Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.

Bild:
<< vorherige Seite

Winkeln aber war Alles still; ein Bischen Sonnenschein, spärlich zugemessen wie ein Sonntagsgericht, fiel in die Gassen hinein, weniger um sie zu verschönen, als vielmehr um ihre Häßlichkeit zu zeigen. Ich guckte in einige dieser Winkelgassen hinein, der Wochenschmutz war in irgend einen Winkel zusammengekehrt, nicht weggenommen. So kam mir das ganze Leben dieses Platzes vor: alles bei Seite gekehrt auf ein paar Stunden, aber doch immer da und immer bereit, sich wieder als sich selbst zu bewähren.

Alle diese Gassen, die unmittelbar am Südabhang des Hügels, also im Rücken desselben und versteckt vor den Blicken gäng und geber Edinburg-Besucher liegen, sind durchweg von niedrigem und abstoßendem Charakter und zählen mit zu dem schlimmsten, was ich derart gesehen habe. Die verrufensten Quartiere Londons sind, im Vergleich damit, wohnliche und einladende Plätze, was seinen Grund überwiegend darin hat, daß diese Edinburger Häuser alt und baufällig, die Londoner Armenquartiere hingegen verhältnißmäßig neu, die Straßen breit und mit Abzugskanälen versehen sind. Man kann freilich nicht leugnen, daß auch selbst diesem Theile Alt-Edinburgs noch ein gewisser malerischer Reiz anhaftet und daß es nicht ohne Interesse ist, vom Graßmarket aus in Cowgate oder Westport hineinzublicken, aber das bunte Bild, das man hat, wird so sehr auf Kosten der andern Sinne erkauft, daß es einem nicht schwer fällt von den Bildern dieses Guckkastens wieder

Winkeln aber war Alles still; ein Bischen Sonnenschein, spärlich zugemessen wie ein Sonntagsgericht, fiel in die Gassen hinein, weniger um sie zu verschönen, als vielmehr um ihre Häßlichkeit zu zeigen. Ich guckte in einige dieser Winkelgassen hinein, der Wochenschmutz war in irgend einen Winkel zusammengekehrt, nicht weggenommen. So kam mir das ganze Leben dieses Platzes vor: alles bei Seite gekehrt auf ein paar Stunden, aber doch immer da und immer bereit, sich wieder als sich selbst zu bewähren.

Alle diese Gassen, die unmittelbar am Südabhang des Hügels, also im Rücken desselben und versteckt vor den Blicken gäng und geber Edinburg-Besucher liegen, sind durchweg von niedrigem und abstoßendem Charakter und zählen mit zu dem schlimmsten, was ich derart gesehen habe. Die verrufensten Quartiere Londons sind, im Vergleich damit, wohnliche und einladende Plätze, was seinen Grund überwiegend darin hat, daß diese Edinburger Häuser alt und baufällig, die Londoner Armenquartiere hingegen verhältnißmäßig neu, die Straßen breit und mit Abzugskanälen versehen sind. Man kann freilich nicht leugnen, daß auch selbst diesem Theile Alt-Edinburgs noch ein gewisser malerischer Reiz anhaftet und daß es nicht ohne Interesse ist, vom Graßmarket aus in Cowgate oder Westport hineinzublicken, aber das bunte Bild, das man hat, wird so sehr auf Kosten der andern Sinne erkauft, daß es einem nicht schwer fällt von den Bildern dieses Guckkastens wieder

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0101" n="87"/>
Winkeln aber war Alles still; ein Bischen Sonnenschein, spärlich zugemessen wie ein Sonntagsgericht, fiel in die Gassen hinein, weniger um sie zu verschönen, als vielmehr um ihre Häßlichkeit zu zeigen. Ich guckte in einige dieser Winkelgassen hinein, der Wochenschmutz war in irgend einen Winkel <hi rendition="#g">zusammengekehrt, nicht weggenommen</hi>. So kam mir das ganze Leben dieses Platzes vor: alles bei Seite              gekehrt auf ein paar Stunden, aber doch immer da und immer bereit, sich wieder als sich              selbst zu bewähren.</p><lb/>
          <p>Alle diese Gassen, die unmittelbar am Südabhang des Hügels, also im Rücken desselben und versteckt vor den Blicken gäng und geber Edinburg-Besucher liegen, sind durchweg von niedrigem und abstoßendem Charakter und zählen mit zu dem schlimmsten, was ich derart gesehen habe. Die verrufensten Quartiere Londons sind, im Vergleich damit, wohnliche und einladende Plätze, was seinen Grund überwiegend darin hat, daß diese Edinburger Häuser alt und baufällig, die Londoner Armenquartiere hingegen <hi rendition="#g">verhältnißmäßig</hi> neu, die Straßen breit und mit Abzugskanälen versehen sind. Man kann freilich nicht leugnen, daß auch selbst diesem Theile Alt-Edinburgs noch ein gewisser malerischer Reiz anhaftet und daß es nicht ohne Interesse ist, vom Graßmarket aus in Cowgate oder Westport hineinzublicken, aber das bunte Bild, das man hat, wird so sehr auf Kosten der andern Sinne erkauft, daß es einem nicht schwer fällt von den Bildern dieses Guckkastens wieder<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0101] Winkeln aber war Alles still; ein Bischen Sonnenschein, spärlich zugemessen wie ein Sonntagsgericht, fiel in die Gassen hinein, weniger um sie zu verschönen, als vielmehr um ihre Häßlichkeit zu zeigen. Ich guckte in einige dieser Winkelgassen hinein, der Wochenschmutz war in irgend einen Winkel zusammengekehrt, nicht weggenommen. So kam mir das ganze Leben dieses Platzes vor: alles bei Seite gekehrt auf ein paar Stunden, aber doch immer da und immer bereit, sich wieder als sich selbst zu bewähren. Alle diese Gassen, die unmittelbar am Südabhang des Hügels, also im Rücken desselben und versteckt vor den Blicken gäng und geber Edinburg-Besucher liegen, sind durchweg von niedrigem und abstoßendem Charakter und zählen mit zu dem schlimmsten, was ich derart gesehen habe. Die verrufensten Quartiere Londons sind, im Vergleich damit, wohnliche und einladende Plätze, was seinen Grund überwiegend darin hat, daß diese Edinburger Häuser alt und baufällig, die Londoner Armenquartiere hingegen verhältnißmäßig neu, die Straßen breit und mit Abzugskanälen versehen sind. Man kann freilich nicht leugnen, daß auch selbst diesem Theile Alt-Edinburgs noch ein gewisser malerischer Reiz anhaftet und daß es nicht ohne Interesse ist, vom Graßmarket aus in Cowgate oder Westport hineinzublicken, aber das bunte Bild, das man hat, wird so sehr auf Kosten der andern Sinne erkauft, daß es einem nicht schwer fällt von den Bildern dieses Guckkastens wieder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T15:22:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T15:22:45Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen.

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Druckfehler: dokumentiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
  • i/j in Fraktur: keine Angabe;
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert;
  • Kolumnentitel: nicht übernommen;
  • Kustoden: keine Angabe;
  • langes s (ſ): als s transkribiert;
  • Normalisierungen: keine;
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;
  • Seitenumbrüche markiert: ja;
  • Silbentrennung: aufgelöst;
  • u/v bzw. U/V: keine Angabe;
  • Vokale mit übergest. e: keine Angabe;
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst;
  • Zeichensetzung: wie Vorlage;
  • Zeilenumbrüche markiert: nein.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/101
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/101>, abgerufen am 22.12.2024.