Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

der Familie drüben in England, wo beide Töchter ge¬
boren seien.

Dies Gespräch war noch lange nicht erledigt, als
man sich von Tisch erhob, und so kam es, daß sich das
Plaudern über eben dasselbe Thema beim Kaffee, der im
Gartensalon und zwar in einem Halbzirkel um den Kamin
herum eingenommen wurde, fortsetzte. Dubslav sprach
sein Bedauern aus, daß ihn in seiner Jugend der Dienst
und später die Verhältnisse daran gehindert hätten, Eng¬
land kennen zu lernen; es sei nun doch mal das vor¬
bildliche Land, eigentlich für alle Parteien, auch für die
Konservativen, die dort ihr Ideal mindestens ebenso gut
verwirklicht fänden wie die Liberalen. Lorenzen stimmte
lebhaft zu, während andrerseits die Domina ziemlich
deutliche Zeichen von Ungeduld gab. England war ihr
kein erfreuliches Gesprächsthema, was selbstverständlich
ihren Bruder nicht hinderte, dabei zu verharren.

"Ich möchte mich," fuhr Dubslav fort, "in dieser
Angelegenheit an unsern Herrn Superintendenten wenden
dürfen. Waren Sie drüben?"

"Leider nein, Herr von Stechlin, ich war nicht drüben,
sehr zu meinem Bedauern. Und ich hätt' es so leicht
haben können. Aber es ist immer wieder die alte Ge¬
schichte: was man in ein paar Stunden und mitunter in
ein paar Minuten erreichen kann, das verschiebt man,
eben weil es so nah' ist, und mit einemmal ist es zu
spät. Ich war Jahr und Tag im Haag, und von da
nach Dover hinüber war nicht viel mehr als nach Potsdam.
Trotzdem unterblieb es, oder richtiger gerade deshalb.
Daß ich den Tunnel oder den Tower nicht gesehn, das
könnt' ich mir verzeihn. Aber das Leben drüben! Wenn
irgendwo das vielcitierte Wort von dem ,in einem Tage
mehr gewinnen, als in des Jahres Einerlei' hinpaßt, so
da drüben. Alles modern und zugleich alles alt, einge¬
wurzelt, stabilisiert. Es steht einzig da; mehr als irgend

der Familie drüben in England, wo beide Töchter ge¬
boren ſeien.

Dies Geſpräch war noch lange nicht erledigt, als
man ſich von Tiſch erhob, und ſo kam es, daß ſich das
Plaudern über eben dasſelbe Thema beim Kaffee, der im
Gartenſalon und zwar in einem Halbzirkel um den Kamin
herum eingenommen wurde, fortſetzte. Dubslav ſprach
ſein Bedauern aus, daß ihn in ſeiner Jugend der Dienſt
und ſpäter die Verhältniſſe daran gehindert hätten, Eng¬
land kennen zu lernen; es ſei nun doch mal das vor¬
bildliche Land, eigentlich für alle Parteien, auch für die
Konſervativen, die dort ihr Ideal mindeſtens ebenſo gut
verwirklicht fänden wie die Liberalen. Lorenzen ſtimmte
lebhaft zu, während andrerſeits die Domina ziemlich
deutliche Zeichen von Ungeduld gab. England war ihr
kein erfreuliches Geſprächsthema, was ſelbſtverſtändlich
ihren Bruder nicht hinderte, dabei zu verharren.

„Ich möchte mich,“ fuhr Dubslav fort, „in dieſer
Angelegenheit an unſern Herrn Superintendenten wenden
dürfen. Waren Sie drüben?“

„Leider nein, Herr von Stechlin, ich war nicht drüben,
ſehr zu meinem Bedauern. Und ich hätt' es ſo leicht
haben können. Aber es iſt immer wieder die alte Ge¬
ſchichte: was man in ein paar Stunden und mitunter in
ein paar Minuten erreichen kann, das verſchiebt man,
eben weil es ſo nah' iſt, und mit einemmal iſt es zu
ſpät. Ich war Jahr und Tag im Haag, und von da
nach Dover hinüber war nicht viel mehr als nach Potsdam.
Trotzdem unterblieb es, oder richtiger gerade deshalb.
Daß ich den Tunnel oder den Tower nicht geſehn, das
könnt' ich mir verzeihn. Aber das Leben drüben! Wenn
irgendwo das vielcitierte Wort von dem ‚in einem Tage
mehr gewinnen, als in des Jahres Einerlei‘ hinpaßt, ſo
da drüben. Alles modern und zugleich alles alt, einge¬
wurzelt, ſtabiliſiert. Es ſteht einzig da; mehr als irgend

