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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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ein andres Land ist es ein Produkt der Zivilisation, so
sehr, daß die Neigungen der Menschen kaum noch dem
Gesetze der Natur folgen, sondern nur noch dem einer
verfeinerten Sitte."

Die Domina fühlte sich von dem allem mehr und
mehr unangenehm berührt, besonders als sie sah, daß
Melusine, zu dem was Koseleger ausführte, beständig
zustimmend nickte. Schließlich wurd' es ihr zuviel.
"Alles, was ich da so höre," sagte sie, "kann mich für
dieses Volk nicht einnehmen, und weil sie rundum
von Wasser umgeben sind, ist alles so kalt und feucht,
und die Frauen, bis in die höchsten Stände hinauf, sind
beinah' immer in einem Zustand, den ich hier nicht bei
Namen nennen mag. So wenigstens hat man mir er¬
zählt. Und wenn es dann neblig ist, dann kriegen sie
das, was sie den Spleen nennen, und fallen zu Hunderten
ins Wasser, und keiner weiß, wo sie geblieben sind. Denn,
wie mir unser Rentmeister Fix, der drüben war, aufs
Wort versichert hat, sie stehen in keinem Buch und haben
auch nicht einmal das, was wir Einwohner-Meldeamt
nennen, so daß man beinah' sagen kann, sie sind so gut
wie gar nicht da. Und wie sie kochen und braten! Alles
fast noch blutig, besonders das, was wir hier ,englische
Beefsteaks' nennen. Und kann auch nicht anders sein,
weil sie so viel mit Wilden umgehn und gar keine
Gelegenheit haben, sich einer feineren Gesittung anzu¬
schließen."

Koseleger und Melusine wechselten verständnisvoll Blicke.
Die Domina aber sah nichts davon und fuhr unentwegt
fort: "Fix ist ein guter Beobachter, auch von Sittenzuständen,
und einer ihrer Könige, worüber ich auch schon als Mädchen
einen Aufsatz machen mußte, hat fünf Frauen gehabt,
meist Hofdamen. Und eine hat er köpfen lassen und eine
hat er wieder nach Hause geschickt. Und war noch dazu
eine Deutsche. Und sie sollen auch keinen eigentlichen Adel

ein andres Land iſt es ein Produkt der Ziviliſation, ſo
ſehr, daß die Neigungen der Menſchen kaum noch dem
Geſetze der Natur folgen, ſondern nur noch dem einer
verfeinerten Sitte.“

Die Domina fühlte ſich von dem allem mehr und
mehr unangenehm berührt, beſonders als ſie ſah, daß
Meluſine, zu dem was Koſeleger ausführte, beſtändig
zuſtimmend nickte. Schließlich wurd' es ihr zuviel.
„Alles, was ich da ſo höre,“ ſagte ſie, „kann mich für
dieſes Volk nicht einnehmen, und weil ſie rundum
von Waſſer umgeben ſind, iſt alles ſo kalt und feucht,
und die Frauen, bis in die höchſten Stände hinauf, ſind
beinah' immer in einem Zuſtand, den ich hier nicht bei
Namen nennen mag. So wenigſtens hat man mir er¬
zählt. Und wenn es dann neblig iſt, dann kriegen ſie
das, was ſie den Spleen nennen, und fallen zu Hunderten
ins Waſſer, und keiner weiß, wo ſie geblieben ſind. Denn,
wie mir unſer Rentmeiſter Fix, der drüben war, aufs
Wort verſichert hat, ſie ſtehen in keinem Buch und haben
auch nicht einmal das, was wir Einwohner-Meldeamt
nennen, ſo daß man beinah' ſagen kann, ſie ſind ſo gut
wie gar nicht da. Und wie ſie kochen und braten! Alles
faſt noch blutig, beſonders das, was wir hier ‚engliſche
Beefſteaks‘ nennen. Und kann auch nicht anders ſein,
weil ſie ſo viel mit Wilden umgehn und gar keine
Gelegenheit haben, ſich einer feineren Geſittung anzu¬
ſchließen.“

Koſeleger und Meluſine wechſelten verſtändnisvoll Blicke.
Die Domina aber ſah nichts davon und fuhr unentwegt
fort: „Fix iſt ein guter Beobachter, auch von Sittenzuſtänden,
und einer ihrer Könige, worüber ich auch ſchon als Mädchen
einen Aufſatz machen mußte, hat fünf Frauen gehabt,
meiſt Hofdamen. Und eine hat er köpfen laſſen und eine
hat er wieder nach Hauſe geſchickt. Und war noch dazu
eine Deutſche. Und ſie ſollen auch keinen eigentlichen Adel

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[335/0342] ein andres Land iſt es ein Produkt der Ziviliſation, ſo ſehr, daß die Neigungen der Menſchen kaum noch dem Geſetze der Natur folgen, ſondern nur noch dem einer verfeinerten Sitte.“ Die Domina fühlte ſich von dem allem mehr und mehr unangenehm berührt, beſonders als ſie ſah, daß Meluſine, zu dem was Koſeleger ausführte, beſtändig zuſtimmend nickte. Schließlich wurd' es ihr zuviel. „Alles, was ich da ſo höre,“ ſagte ſie, „kann mich für dieſes Volk nicht einnehmen, und weil ſie rundum von Waſſer umgeben ſind, iſt alles ſo kalt und feucht, und die Frauen, bis in die höchſten Stände hinauf, ſind beinah' immer in einem Zuſtand, den ich hier nicht bei Namen nennen mag. So wenigſtens hat man mir er¬ zählt. Und wenn es dann neblig iſt, dann kriegen ſie das, was ſie den Spleen nennen, und fallen zu Hunderten ins Waſſer, und keiner weiß, wo ſie geblieben ſind. Denn, wie mir unſer Rentmeiſter Fix, der drüben war, aufs Wort verſichert hat, ſie ſtehen in keinem Buch und haben auch nicht einmal das, was wir Einwohner-Meldeamt nennen, ſo daß man beinah' ſagen kann, ſie ſind ſo gut wie gar nicht da. Und wie ſie kochen und braten! Alles faſt noch blutig, beſonders das, was wir hier ‚engliſche Beefſteaks‘ nennen. Und kann auch nicht anders ſein, weil ſie ſo viel mit Wilden umgehn und gar keine Gelegenheit haben, ſich einer feineren Geſittung anzu¬ ſchließen.“ Koſeleger und Meluſine wechſelten verſtändnisvoll Blicke. Die Domina aber ſah nichts davon und fuhr unentwegt fort: „Fix iſt ein guter Beobachter, auch von Sittenzuſtänden, und einer ihrer Könige, worüber ich auch ſchon als Mädchen einen Aufſatz machen mußte, hat fünf Frauen gehabt, meiſt Hofdamen. Und eine hat er köpfen laſſen und eine hat er wieder nach Hauſe geſchickt. Und war noch dazu eine Deutſche. Und ſie ſollen auch keinen eigentlichen Adel

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/342>, abgerufen am 20.05.2024.