Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht mal angeschossen worden. Und doch is so was
billig, wenn's erst losgeht."

"Ja, Schulze Kluckhuhn, unsereinem ist so was leider
immer verschlossen oder, wie die Leute hier sagen, verpurrt.
Und doch ist das das eigentliche Leben. So immer bloß
einsitzen und ein bißchen Charpie zupfen, das ist gar nichts.
Mit dabei sein, das macht glücklich. Es war aber trotz¬
dem wohl ein eigenes Gefühl, als Sie da so von Düppel
nach Alsen 'rüberfuhren und das unheimliche Schiff, der
Rolf Krake, so dicht daneben lag."

"Ja, das war es, Frau Gräfin, ein ganz eigenes
Gefühl. Und mitunter erscheint mir der Rolf Krake noch
im Traum. Un is auch nicht zu verwundern. Denn
Rolf Krake war wie ein richtiges Gespenst. Und wenn
solch Gespenst einen packt, ja, da ist man weg. ...
Und dabei bleib' ich, Frau Gräfin, sechsundsechzig war
nicht viel und siebzig war auch nicht viel."

"Aber die großen Verluste ..."

"Ja, die Verluste waren groß, das ist richtig. Aber
Verluste, Frau Gräfin, das is eigentlich gar nichts. Natür¬
lich wen es trifft, für den is es was. Aber ich meine
jetzt das, was man dabei so das Moralische nennt; und
darauf kommt es an, nicht auf die Verluste, nicht auf viel
oder wenig. Wenn einer eine Böschung 'rauf klettert und
nu steht er oben und schleicht sich 'ran, immer mit 'nem
Pulversack und 'nem Zünder in der Hand und nu legt
er an und nu fliegt alles in die Luft und er mit. Und
nu ist die Festung oder die Schanze offen. Ja, Frau
Gräfin, das ist was. Und das hat unser Pionier Klinke
gethan. Der war moralisch. Ich weiß nicht, ob Frau
Gräfin mal von ihm gehört haben, aber dafür leb' ich
und sterb' ich: immer bloß das Kleine, da zeigt sich's, was
einer kann. Wenn ein Bataillon 'ran muß un ich stecke
mitten drin, ja, was will ich da machen? Da muß ich

nicht mal angeſchoſſen worden. Und doch is ſo was
billig, wenn's erſt losgeht.“

„Ja, Schulze Kluckhuhn, unſereinem iſt ſo was leider
immer verſchloſſen oder, wie die Leute hier ſagen, verpurrt.
Und doch iſt das das eigentliche Leben. So immer bloß
einſitzen und ein bißchen Charpie zupfen, das iſt gar nichts.
Mit dabei ſein, das macht glücklich. Es war aber trotz¬
dem wohl ein eigenes Gefühl, als Sie da ſo von Düppel
nach Alſen 'rüberfuhren und das unheimliche Schiff, der
Rolf Krake, ſo dicht daneben lag.“

„Ja, das war es, Frau Gräfin, ein ganz eigenes
Gefühl. Und mitunter erſcheint mir der Rolf Krake noch
im Traum. Un is auch nicht zu verwundern. Denn
Rolf Krake war wie ein richtiges Geſpenſt. Und wenn
ſolch Geſpenſt einen packt, ja, da iſt man weg. ...
Und dabei bleib' ich, Frau Gräfin, ſechsundſechzig war
nicht viel und ſiebzig war auch nicht viel.“

