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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Nun, Melusine, dann sprich du. Nicht fromm
also; das ist gut. Aber vielleicht hautaine?"

"Fast könnte man's sagen," antwortete Melusine.
"Doch paßt es auch wieder nicht recht, schon deshalb
nicht, weil es ein französisches Wort ist. Tante Adel¬
heid ist eminent unfranzösisch."

"Ah, ich versteh'. Also komische Figur."

"Auch das nicht so recht, Papa. Sagen wir ein¬
fach, zurückgeblieben, vorweltlich."

Der alte Graf lachte. "Ja, das ist in allen alten
Familien so, vor allem bei reichen und vornehmen
Juden. Kenne das noch von Wien her, wo man über¬
haupt solche Fragen studieren kann. Ich verkehrte da
viel in einem großen Banquierhause, drin alles nicht
bloß voll Glanz, sondern auch voll Orden und Uniformen
war. Fast zuviel davon. Aber mit einem Male traf
ich in einer Ecke, ganz einsam und doch beinah' ver¬
gnüglich, einen merkwürdigen Urgreis, der wie der alte
Gobbo -- der in dem Stück von Shakespeare vorkommt
-- aussah und als ich mich später bei einem Tisch¬
nachbar erkundigte, ,wer denn das sei', da hieß es: ,Ach,
das ist ja Onkel Manasse'. Solche Onkel Manasses
giebt es überall, und sie können unter Umständen auch
,Tante Adelheid' heißen."

Daß der alte Graf das so leicht nahm, erfreute
die Töchter sichtlich, und als Jeserich bald danach das
Theezeug brachte, wurd' auch Armgard mitteilsamer und
erzählte zunächst von Superintendent Koseleger und Pastor
Lorenzen, danach vom Stechlinsee (der ganz überfroren
gewesen sei, so daß sie die berühmte Stelle nicht hätten
sehen können) und zuletzt von dem Museum und den
Wetterfahnen.

Diese waren das, was den alten Grafen am meisten
interessierte. "Wetterfahnen, ja, die müssen gesammelt
werden, nicht bloß alte Dragoner in Blech geschnitten,

„Nun, Meluſine, dann ſprich du. Nicht fromm
alſo; das iſt gut. Aber vielleicht hautaine?“

„Faſt könnte man's ſagen,“ antwortete Meluſine.
„Doch paßt es auch wieder nicht recht, ſchon deshalb
nicht, weil es ein franzöſiſches Wort iſt. Tante Adel¬
heid iſt eminent unfranzöſiſch.“

„Ah, ich verſteh'. Alſo komiſche Figur.“

„Auch das nicht ſo recht, Papa. Sagen wir ein¬
fach, zurückgeblieben, vorweltlich.“

Der alte Graf lachte. „Ja, das iſt in allen alten
Familien ſo, vor allem bei reichen und vornehmen
Juden. Kenne das noch von Wien her, wo man über¬
haupt ſolche Fragen ſtudieren kann. Ich verkehrte da
viel in einem großen Banquierhauſe, drin alles nicht
bloß voll Glanz, ſondern auch voll Orden und Uniformen
war. Faſt zuviel davon. Aber mit einem Male traf
ich in einer Ecke, ganz einſam und doch beinah' ver¬
gnüglich, einen merkwürdigen Urgreis, der wie der alte
Gobbo — der in dem Stück von Shakeſpeare vorkommt
— ausſah und als ich mich ſpäter bei einem Tiſch¬
nachbar erkundigte, ‚wer denn das ſei‘, da hieß es: ‚Ach,
das iſt ja Onkel Manaſſe‘. Solche Onkel Manaſſes
giebt es überall, und ſie können unter Umſtänden auch
‚Tante Adelheid‘ heißen.“

Daß der alte Graf das ſo leicht nahm, erfreute
die Töchter ſichtlich, und als Jeſerich bald danach das
Theezeug brachte, wurd' auch Armgard mitteilſamer und
erzählte zunächſt von Superintendent Koſeleger und Paſtor
Lorenzen, danach vom Stechlinſee (der ganz überfroren
geweſen ſei, ſo daß ſie die berühmte Stelle nicht hätten
ſehen können) und zuletzt von dem Muſeum und den
Wetterfahnen.

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[379/0386] „Nun, Meluſine, dann ſprich du. Nicht fromm alſo; das iſt gut. Aber vielleicht hautaine?“ „Faſt könnte man's ſagen,“ antwortete Meluſine. „Doch paßt es auch wieder nicht recht, ſchon deshalb nicht, weil es ein franzöſiſches Wort iſt. Tante Adel¬ heid iſt eminent unfranzöſiſch.“ „Ah, ich verſteh'. Alſo komiſche Figur.“ „Auch das nicht ſo recht, Papa. Sagen wir ein¬ fach, zurückgeblieben, vorweltlich.“ Der alte Graf lachte. „Ja, das iſt in allen alten Familien ſo, vor allem bei reichen und vornehmen Juden. Kenne das noch von Wien her, wo man über¬ haupt ſolche Fragen ſtudieren kann. Ich verkehrte da viel in einem großen Banquierhauſe, drin alles nicht bloß voll Glanz, ſondern auch voll Orden und Uniformen war. Faſt zuviel davon. Aber mit einem Male traf ich in einer Ecke, ganz einſam und doch beinah' ver¬ gnüglich, einen merkwürdigen Urgreis, der wie der alte Gobbo — der in dem Stück von Shakeſpeare vorkommt — ausſah und als ich mich ſpäter bei einem Tiſch¬ nachbar erkundigte, ‚wer denn das ſei‘, da hieß es: ‚Ach, das iſt ja Onkel Manaſſe‘. Solche Onkel Manaſſes giebt es überall, und ſie können unter Umſtänden auch ‚Tante Adelheid‘ heißen.“ Daß der alte Graf das ſo leicht nahm, erfreute die Töchter ſichtlich, und als Jeſerich bald danach das Theezeug brachte, wurd' auch Armgard mitteilſamer und erzählte zunächſt von Superintendent Koſeleger und Paſtor Lorenzen, danach vom Stechlinſee (der ganz überfroren geweſen ſei, ſo daß ſie die berühmte Stelle nicht hätten ſehen können) und zuletzt von dem Muſeum und den Wetterfahnen. Dieſe waren das, was den alten Grafen am meiſten intereſſierte. „Wetterfahnen, ja, die müſſen geſammelt werden, nicht bloß alte Dragoner in Blech geſchnitten,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/386>, abgerufen am 17.05.2024.