mehr haben, weil mal ein Krieg war, drin sie sich um¬ schichtig enthaupteten, und als alle weg waren, haben sie gewöhnliche Leute 'rangezogen und ihnen die alten Namen gegeben, und wenn man denkt, es ist ein Graf, so ist es ein Bäcker oder höchstens ein Bierbrauer. Aber viel Geld sollen sie haben und ihre Schiffe sollen gut sein und dauer¬ haft und auch sehr sauber, fast schon wie holländisch; aber in ihrem Glauben sind sie zersplittert und fangen auch schon wieder an katholisch zu werden."
Der alte Dubslav, als die Schwester mit ihrem Vor¬ trag über England einsetzte, hatte sich mit einem ,Schick¬ sal, nimm deinen Lauf' sofort resigniert. Woldemar aber war immer wieder und wieder bemüht gewesen, einen Themawechsel eintreten zu lassen, worin er vielleicht auch reüssiert hätte, wenn nicht Koseleger gewesen wäre. Dieser -- entweder weil er als ästhetischer Feinschmecker an Adelheids Auslassungen ein aufrichtiges Gefallen fand oder aber weil er die von ihm selbst angeregte Frage hin¬ sichtlich "Natur und Sitte" (die sein Steckenpferd war) gern weiter spinnen wollte -- hielt an England fest und sagte: "Die Frau Domina scheint mir davon auszugehn, daß gerade der mitunter schon an den Wilden grenzende Naturmensch drüben in vollster Blüte steht. Und ich will das auch nicht in jedem Punkte bestreiten. Aber daneben begegnen wir einem Lebens- und Gesellschafts- Raffinement, das ich, trotz manchem Anfechtbaren, als einen höchsten Kulturausdruck bezeichnen muß. Ich er¬ innere mich unter anderm eines gerade damals geführten Prozesses, über den ich, als ich im Haag lebte, meiner kaiserlichen Hoheit täglich Bericht erstatten mußte (High life-Prozesse gingen ihr über alles), und der Gegenstand, um den sich's dabei handelte, war so recht der Ausdruck eines verfeinerten oder meinetwegen auch überfeinerten Kulturlebens. So recht das Gegenteil von bloßem Natur¬ burschentum. Es ist freilich eine ziemlich lange Geschichte ..."
mehr haben, weil mal ein Krieg war, drin ſie ſich um¬ ſchichtig enthaupteten, und als alle weg waren, haben ſie gewöhnliche Leute 'rangezogen und ihnen die alten Namen gegeben, und wenn man denkt, es iſt ein Graf, ſo iſt es ein Bäcker oder höchſtens ein Bierbrauer. Aber viel Geld ſollen ſie haben und ihre Schiffe ſollen gut ſein und dauer¬ haft und auch ſehr ſauber, faſt ſchon wie holländiſch; aber in ihrem Glauben ſind ſie zerſplittert und fangen auch ſchon wieder an katholiſch zu werden.“
Der alte Dubslav, als die Schweſter mit ihrem Vor¬ trag über England einſetzte, hatte ſich mit einem ‚Schick¬ ſal, nimm deinen Lauf‘ ſofort reſigniert. Woldemar aber war immer wieder und wieder bemüht geweſen, einen Themawechſel eintreten zu laſſen, worin er vielleicht auch reüſſiert hätte, wenn nicht Koſeleger geweſen wäre. Dieſer — entweder weil er als äſthetiſcher Feinſchmecker an Adelheids Auslaſſungen ein aufrichtiges Gefallen fand oder aber weil er die von ihm ſelbſt angeregte Frage hin¬ ſichtlich „Natur und Sitte“ (die ſein Steckenpferd war) gern weiter ſpinnen wollte — hielt an England feſt und ſagte: „Die Frau Domina ſcheint mir davon auszugehn, daß gerade der mitunter ſchon an den Wilden grenzende Naturmenſch drüben in vollſter Blüte ſteht. Und ich will das auch nicht in jedem Punkte beſtreiten. Aber daneben begegnen wir einem Lebens- und Geſellſchafts- Raffinement, das ich, trotz manchem Anfechtbaren, als einen höchſten Kulturausdruck bezeichnen muß. Ich er¬ innere mich unter anderm eines gerade damals geführten Prozeſſes, über den ich, als ich im Haag lebte, meiner kaiſerlichen Hoheit täglich Bericht erſtatten mußte (High life-Prozeſſe gingen ihr über alles), und der Gegenſtand, um den ſich's dabei handelte, war ſo recht der Ausdruck eines verfeinerten oder meinetwegen auch überfeinerten Kulturlebens. So recht das Gegenteil von bloßem Natur¬ burſchentum. Es iſt freilich eine ziemlich lange Geſchichte ...“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0343"n="336"/>
mehr haben, weil mal ein Krieg war, drin ſie ſich um¬<lb/>ſchichtig enthaupteten, und als alle weg waren, haben ſie<lb/>
