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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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lichkeit bleibt alles beim alten. Sie sind ein schlechter
Menschenkenner, Rex, wie alle Konventikler. Die glauben
immer, was sie wünschen. Und auch an unserm Stechlin
werden Sie mutmaßlich erfahren, wie falsch Sie gerechnet
haben. Im übrigen kommt da gerade zu rechter Zeit
ein Wegweiser. Lassen Sie uns nachsehen, wo wir eigent¬
lich sind. Wir reiten so immer drauf los und wissen
nicht mehr, ob links oder rechts."

Rex, der von dem Wegweiser nichts wissen wollte,
war einfach für Weiterreiten, und das war auch das
richtige. Denn keine halbe Stunde mehr, so holte Stechlin
sie wieder ein. "Ich wußte, daß ich Sie noch vor Gens¬
hagen treffen würde. Die Frau Oberförsterin läßt sich
übrigens den Herren empfehlen. Er war nicht da, was
recht gut war."

"Kann ich mir denken," sagte Czako.

"Und was noch besser war, sie sah brillant aus.
Eigentlich ist sie nicht hübsch, Blondine mit großen Ver¬
gißmeinnichtaugen und etwas lymphatisch; auch wohl nicht
ganz gesund. Aber sonderbar, solche Damen, wenn was
in Sicht steht, sehen immer besser aus als in natürlicher
Verfassung, ein Zustand, der allerdings bei der Katzler
kaum vorkommt. Sie ist noch nicht volle sechs Jahre
verheiratet und erwartet mit nächstem das Siebente."

"Das ist aber doch unerhört. Ich glaube, so was
ist Scheidungsgrund."

"Mir nicht bekannt und auch, offen gestanden, nicht
sehr wahrscheinlich. Jedenfalls wird es die Prinzessin
nicht als Scheidungsgrund nehmen."

"Die Prinzessin?" fuhren Rex und Czako a tempo
heraus.

"Ja, die Prinzessin," wiederholte Woldemar. "Ich
war all die Zeit über gespannt, was das wohl für einen
Eindruck auf Sie machen würde, weshalb ich mich auch
gehütet habe, vorher mit Andeutungen zu kommen. Und

lichkeit bleibt alles beim alten. Sie ſind ein ſchlechter
Menſchenkenner, Rex, wie alle Konventikler. Die glauben
immer, was ſie wünſchen. Und auch an unſerm Stechlin
werden Sie mutmaßlich erfahren, wie falſch Sie gerechnet
haben. Im übrigen kommt da gerade zu rechter Zeit
ein Wegweiſer. Laſſen Sie uns nachſehen, wo wir eigent¬
lich ſind. Wir reiten ſo immer drauf los und wiſſen
nicht mehr, ob links oder rechts.“

Rex, der von dem Wegweiſer nichts wiſſen wollte,
war einfach für Weiterreiten, und das war auch das
richtige. Denn keine halbe Stunde mehr, ſo holte Stechlin
ſie wieder ein. „Ich wußte, daß ich Sie noch vor Gens¬
hagen treffen würde. Die Frau Oberförſterin läßt ſich
übrigens den Herren empfehlen. Er war nicht da, was
recht gut war.“

„Kann ich mir denken,“ ſagte Czako.

„Und was noch beſſer war, ſie ſah brillant aus.
Eigentlich iſt ſie nicht hübſch, Blondine mit großen Ver¬
gißmeinnichtaugen und etwas lymphatiſch; auch wohl nicht
ganz geſund. Aber ſonderbar, ſolche Damen, wenn was
in Sicht ſteht, ſehen immer beſſer aus als in natürlicher
Verfaſſung, ein Zuſtand, der allerdings bei der Katzler
kaum vorkommt. Sie iſt noch nicht volle ſechs Jahre
verheiratet und erwartet mit nächſtem das Siebente.“

„Das iſt aber doch unerhört. Ich glaube, ſo was
iſt Scheidungsgrund.“

„Mir nicht bekannt und auch, offen geſtanden, nicht
ſehr wahrſcheinlich. Jedenfalls wird es die Prinzeſſin
nicht als Scheidungsgrund nehmen.“

„Die Prinzeſſin?“ fuhren Rex und Czako a tempo
heraus.

„Ja, die Prinzeſſin,“ wiederholte Woldemar. „Ich
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[89/0096] lichkeit bleibt alles beim alten. Sie ſind ein ſchlechter Menſchenkenner, Rex, wie alle Konventikler. Die glauben immer, was ſie wünſchen. Und auch an unſerm Stechlin werden Sie mutmaßlich erfahren, wie falſch Sie gerechnet haben. Im übrigen kommt da gerade zu rechter Zeit ein Wegweiſer. Laſſen Sie uns nachſehen, wo wir eigent¬ lich ſind. Wir reiten ſo immer drauf los und wiſſen nicht mehr, ob links oder rechts.“ Rex, der von dem Wegweiſer nichts wiſſen wollte, war einfach für Weiterreiten, und das war auch das richtige. Denn keine halbe Stunde mehr, ſo holte Stechlin ſie wieder ein. „Ich wußte, daß ich Sie noch vor Gens¬ hagen treffen würde. Die Frau Oberförſterin läßt ſich übrigens den Herren empfehlen. Er war nicht da, was recht gut war.“ „Kann ich mir denken,“ ſagte Czako. „Und was noch beſſer war, ſie ſah brillant aus. Eigentlich iſt ſie nicht hübſch, Blondine mit großen Ver¬ gißmeinnichtaugen und etwas lymphatiſch; auch wohl nicht ganz geſund. Aber ſonderbar, ſolche Damen, wenn was in Sicht ſteht, ſehen immer beſſer aus als in natürlicher Verfaſſung, ein Zuſtand, der allerdings bei der Katzler kaum vorkommt. Sie iſt noch nicht volle ſechs Jahre verheiratet und erwartet mit nächſtem das Siebente.“ „Das iſt aber doch unerhört. Ich glaube, ſo was iſt Scheidungsgrund.“ „Mir nicht bekannt und auch, offen geſtanden, nicht ſehr wahrſcheinlich. Jedenfalls wird es die Prinzeſſin nicht als Scheidungsgrund nehmen.“ „Die Prinzeſſin?“ fuhren Rex und Czako a tempo heraus. „Ja, die Prinzeſſin,“ wiederholte Woldemar. „Ich war all die Zeit über geſpannt, was das wohl für einen Eindruck auf Sie machen würde, weshalb ich mich auch gehütet habe, vorher mit Andeutungen zu kommen. Und

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/96>, abgerufen am 07.05.2024.