erzählen, ich greife indeß aus der Fülle ihrer Ueberlieferungen nur eine heraus, die im Gedächtniß der Edinburger fortlebt bis auf diesen Tag, vielleicht weil man stolz ist auf den ganzen Vorgang und auf den Muth, die Independence und das starre Rechtsgefühl, das sich darin ausspricht. Man hört die Geschichte mit einer <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0102" n="88"/> hinwegzutreten. Der einzige Ort, wo wir noch einen Augenblick zu verweilen haben, ist der Graßmarket selbst. Die Häuser sind hier besser, geräumiger, saubrer, erinnern an die soliden Bauten in High-Street und mögen vor zwei, dreihundert Jahren eine Zierde Alt-Edinburgs gewesen sein. Das „Castle“ überragt nach Norden hin diesen Platz, blickt dominirend auf denselben herab. Ziemlich in der Mitte des Platzes befindet sich ein mit weißen Steinen ausgelegtes Kreuz, um die Stelle zu bezeichnen, wo in „guten alten Zeiten“ der Galgen stand. Er hatte eine Zeit lang eine gefährliche Concurrenz mit dem „City-Croß“ zu bestehen, wo, wie ich an andrer Stelle erzählt habe, die Häupter Montrose’s, Huntley’s und der beiden Argyle’s fielen, aber vielleicht gerade der Umstand, daß in verhältnißmäßig kurzer Zeit so viel edles Blut auf die Steine von High-Street floß, brachte zwischen den beiden Rivalen ein für allemal einen Compromiß zu Stande, und während das City-Croß für die Partheihäupter des Adels blieb, fiel der Rest des Publikums dem Graßmarket zu. Es war eine aristokratische Theilung zwischen <hi rendition="#g">Schwert</hi> und <hi rendition="#g">Strick</hi>.</p><lb/> <p>Der Graßmarket und das Steinkreuz in der Mitte wissen viel zu erzählen, ich greife indeß aus der Fülle ihrer Ueberlieferungen nur eine heraus, die im Gedächtniß der Edinburger fortlebt bis auf diesen Tag, vielleicht weil man stolz ist auf den ganzen Vorgang und auf den Muth, die Independence und das starre Rechtsgefühl, das sich darin ausspricht. Man hört die Geschichte mit einer<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [88/0102]
hinwegzutreten. Der einzige Ort, wo wir noch einen Augenblick zu verweilen haben, ist der Graßmarket selbst. Die Häuser sind hier besser, geräumiger, saubrer, erinnern an die soliden Bauten in High-Street und mögen vor zwei, dreihundert Jahren eine Zierde Alt-Edinburgs gewesen sein. Das „Castle“ überragt nach Norden hin diesen Platz, blickt dominirend auf denselben herab. Ziemlich in der Mitte des Platzes befindet sich ein mit weißen Steinen ausgelegtes Kreuz, um die Stelle zu bezeichnen, wo in „guten alten Zeiten“ der Galgen stand. Er hatte eine Zeit lang eine gefährliche Concurrenz mit dem „City-Croß“ zu bestehen, wo, wie ich an andrer Stelle erzählt habe, die Häupter Montrose’s, Huntley’s und der beiden Argyle’s fielen, aber vielleicht gerade der Umstand, daß in verhältnißmäßig kurzer Zeit so viel edles Blut auf die Steine von High-Street floß, brachte zwischen den beiden Rivalen ein für allemal einen Compromiß zu Stande, und während das City-Croß für die Partheihäupter des Adels blieb, fiel der Rest des Publikums dem Graßmarket zu. Es war eine aristokratische Theilung zwischen Schwert und Strick.
Der Graßmarket und das Steinkreuz in der Mitte wissen viel zu erzählen, ich greife indeß aus der Fülle ihrer Ueberlieferungen nur eine heraus, die im Gedächtniß der Edinburger fortlebt bis auf diesen Tag, vielleicht weil man stolz ist auf den ganzen Vorgang und auf den Muth, die Independence und das starre Rechtsgefühl, das sich darin ausspricht. Man hört die Geschichte mit einer
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/102>, abgerufen am 22.07.2024. |