„Aber die großen Verluſte ...“

„Ja, die Verluſte waren groß, das iſt richtig. Aber
Verluſte, Frau Gräfin, das is eigentlich gar nichts. Natür¬
lich wen es trifft, für den is es was. Aber ich meine
jetzt das, was man dabei ſo das Moraliſche nennt; und
darauf kommt es an, nicht auf die Verluſte, nicht auf viel
oder wenig. Wenn einer eine Böſchung 'rauf klettert und
nu ſteht er oben und ſchleicht ſich 'ran, immer mit 'nem
Pulverſack und 'nem Zünder in der Hand und nu legt
er an und nu fliegt alles in die Luft und er mit. Und
nu iſt die Feſtung oder die Schanze offen. Ja, Frau
Gräfin, das iſt was. Und das hat unſer Pionier Klinke
gethan. Der war moraliſch. Ich weiß nicht, ob Frau
Gräfin mal von ihm gehört haben, aber dafür leb' ich
und ſterb' ich: immer bloß das Kleine, da zeigt ſich's, was
einer kann. Wenn ein Bataillon 'ran muß un ich ſtecke
mitten drin, ja, was will ich da machen? Da muß ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0352" n="345"/>
nicht mal ange&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en worden. Und doch is &#x017F;o was<lb/>
billig, wenn's er&#x017F;t losgeht.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, Schulze Kluckhuhn, un&#x017F;ereinem i&#x017F;t &#x017F;o was leider<lb/>
immer ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en oder, wie die Leute hier &#x017F;agen, verpurrt.<lb/>
Und doch i&#x017F;t das das eigentliche Leben. So immer bloß<lb/>
ein&#x017F;itzen und ein bißchen Charpie zupfen, das i&#x017F;t gar nichts.<lb/>
Mit dabei &#x017F;ein, das macht glücklich. Es war aber trotz¬<lb/>
dem wohl ein eigenes Gefühl, als Sie da &#x017F;o von Düppel<lb/>
nach Al&#x017F;en 'rüberfuhren und das unheimliche Schiff, der<lb/>
Rolf Krake, &#x017F;o dicht daneben lag.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, das war es, Frau Gräfin, ein ganz eigenes<lb/>
Gefühl. Und mitunter er&#x017F;cheint mir der Rolf Krake noch<lb/>
im Traum. Un is auch nicht zu verwundern. Denn<lb/>
Rolf Krake war wie ein richtiges Ge&#x017F;pen&#x017F;t. Und wenn<lb/>
&#x017F;olch Ge&#x017F;pen&#x017F;t einen packt, ja, da i&#x017F;t man weg. ...<lb/>
Und dabei bleib' ich, Frau Gräfin, &#x017F;echsund&#x017F;echzig war<lb/>
nicht viel und &#x017F;iebzig war auch nicht viel.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Aber die großen Verlu&#x017F;te ...&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ja, die Verlu&#x017F;te waren groß, das i&#x017F;t richtig. Aber<lb/>
Verlu&#x017F;te, Frau Gräfin, das is eigentlich gar nichts. Natür¬<lb/>
lich wen es trifft, für den is es was. Aber ich meine<lb/>
jetzt das, was man dabei &#x017F;o das Morali&#x017F;che nennt; und<lb/>
darauf kommt es an, nicht auf die Verlu&#x017F;te, nicht auf viel<lb/>
oder wenig. Wenn einer eine Bö&#x017F;chung 'rauf klettert und<lb/>
nu &#x017F;teht er oben und &#x017F;chleicht &#x017F;ich 'ran, immer mit 'nem<lb/>
Pulver&#x017F;ack und 'nem Zünder in der Hand und nu legt<lb/>
er an und nu fliegt alles in die Luft und er mit. Und<lb/>
nu i&#x017F;t die Fe&#x017F;tung oder die Schanze offen. Ja, Frau<lb/>
Gräfin, das i&#x017F;t was. Und das hat un&#x017F;er Pionier Klinke<lb/>
gethan. Der war morali&#x017F;ch. Ich weiß nicht, ob Frau<lb/>
Gräfin mal von ihm gehört haben, aber dafür leb' ich<lb/>
und &#x017F;terb' ich: immer bloß das Kleine, da zeigt &#x017F;ich's, was<lb/>
einer kann. Wenn ein Bataillon 'ran muß un ich &#x017F;tecke<lb/>
mitten drin, ja, was will ich da machen? Da muß ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[345/0352] nicht mal angeſchoſſen worden. Und doch is ſo was billig, wenn's erſt losgeht.“ „Ja, Schulze Kluckhuhn, unſereinem iſt ſo was leider immer verſchloſſen oder, wie die Leute hier ſagen, verpurrt. Und doch iſt das das eigentliche Leben. So immer bloß einſitzen und ein bißchen Charpie zupfen, das iſt gar nichts. Mit dabei ſein, das macht glücklich. Es war aber trotz¬ dem wohl ein eigenes Gefühl, als Sie da ſo von Düppel nach Alſen 'rüberfuhren und das unheimliche Schiff, der Rolf Krake, ſo dicht daneben lag.“ „Ja, das war es, Frau Gräfin, ein ganz eigenes Gefühl. Und mitunter erſcheint mir der Rolf Krake noch im Traum. Un is auch nicht zu verwundern. Denn Rolf Krake war wie ein richtiges Geſpenſt. Und wenn ſolch Geſpenſt einen packt, ja, da iſt man weg. ... Und dabei bleib' ich, Frau Gräfin, ſechsundſechzig war nicht viel und ſiebzig war auch nicht viel.“ „Aber die großen Verluſte ...“ „Ja, die Verluſte waren groß, das iſt richtig. Aber Verluſte, Frau Gräfin, das is eigentlich gar nichts. Natür¬ lich wen es trifft, für den is es was. Aber ich meine jetzt das, was man dabei ſo das Moraliſche nennt; und darauf kommt es an, nicht auf die Verluſte, nicht auf viel oder wenig. Wenn einer eine Böſchung 'rauf klettert und nu ſteht er oben und ſchleicht ſich 'ran, immer mit 'nem Pulverſack und 'nem Zünder in der Hand und nu legt er an und nu fliegt alles in die Luft und er mit. Und nu iſt die Feſtung oder die Schanze offen. Ja, Frau Gräfin, das iſt was. Und das hat unſer Pionier Klinke gethan. Der war moraliſch. Ich weiß nicht, ob Frau Gräfin mal von ihm gehört haben, aber dafür leb' ich und ſterb' ich: immer bloß das Kleine, da zeigt ſich's, was einer kann. Wenn ein Bataillon 'ran muß un ich ſtecke mitten drin, ja, was will ich da machen? Da muß ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/352
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/352>, abgerufen am 22.11.2024.