gewöhnliche Leute 'rangezogen und ihnen die alten Namen<lb/>
gegeben, und wenn man denkt, es iſt ein Graf, ſo iſt es<lb/>
ein Bäcker oder höchſtens ein Bierbrauer. Aber viel Geld<lb/>ſollen ſie haben und ihre Schiffe ſollen gut ſein und dauer¬<lb/>
haft und auch ſehr ſauber, faſt ſchon wie holländiſch;<lb/>
aber in ihrem Glauben ſind ſie zerſplittert und fangen<lb/>
auch ſchon wieder an katholiſch zu werden.“</p><lb/><p>Der alte Dubslav, als die Schweſter mit ihrem Vor¬<lb/>
trag über England einſetzte, hatte ſich mit einem ‚Schick¬<lb/>ſal, nimm deinen Lauf‘ſofort reſigniert. Woldemar aber<lb/>
war immer wieder und wieder bemüht geweſen, einen<lb/>
Themawechſel eintreten zu laſſen, worin er vielleicht<lb/>
auch reüſſiert hätte, wenn nicht Koſeleger geweſen wäre.<lb/>
Dieſer — entweder weil er als äſthetiſcher Feinſchmecker<lb/>
an Adelheids Auslaſſungen ein aufrichtiges Gefallen fand<lb/>
oder aber weil er die von ihm ſelbſt angeregte Frage hin¬<lb/>ſichtlich „Natur und Sitte“ (die ſein Steckenpferd war)<lb/>
gern weiter ſpinnen wollte — hielt an England feſt und<lb/>ſagte: „Die Frau Domina ſcheint mir davon auszugehn,<lb/>
daß gerade der mitunter ſchon an den Wilden grenzende<lb/>
Naturmenſch drüben in vollſter Blüte ſteht. Und<lb/>
ich will das auch nicht in jedem Punkte beſtreiten. Aber<lb/>
daneben begegnen wir einem Lebens- und Geſellſchafts-<lb/>
Raffinement, das ich, trotz manchem Anfechtbaren, als<lb/>
einen höchſten Kulturausdruck bezeichnen muß. Ich er¬<lb/>
innere mich unter anderm eines gerade damals geführten<lb/>
Prozeſſes, über den ich, als ich im Haag lebte, meiner<lb/>
kaiſerlichen Hoheit täglich Bericht erſtatten mußte (<hirendition="#aq">High<lb/>
life</hi>-Prozeſſe gingen ihr über alles), und der Gegenſtand,<lb/>
um den ſich's dabei handelte, war ſo recht der Ausdruck<lb/>
eines verfeinerten oder meinetwegen auch überfeinerten<lb/>
Kulturlebens. So recht das Gegenteil von bloßem Natur¬<lb/>
burſchentum. Es iſt freilich eine ziemlich lange Geſchichte ...“<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[336/0343]
mehr haben, weil mal ein Krieg war, drin ſie ſich um¬
ſchichtig enthaupteten, und als alle weg waren, haben ſie
gewöhnliche Leute 'rangezogen und ihnen die alten Namen
gegeben, und wenn man denkt, es iſt ein Graf, ſo iſt es
ein Bäcker oder höchſtens ein Bierbrauer. Aber viel Geld
ſollen ſie haben und ihre Schiffe ſollen gut ſein und dauer¬
haft und auch ſehr ſauber, faſt ſchon wie holländiſch;
aber in ihrem Glauben ſind ſie zerſplittert und fangen
auch ſchon wieder an katholiſch zu werden.“
Der alte Dubslav, als die Schweſter mit ihrem Vor¬
trag über England einſetzte, hatte ſich mit einem ‚Schick¬
ſal, nimm deinen Lauf‘ ſofort reſigniert. Woldemar aber
war immer wieder und wieder bemüht geweſen, einen
Themawechſel eintreten zu laſſen, worin er vielleicht
auch reüſſiert hätte, wenn nicht Koſeleger geweſen wäre.
Dieſer — entweder weil er als äſthetiſcher Feinſchmecker
an Adelheids Auslaſſungen ein aufrichtiges Gefallen fand
oder aber weil er die von ihm ſelbſt angeregte Frage hin¬
ſichtlich „Natur und Sitte“ (die ſein Steckenpferd war)
gern weiter ſpinnen wollte — hielt an England feſt und
ſagte: „Die Frau Domina ſcheint mir davon auszugehn,
daß gerade der mitunter ſchon an den Wilden grenzende
Naturmenſch drüben in vollſter Blüte ſteht. Und
ich will das auch nicht in jedem Punkte beſtreiten. Aber
daneben begegnen wir einem Lebens- und Geſellſchafts-
Raffinement, das ich, trotz manchem Anfechtbaren, als
einen höchſten Kulturausdruck bezeichnen muß. Ich er¬
innere mich unter anderm eines gerade damals geführten
Prozeſſes, über den ich, als ich im Haag lebte, meiner
kaiſerlichen Hoheit täglich Bericht erſtatten mußte (High
life-Prozeſſe gingen ihr über alles), und der Gegenſtand,
um den ſich's dabei handelte, war ſo recht der Ausdruck
eines verfeinerten oder meinetwegen auch überfeinerten
Kulturlebens. So recht das Gegenteil von bloßem Natur¬
burſchentum. Es iſt freilich eine ziemlich lange Geſchichte ...“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/343>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.