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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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und Purzelbäumen überschlägt. Aber von solchem Ge¬
folge habe ich noch nicht viel gesehen. Baruch ist freilich
hier gewesen und dann Koseleger und dann die Prin¬
zessin, aber der, der so halb ex officio kommen sollte,
der kommt nicht und schickt höchstens mal die Kulicke
oder die Elfriede mit 'ner Anfrage. Sterben und ver¬
derben kann man. Und das heißt dann Seelsorge."

Lorenzen lächelte. "Herr von Stechlin, Ihre Seele
macht mir, trotz dieser meiner Vernachlässigung keine Sorge,
denn sie zählt zu denen, die jeder Spezialempfehlung
entbehren können. Lassen Sie mich sehr menschlich, ja
für einen Pfarrer beinah lästerlich sprechen. Aber ich
muß es. Ich lebe nämlich der Überzeugung, der liebe
Gott, wenn es mal so weit ist, freut sich, Sie wieder¬
zusehen. Ich sage, wenn es so weit ist. Aber es ist
noch nicht so weit."

"Ich weiß nicht, Lorenzen, ob Sie recht haben.
Jedenfalls aber befind' ich mich in meinem derzeitig
erträglichen Zustande nur mit Hilfe der Buschen, und
ob mich das nach obenhin besonders empfehlen kann,
ist mir zweifelhaft. Aber lassen wir die heikle Frage.
Erzählen Sie mir lieber etwas recht Hübsches und
Heiteres, auch wenn es nebenher etwas ganz Altes ist,
etwa das, was man früher Miscellen nannte. Das ist
mir immer das liebste gewesen und ist es noch. Was
ich da so in den Zeitungen lese, voran das Politische,
das weiß ich schon immer alles, und was ich von
Engelke höre, das weiß ich auch. Beiläufig -- natürlich nur
vom alleregoistischsten Zeitungsleserstandpunkt aus --
ein wahres Glück, daß es Unglücksfälle giebt, sonst hätte man
von der Zeitungslektüre so gut wie gar nichts. Aber Sie,
Sie lesen auch sonst noch allerlei, mitunter sogar Gutes
(freilich nur selten), und haben ein wundervolles Ge¬
dächtnis für Räubergeschichten und Anekdoten aus allen
fünf Weltteilen. Außerdem sind Sie Friederikus-Rex¬

und Purzelbäumen überſchlägt. Aber von ſolchem Ge¬
folge habe ich noch nicht viel geſehen. Baruch iſt freilich
hier geweſen und dann Koſeleger und dann die Prin¬
zeſſin, aber der, der ſo halb ex officio kommen ſollte,
der kommt nicht und ſchickt höchſtens mal die Kulicke
oder die Elfriede mit 'ner Anfrage. Sterben und ver¬
derben kann man. Und das heißt dann Seelſorge.“

Lorenzen lächelte. „Herr von Stechlin, Ihre Seele
macht mir, trotz dieſer meiner Vernachläſſigung keine Sorge,
denn ſie zählt zu denen, die jeder Spezialempfehlung
entbehren können. Laſſen Sie mich ſehr menſchlich, ja
für einen Pfarrer beinah läſterlich ſprechen. Aber ich
muß es. Ich lebe nämlich der Überzeugung, der liebe
Gott, wenn es mal ſo weit iſt, freut ſich, Sie wieder¬
zuſehen. Ich ſage, wenn es ſo weit iſt. Aber es iſt
noch nicht ſo weit.“

„Ich weiß nicht, Lorenzen, ob Sie recht haben.
Jedenfalls aber befind' ich mich in meinem derzeitig
erträglichen Zuſtande nur mit Hilfe der Buſchen, und
ob mich das nach obenhin beſonders empfehlen kann,
iſt mir zweifelhaft. Aber laſſen wir die heikle Frage.
Erzählen Sie mir lieber etwas recht Hübſches und
Heiteres, auch wenn es nebenher etwas ganz Altes iſt,
etwa das, was man früher Miſcellen nannte. Das iſt
mir immer das liebſte geweſen und iſt es noch. Was
ich da ſo in den Zeitungen leſe, voran das Politiſche,
das weiß ich ſchon immer alles, und was ich von
Engelke höre, das weiß ich auch. Beiläufig — natürlich nur
vom alleregoiſtiſchſten Zeitungsleſerſtandpunkt aus —
ein wahres Glück, daß es Unglücksfälle giebt, ſonſt hätte man
von der Zeitungslektüre ſo gut wie gar nichts. Aber Sie,
Sie leſen auch ſonſt noch allerlei, mitunter ſogar Gutes
(freilich nur ſelten), und haben ein wundervolles Ge¬
dächtnis für Räubergeſchichten und Anekdoten aus allen
fünf Weltteilen. Außerdem ſind Sie Friederikus-Rex¬

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[450/0457] und Purzelbäumen überſchlägt. Aber von ſolchem Ge¬ folge habe ich noch nicht viel geſehen. Baruch iſt freilich hier geweſen und dann Koſeleger und dann die Prin¬ zeſſin, aber der, der ſo halb ex officio kommen ſollte, der kommt nicht und ſchickt höchſtens mal die Kulicke oder die Elfriede mit 'ner Anfrage. Sterben und ver¬ derben kann man. Und das heißt dann Seelſorge.“ Lorenzen lächelte. „Herr von Stechlin, Ihre Seele macht mir, trotz dieſer meiner Vernachläſſigung keine Sorge, denn ſie zählt zu denen, die jeder Spezialempfehlung entbehren können. Laſſen Sie mich ſehr menſchlich, ja für einen Pfarrer beinah läſterlich ſprechen. Aber ich muß es. Ich lebe nämlich der Überzeugung, der liebe Gott, wenn es mal ſo weit iſt, freut ſich, Sie wieder¬ zuſehen. Ich ſage, wenn es ſo weit iſt. Aber es iſt noch nicht ſo weit.“ „Ich weiß nicht, Lorenzen, ob Sie recht haben. Jedenfalls aber befind' ich mich in meinem derzeitig erträglichen Zuſtande nur mit Hilfe der Buſchen, und ob mich das nach obenhin beſonders empfehlen kann, iſt mir zweifelhaft. Aber laſſen wir die heikle Frage. Erzählen Sie mir lieber etwas recht Hübſches und Heiteres, auch wenn es nebenher etwas ganz Altes iſt, etwa das, was man früher Miſcellen nannte. Das iſt mir immer das liebſte geweſen und iſt es noch. Was ich da ſo in den Zeitungen leſe, voran das Politiſche, das weiß ich ſchon immer alles, und was ich von Engelke höre, das weiß ich auch. Beiläufig — natürlich nur vom alleregoiſtiſchſten Zeitungsleſerſtandpunkt aus — ein wahres Glück, daß es Unglücksfälle giebt, ſonſt hätte man von der Zeitungslektüre ſo gut wie gar nichts. Aber Sie, Sie leſen auch ſonſt noch allerlei, mitunter ſogar Gutes (freilich nur ſelten), und haben ein wundervolles Ge¬ dächtnis für Räubergeſchichten und Anekdoten aus allen fünf Weltteilen. Außerdem ſind Sie Friederikus-Rex¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/457>, abgerufen am 17.05.2024.