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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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mehr haben, weil mal ein Krieg war, drin sie sich um¬
schichtig enthaupteten, und als alle weg waren, haben sie
gewöhnliche Leute 'rangezogen und ihnen die alten Namen
gegeben, und wenn man denkt, es ist ein Graf, so ist es
ein Bäcker oder höchstens ein Bierbrauer. Aber viel Geld
sollen sie haben und ihre Schiffe sollen gut sein und dauer¬
haft und auch sehr sauber, fast schon wie holländisch;
aber in ihrem Glauben sind sie zersplittert und fangen
auch schon wieder an katholisch zu werden."

Der alte Dubslav, als die Schwester mit ihrem Vor¬
trag über England einsetzte, hatte sich mit einem ,Schick¬
sal, nimm deinen Lauf' sofort resigniert. Woldemar aber
war immer wieder und wieder bemüht gewesen, einen
Themawechsel eintreten zu lassen, worin er vielleicht
auch reüssiert hätte, wenn nicht Koseleger gewesen wäre.
Dieser -- entweder weil er als ästhetischer Feinschmecker
an Adelheids Auslassungen ein aufrichtiges Gefallen fand
oder aber weil er die von ihm selbst angeregte Frage hin¬
sichtlich "Natur und Sitte" (die sein Steckenpferd war)
gern weiter spinnen wollte -- hielt an England fest und
sagte: "Die Frau Domina scheint mir davon auszugehn,
daß gerade der mitunter schon an den Wilden grenzende
Naturmensch drüben in vollster Blüte steht. Und
ich will das auch nicht in jedem Punkte bestreiten. Aber
daneben begegnen wir einem Lebens- und Gesellschafts-
Raffinement, das ich, trotz manchem Anfechtbaren, als
einen höchsten Kulturausdruck bezeichnen muß. Ich er¬
innere mich unter anderm eines gerade damals geführten
Prozesses, über den ich, als ich im Haag lebte, meiner
kaiserlichen Hoheit täglich Bericht erstatten mußte (High
life
-Prozesse gingen ihr über alles), und der Gegenstand,
um den sich's dabei handelte, war so recht der Ausdruck
eines verfeinerten oder meinetwegen auch überfeinerten
Kulturlebens. So recht das Gegenteil von bloßem Natur¬
burschentum. Es ist freilich eine ziemlich lange Geschichte ..."

mehr haben, weil mal ein Krieg war, drin ſie ſich um¬
ſchichtig enthaupteten, und als alle weg waren, haben ſie
gewöhnliche Leute 'rangezogen und ihnen die alten Namen
gegeben, und wenn man denkt, es iſt ein Graf, ſo iſt es
ein Bäcker oder höchſtens ein Bierbrauer. Aber viel Geld
ſollen ſie haben und ihre Schiffe ſollen gut ſein und dauer¬
haft und auch ſehr ſauber, faſt ſchon wie holländiſch;
aber in ihrem Glauben ſind ſie zerſplittert und fangen
auch ſchon wieder an katholiſch zu werden.“

Der alte Dubslav, als die Schweſter mit ihrem Vor¬
trag über England einſetzte, hatte ſich mit einem ‚Schick¬
ſal, nimm deinen Lauf‘ ſofort reſigniert. Woldemar aber
war immer wieder und wieder bemüht geweſen, einen
Themawechſel eintreten zu laſſen, worin er vielleicht
auch reüſſiert hätte, wenn nicht Koſeleger geweſen wäre.
Dieſer — entweder weil er als äſthetiſcher Feinſchmecker
an Adelheids Auslaſſungen ein aufrichtiges Gefallen fand
oder aber weil er die von ihm ſelbſt angeregte Frage hin¬
ſichtlich „Natur und Sitte“ (die ſein Steckenpferd war)
gern weiter ſpinnen wollte — hielt an England feſt und
ſagte: „Die Frau Domina ſcheint mir davon auszugehn,
daß gerade der mitunter ſchon an den Wilden grenzende
Naturmenſch drüben in vollſter Blüte ſteht. Und
ich will das auch nicht in jedem Punkte beſtreiten. Aber
daneben begegnen wir einem Lebens- und Geſellſchafts-
Raffinement, das ich, trotz manchem Anfechtbaren, als
einen höchſten Kulturausdruck bezeichnen muß. Ich er¬
innere mich unter anderm eines gerade damals geführten
Prozeſſes, über den ich, als ich im Haag lebte, meiner
kaiſerlichen Hoheit täglich Bericht erſtatten mußte (High
life
-Prozeſſe gingen ihr über alles), und der Gegenſtand,
um den ſich's dabei handelte, war ſo recht der Ausdruck
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[336/0343] mehr haben, weil mal ein Krieg war, drin ſie ſich um¬ ſchichtig enthaupteten, und als alle weg waren, haben ſie gewöhnliche Leute 'rangezogen und ihnen die alten Namen gegeben, und wenn man denkt, es iſt ein Graf, ſo iſt es ein Bäcker oder höchſtens ein Bierbrauer. Aber viel Geld ſollen ſie haben und ihre Schiffe ſollen gut ſein und dauer¬ haft und auch ſehr ſauber, faſt ſchon wie holländiſch; aber in ihrem Glauben ſind ſie zerſplittert und fangen auch ſchon wieder an katholiſch zu werden.“ Der alte Dubslav, als die Schweſter mit ihrem Vor¬ trag über England einſetzte, hatte ſich mit einem ‚Schick¬ ſal, nimm deinen Lauf‘ ſofort reſigniert. Woldemar aber war immer wieder und wieder bemüht geweſen, einen Themawechſel eintreten zu laſſen, worin er vielleicht auch reüſſiert hätte, wenn nicht Koſeleger geweſen wäre. Dieſer — entweder weil er als äſthetiſcher Feinſchmecker an Adelheids Auslaſſungen ein aufrichtiges Gefallen fand oder aber weil er die von ihm ſelbſt angeregte Frage hin¬ ſichtlich „Natur und Sitte“ (die ſein Steckenpferd war) gern weiter ſpinnen wollte — hielt an England feſt und ſagte: „Die Frau Domina ſcheint mir davon auszugehn, daß gerade der mitunter ſchon an den Wilden grenzende Naturmenſch drüben in vollſter Blüte ſteht. Und ich will das auch nicht in jedem Punkte beſtreiten. Aber daneben begegnen wir einem Lebens- und Geſellſchafts- Raffinement, das ich, trotz manchem Anfechtbaren, als einen höchſten Kulturausdruck bezeichnen muß. Ich er¬ innere mich unter anderm eines gerade damals geführten Prozeſſes, über den ich, als ich im Haag lebte, meiner kaiſerlichen Hoheit täglich Bericht erſtatten mußte (High life-Prozeſſe gingen ihr über alles), und der Gegenſtand, um den ſich's dabei handelte, war ſo recht der Ausdruck eines verfeinerten oder meinetwegen auch überfeinerten Kulturlebens. So recht das Gegenteil von bloßem Natur¬ burſchentum. Es iſt freilich eine ziemlich lange Geſchichte ...“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/343>, abgerufen am 27.11.2024.