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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Herkömmliche. Der alte Stechlin fing an und der Pastor
folgte. Wenigstens schien es mir so."

"Dann bin ich beruhigt, vorausgesetzt, daß Melu¬
sine über den neuen Schwiegervater ihren richtigen alten
Vater nicht vergißt."

Sie ging auf ihn zu und küßte ihm die Hand.

"Dann bin ich beruhigt," wiederholte der Alte.
"Melusine gefällt fast immer. Aber manchem gefällt sie
freilich auch nicht. Es giebt so viele Menschen, die
haben einen natürlichen Haß gegen alles, was liebens¬
würdig ist, weil sie selber unliebenswürdig sind. Alle
beschränkten und aufgesteiften Individuen, alle, die eine
bornierte Vorstellung vom Christentum haben -- das
richtige sieht ganz anders aus -- alle Pharisäer und
Gernegroß, alle Selbstgerechten und Eiteln fühlen sich
durch Personen wie Melusine gekränkt und verletzt, und
wenn sich der alte Stechlin in Melusine verliebt hat,
dann lieb' ich ihn schon darum, denn er ist dann eben
ein guter Mensch. Mehr brauch' ich von ihm gar nicht
zu wissen. Übrigens konnt' es kaum anders sein. Der
Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Aber auch um¬
gekehrt: wenn ich den Apfel kenne, kenn' ich auch den
Stamm ... Und wer war denn noch da? Ich meine,
von Verwandtschaft?"

"Nur noch Tante Adelheid von Kloster Wutz,"
sagte Armgard.

"Das ist die Schwester des Alten?"

"Ja, Papa. Ältere Schwester. Wohl um zehn
Jahr älter und auch nur Halbschwester. Und eine
Domina."

"Sehr fromm?"

"Das wohl eigentlich nicht."

"Du bist so einsilbig, Sie scheint dir nicht recht
gefallen zu haben."

Armgard schwieg.

Herkömmliche. Der alte Stechlin fing an und der Paſtor
folgte. Wenigſtens ſchien es mir ſo.“

„Dann bin ich beruhigt, vorausgeſetzt, daß Melu¬
ſine über den neuen Schwiegervater ihren richtigen alten
Vater nicht vergißt.“

Sie ging auf ihn zu und küßte ihm die Hand.

„Dann bin ich beruhigt,“ wiederholte der Alte.
„Meluſine gefällt faſt immer. Aber manchem gefällt ſie
freilich auch nicht. Es giebt ſo viele Menſchen, die
haben einen natürlichen Haß gegen alles, was liebens¬
würdig iſt, weil ſie ſelber unliebenswürdig ſind. Alle
beſchränkten und aufgeſteiften Individuen, alle, die eine
bornierte Vorſtellung vom Chriſtentum haben — das
richtige ſieht ganz anders aus — alle Phariſäer und
Gernegroß, alle Selbſtgerechten und Eiteln fühlen ſich
durch Perſonen wie Meluſine gekränkt und verletzt, und
wenn ſich der alte Stechlin in Meluſine verliebt hat,
dann lieb' ich ihn ſchon darum, denn er iſt dann eben
ein guter Menſch. Mehr brauch' ich von ihm gar nicht
zu wiſſen. Übrigens konnt' es kaum anders ſein. Der
Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Aber auch um¬
gekehrt: wenn ich den Apfel kenne, kenn' ich auch den
Stamm ... Und wer war denn noch da? Ich meine,
von Verwandtſchaft?“

„Nur noch Tante Adelheid von Kloſter Wutz,“
ſagte Armgard.

„Das iſt die Schweſter des Alten?“

„Ja, Papa. Ältere Schweſter. Wohl um zehn
Jahr älter und auch nur Halbſchweſter. Und eine
Domina.“

„Sehr fromm?“

„Das wohl eigentlich nicht.“

„Du biſt ſo einſilbig, Sie ſcheint dir nicht recht
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Armgard ſchwieg.

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[378/0385] Herkömmliche. Der alte Stechlin fing an und der Paſtor folgte. Wenigſtens ſchien es mir ſo.“ „Dann bin ich beruhigt, vorausgeſetzt, daß Melu¬ ſine über den neuen Schwiegervater ihren richtigen alten Vater nicht vergißt.“ Sie ging auf ihn zu und küßte ihm die Hand. „Dann bin ich beruhigt,“ wiederholte der Alte. „Meluſine gefällt faſt immer. Aber manchem gefällt ſie freilich auch nicht. Es giebt ſo viele Menſchen, die haben einen natürlichen Haß gegen alles, was liebens¬ würdig iſt, weil ſie ſelber unliebenswürdig ſind. Alle beſchränkten und aufgeſteiften Individuen, alle, die eine bornierte Vorſtellung vom Chriſtentum haben — das richtige ſieht ganz anders aus — alle Phariſäer und Gernegroß, alle Selbſtgerechten und Eiteln fühlen ſich durch Perſonen wie Meluſine gekränkt und verletzt, und wenn ſich der alte Stechlin in Meluſine verliebt hat, dann lieb' ich ihn ſchon darum, denn er iſt dann eben ein guter Menſch. Mehr brauch' ich von ihm gar nicht zu wiſſen. Übrigens konnt' es kaum anders ſein. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Aber auch um¬ gekehrt: wenn ich den Apfel kenne, kenn' ich auch den Stamm ... Und wer war denn noch da? Ich meine, von Verwandtſchaft?“ „Nur noch Tante Adelheid von Kloſter Wutz,“ ſagte Armgard. „Das iſt die Schweſter des Alten?“ „Ja, Papa. Ältere Schweſter. Wohl um zehn Jahr älter und auch nur Halbſchweſter. Und eine Domina.“ „Sehr fromm?“ „Das wohl eigentlich nicht.“ „Du biſt ſo einſilbig, Sie ſcheint dir nicht recht gefallen zu haben.“ Armgard ſchwieg.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/385>, abgerufen am 25.11.2024.