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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Schade," sagte Dubslav. "Aber trotzdem, -- wenn
überhaupt erzählbar ..."

"O, gewiß, gewiß; das denkbar Harmloseste ..."

"Nun denn, lieber Superintendent, wenn wirklich
so harmlos, so mach' ich mich ohne weiteres zum Anwalt
unsrer gewiß neugierigen Damen, meine Schwester, die
Domina, mit eingeschlossen. Wie war es? Wie verlief
die Geschichte, für die sich eine kaiserliche Hoheit so lebhaft
interessieren konnte?"

"Nun wenn es denn sein soll," nahm Koseleger lang¬
sam und wie bloß einer Pression nachgebend, das Wort,
"es lebte da zu jener Zeit eine schöne Herzogin in Lon¬
don, die's nicht ertragen konnte, daß die Jahre nicht spur¬
los an ihr vorübergehen wollten; Fältchen und Krähen¬
füße zeigten sich. In dieser Bedrängnis hörte sie von
ungefähr von einer ,plastischen Künstlerin', die durch Auf¬
trag einer Wachspaste die Jugend wieder herzustellen wisse.
Diese Künstlerin wurde gerufen, und die Wiederherstellung
gelang auch. Aber nun traf eines Tages die Rechnung
ein, ,die Bill', wie sie da drüben sagen. Es war eine
Summe, vor der selbst eine Herzogin erschrecken durfte.
Und da die Künstlerin auf ihrer Forderung beharrte, so
kam es zu dem angedeuteten Prozeß, der sich alsbald zu
einer cause celebre gestaltete."

"Sehr begreiflich," versicherte Dubslav, und Melusine
stimmte zu.

Zahlreiche Personen traten in der Verhandlung auf,
und als Sachverständige wurden zuletzt auch Konkurren¬
tinnen auf diesem Spezialgebiete der ,plastischen Kunst'
vernommen. Alle fanden die Forderung erheblich zu hoch
und der Sieg schien sich rasch der Herzogin zuneigen zu
wollen. Aber in eben diesem Augenblicke trat die sich arg
bedrängt sehende Künstlerin an den Vorsitzenden des Ge¬
richtshofes heran und bat ihn, an die erschienenen Fach¬
genossinnen einfach die Frage nach der Dauer der durch

Fontane, Der Stechlin. 22

„Schade,“ ſagte Dubslav. „Aber trotzdem, — wenn
überhaupt erzählbar ...“

„O, gewiß, gewiß; das denkbar Harmloſeſte ...“

„Nun denn, lieber Superintendent, wenn wirklich
ſo harmlos, ſo mach' ich mich ohne weiteres zum Anwalt
unſrer gewiß neugierigen Damen, meine Schweſter, die
Domina, mit eingeſchloſſen. Wie war es? Wie verlief
die Geſchichte, für die ſich eine kaiſerliche Hoheit ſo lebhaft
intereſſieren konnte?“

„Nun wenn es denn ſein ſoll,“ nahm Koſeleger lang¬
ſam und wie bloß einer Preſſion nachgebend, das Wort,
„es lebte da zu jener Zeit eine ſchöne Herzogin in Lon¬
don, die's nicht ertragen konnte, daß die Jahre nicht ſpur¬
los an ihr vorübergehen wollten; Fältchen und Krähen¬
füße zeigten ſich. In dieſer Bedrängnis hörte ſie von
ungefähr von einer ‚plaſtiſchen Künſtlerin‘, die durch Auf¬
trag einer Wachspaſte die Jugend wieder herzuſtellen wiſſe.
Dieſe Künſtlerin wurde gerufen, und die Wiederherſtellung
gelang auch. Aber nun traf eines Tages die Rechnung
ein, ‚die Bill‘, wie ſie da drüben ſagen. Es war eine
Summe, vor der ſelbſt eine Herzogin erſchrecken durfte.
Und da die Künſtlerin auf ihrer Forderung beharrte, ſo
kam es zu dem angedeuteten Prozeß, der ſich alsbald zu
einer cause célèbre geſtaltete.“

„Sehr begreiflich,“ verſicherte Dubslav, und Meluſine
ſtimmte zu.

Zahlreiche Perſonen traten in der Verhandlung auf,
und als Sachverſtändige wurden zuletzt auch Konkurren¬
tinnen auf dieſem Spezialgebiete der ‚plaſtiſchen Kunſt‘
vernommen. Alle fanden die Forderung erheblich zu hoch
und der Sieg ſchien ſich raſch der Herzogin zuneigen zu
wollen. Aber in eben dieſem Augenblicke trat die ſich arg
bedrängt ſehende Künſtlerin an den Vorſitzenden des Ge¬
richtshofes heran und bat ihn, an die erſchienenen Fach¬
genoſſinnen einfach die Frage nach der Dauer der durch

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[337/0344] „Schade,“ ſagte Dubslav. „Aber trotzdem, — wenn überhaupt erzählbar ...“ „O, gewiß, gewiß; das denkbar Harmloſeſte ...“ „Nun denn, lieber Superintendent, wenn wirklich ſo harmlos, ſo mach' ich mich ohne weiteres zum Anwalt unſrer gewiß neugierigen Damen, meine Schweſter, die Domina, mit eingeſchloſſen. Wie war es? Wie verlief die Geſchichte, für die ſich eine kaiſerliche Hoheit ſo lebhaft intereſſieren konnte?“ „Nun wenn es denn ſein ſoll,“ nahm Koſeleger lang¬ ſam und wie bloß einer Preſſion nachgebend, das Wort, „es lebte da zu jener Zeit eine ſchöne Herzogin in Lon¬ don, die's nicht ertragen konnte, daß die Jahre nicht ſpur¬ los an ihr vorübergehen wollten; Fältchen und Krähen¬ füße zeigten ſich. In dieſer Bedrängnis hörte ſie von ungefähr von einer ‚plaſtiſchen Künſtlerin‘, die durch Auf¬ trag einer Wachspaſte die Jugend wieder herzuſtellen wiſſe. Dieſe Künſtlerin wurde gerufen, und die Wiederherſtellung gelang auch. Aber nun traf eines Tages die Rechnung ein, ‚die Bill‘, wie ſie da drüben ſagen. Es war eine Summe, vor der ſelbſt eine Herzogin erſchrecken durfte. Und da die Künſtlerin auf ihrer Forderung beharrte, ſo kam es zu dem angedeuteten Prozeß, der ſich alsbald zu einer cause célèbre geſtaltete.“ „Sehr begreiflich,“ verſicherte Dubslav, und Meluſine ſtimmte zu. Zahlreiche Perſonen traten in der Verhandlung auf, und als Sachverſtändige wurden zuletzt auch Konkurren¬ tinnen auf dieſem Spezialgebiete der ‚plaſtiſchen Kunſt‘ vernommen. Alle fanden die Forderung erheblich zu hoch und der Sieg ſchien ſich raſch der Herzogin zuneigen zu wollen. Aber in eben dieſem Augenblicke trat die ſich arg bedrängt ſehende Künſtlerin an den Vorſitzenden des Ge¬ richtshofes heran und bat ihn, an die erſchienenen Fach¬ genoſſinnen einfach die Frage nach der Dauer der durch Fontane, Der Stechlin. 22

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/344>, abgerufen am 27.11.2024.