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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Ja, gnäd'ger Herr. Superintendent Koseleger. Er
sieht sehr wohl aus, und ganz blank."

"Was es doch für merkwürdige Tage giebt. Heute,
(du sollst sehn), ist wieder so einer. Mit Moscheles
fing's an. Sage dem Herrn Superintendenten, ich ließe
bitten."

"Ich komme hoffentlich zu guter Stunde, Herr von
Stechlin."

"Zur allerbesten, Herr Superintendent. Eben war
der neue Doktor hier. Und eine Viertelstunde, wenn's
mit dem "praesente medico" nur ein ganz klein wenig
auf sich hat, muß solche Doktorgegenwart doch wohl noch
nachwirken."

"Sicher, sicher. Und dieser Moscheles soll sehr ge¬
scheit sein. Die Wiener und Prager verstehn es; nament¬
lich alles, was nach der Seite hin liegt."

"Ja," sagte Dubslav, "nach der Seite hin," und
wies auf Brust und Herz. "Aber, offen gestanden, nach
mancher andern Seite hin ist mir dieser Moscheles nicht
sehr sympathisch. Er faßt seinen Stock so sonderbar
an und schlenkert auch so."

"Ja, so was muß man unter Umständen mit in
den Kauf nehmen. Und dann heißt es ja auch, der
Major von Stechlin habe mehr oder weniger einen philo¬
semitischen Zug."

"Den hat der Major von Stechlin auch wirklich, weil
er Unchristlichkeiten nicht leiden kann und Prinzipien¬
reitereien erst recht nicht. Ich gehöre zu denen, die
sich immer den Einzelfall ansehn. Aber freilich, mancher
Einzelfall gefällt mir nicht. So zum Beispiel der hier
mit dem neuen Doktor. Und auch mein alter Baruch
Hirschfeld, den der Herr Superintendent mutmaßlich kennen
werden, auch der gefällt mir nicht mehr so recht. Ich
hielt große Stücke von ihm, aber -- vielleicht daß sein

„Ja, gnäd'ger Herr. Superintendent Koſeleger. Er
ſieht ſehr wohl aus, und ganz blank.“

„Was es doch für merkwürdige Tage giebt. Heute,
(du ſollſt ſehn), iſt wieder ſo einer. Mit Moſcheles
fing's an. Sage dem Herrn Superintendenten, ich ließe
bitten.“

„Ich komme hoffentlich zu guter Stunde, Herr von
Stechlin.“

„Zur allerbeſten, Herr Superintendent. Eben war
der neue Doktor hier. Und eine Viertelſtunde, wenn's
mit dem „praesente medico“ nur ein ganz klein wenig
auf ſich hat, muß ſolche Doktorgegenwart doch wohl noch
nachwirken.“

„Sicher, ſicher. Und dieſer Moſcheles ſoll ſehr ge¬
ſcheit ſein. Die Wiener und Prager verſtehn es; nament¬
lich alles, was nach der Seite hin liegt.“

„Ja,“ ſagte Dubslav, „nach der Seite hin,“ und
wies auf Bruſt und Herz. „Aber, offen geſtanden, nach
mancher andern Seite hin iſt mir dieſer Moſcheles nicht
ſehr ſympathiſch. Er faßt ſeinen Stock ſo ſonderbar
an und ſchlenkert auch ſo.“

„Ja, ſo was muß man unter Umſtänden mit in
den Kauf nehmen. Und dann heißt es ja auch, der
Major von Stechlin habe mehr oder weniger einen philo¬
ſemitiſchen Zug.“

„Den hat der Major von Stechlin auch wirklich, weil
er Unchriſtlichkeiten nicht leiden kann und Prinzipien¬
reitereien erſt recht nicht. Ich gehöre zu denen, die
ſich immer den Einzelfall anſehn. Aber freilich, mancher
Einzelfall gefällt mir nicht. So zum Beiſpiel der hier
mit dem neuen Doktor. Und auch mein alter Baruch
Hirſchfeld, den der Herr Superintendent mutmaßlich kennen
werden, auch der gefällt mir nicht mehr ſo recht. Ich
hielt große Stücke von ihm, aber — vielleicht daß ſein

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[428/0435] „Ja, gnäd'ger Herr. Superintendent Koſeleger. Er ſieht ſehr wohl aus, und ganz blank.“ „Was es doch für merkwürdige Tage giebt. Heute, (du ſollſt ſehn), iſt wieder ſo einer. Mit Moſcheles fing's an. Sage dem Herrn Superintendenten, ich ließe bitten.“ „Ich komme hoffentlich zu guter Stunde, Herr von Stechlin.“ „Zur allerbeſten, Herr Superintendent. Eben war der neue Doktor hier. Und eine Viertelſtunde, wenn's mit dem „praesente medico“ nur ein ganz klein wenig auf ſich hat, muß ſolche Doktorgegenwart doch wohl noch nachwirken.“ „Sicher, ſicher. Und dieſer Moſcheles ſoll ſehr ge¬ ſcheit ſein. Die Wiener und Prager verſtehn es; nament¬ lich alles, was nach der Seite hin liegt.“ „Ja,“ ſagte Dubslav, „nach der Seite hin,“ und wies auf Bruſt und Herz. „Aber, offen geſtanden, nach mancher andern Seite hin iſt mir dieſer Moſcheles nicht ſehr ſympathiſch. Er faßt ſeinen Stock ſo ſonderbar an und ſchlenkert auch ſo.“ „Ja, ſo was muß man unter Umſtänden mit in den Kauf nehmen. Und dann heißt es ja auch, der Major von Stechlin habe mehr oder weniger einen philo¬ ſemitiſchen Zug.“ „Den hat der Major von Stechlin auch wirklich, weil er Unchriſtlichkeiten nicht leiden kann und Prinzipien¬ reitereien erſt recht nicht. Ich gehöre zu denen, die ſich immer den Einzelfall anſehn. Aber freilich, mancher Einzelfall gefällt mir nicht. So zum Beiſpiel der hier mit dem neuen Doktor. Und auch mein alter Baruch Hirſchfeld, den der Herr Superintendent mutmaßlich kennen werden, auch der gefällt mir nicht mehr ſo recht. Ich hielt große Stücke von ihm, aber — vielleicht daß ſein

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/435>, abgerufen am 25.11.2024.