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0341" n="334"/>
der Familie drüben in England, wo beide Töchter ge¬<lb/>
boren &#x017F;eien.</p><lb/>
          <p>Dies Ge&#x017F;präch war noch lange nicht erledigt, als<lb/>
man &#x017F;ich von Ti&#x017F;ch erhob, und &#x017F;o kam es, daß &#x017F;ich das<lb/>
Plaudern über eben das&#x017F;elbe Thema beim Kaffee, der im<lb/>
Garten&#x017F;alon und zwar in einem Halbzirkel um den Kamin<lb/>
herum eingenommen wurde, fort&#x017F;etzte. Dubslav &#x017F;prach<lb/>
&#x017F;ein Bedauern aus, daß ihn in &#x017F;einer Jugend der Dien&#x017F;t<lb/>
und &#x017F;päter die Verhältni&#x017F;&#x017F;e daran gehindert hätten, Eng¬<lb/>
land kennen zu lernen; es &#x017F;ei nun doch mal das vor¬<lb/>
bildliche Land, eigentlich für alle Parteien, auch für die<lb/>
Kon&#x017F;ervativen, die dort ihr Ideal minde&#x017F;tens eben&#x017F;o gut<lb/>
verwirklicht fänden wie die Liberalen. Lorenzen &#x017F;timmte<lb/>
lebhaft zu, während andrer&#x017F;eits die Domina ziemlich<lb/>
deutliche Zeichen von Ungeduld gab. England war ihr<lb/>
kein erfreuliches Ge&#x017F;prächsthema, was &#x017F;elb&#x017F;tver&#x017F;tändlich<lb/>
ihren Bruder nicht hinderte, dabei zu verharren.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich möchte mich,&#x201C; fuhr Dubslav fort, &#x201E;in die&#x017F;er<lb/>
Angelegenheit an un&#x017F;ern Herrn Superintendenten wenden<lb/>
dürfen. Waren Sie drüben?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Leider nein, Herr von Stechlin, ich war nicht drüben,<lb/>
&#x017F;ehr zu meinem Bedauern. Und ich hätt' es &#x017F;o leicht<lb/>
haben können. Aber es i&#x017F;t immer wieder die alte Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte: was man in ein paar Stunden und mitunter in<lb/>
ein paar Minuten erreichen kann, das ver&#x017F;chiebt man,<lb/>
eben weil es &#x017F;o nah' i&#x017F;t, und mit einemmal i&#x017F;t es zu<lb/>
&#x017F;pät. Ich war Jahr und Tag im Haag, und von da<lb/>
nach Dover hinüber war nicht viel mehr als nach Potsdam.<lb/>
Trotzdem unterblieb es, oder richtiger gerade deshalb.<lb/>
Daß ich den Tunnel oder den Tower nicht ge&#x017F;ehn, das<lb/>
könnt' ich mir verzeihn. Aber das Leben drüben! Wenn<lb/>
irgendwo das vielcitierte Wort von dem &#x201A;in einem Tage<lb/>
mehr gewinnen, als in des Jahres Einerlei&#x2018; hinpaßt, &#x017F;o<lb/>
da drüben. Alles modern und zugleich alles alt, einge¬<lb/>
wurzelt, &#x017F;tabili&#x017F;iert. Es &#x017F;teht einzig da; mehr als irgend<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[334/0341] der Familie drüben in England, wo beide Töchter ge¬ boren ſeien. Dies Geſpräch war noch lange nicht erledigt, als man ſich von Tiſch erhob, und ſo kam es, daß ſich das Plaudern über eben dasſelbe Thema beim Kaffee, der im Gartenſalon und zwar in einem Halbzirkel um den Kamin herum eingenommen wurde, fortſetzte. Dubslav ſprach ſein Bedauern aus, daß ihn in ſeiner Jugend der Dienſt und ſpäter die Verhältniſſe daran gehindert hätten, Eng¬ land kennen zu lernen; es ſei nun doch mal das vor¬ bildliche Land, eigentlich für alle Parteien, auch für die Konſervativen, die dort ihr Ideal mindeſtens ebenſo gut verwirklicht fänden wie die Liberalen. Lorenzen ſtimmte lebhaft zu, während andrerſeits die Domina ziemlich deutliche Zeichen von Ungeduld gab. England war ihr kein erfreuliches Geſprächsthema, was ſelbſtverſtändlich ihren Bruder nicht hinderte, dabei zu verharren. „Ich möchte mich,“ fuhr Dubslav fort, „in dieſer Angelegenheit an unſern Herrn Superintendenten wenden dürfen. Waren Sie drüben?“ „Leider nein, Herr von Stechlin, ich war nicht drüben, ſehr zu meinem Bedauern. Und ich hätt' es ſo leicht haben können. Aber es iſt immer wieder die alte Ge¬ ſchichte: was man in ein paar Stunden und mitunter in ein paar Minuten erreichen kann, das verſchiebt man, eben weil es ſo nah' iſt, und mit einemmal iſt es zu ſpät. Ich war Jahr und Tag im Haag, und von da nach Dover hinüber war nicht viel mehr als nach Potsdam. Trotzdem unterblieb es, oder richtiger gerade deshalb. Daß ich den Tunnel oder den Tower nicht geſehn, das könnt' ich mir verzeihn. Aber das Leben drüben! Wenn irgendwo das vielcitierte Wort von dem ‚in einem Tage mehr gewinnen, als in des Jahres Einerlei‘ hinpaßt, ſo da drüben. Alles modern und zugleich alles alt, einge¬ wurzelt, ſtabiliſiert. Es ſteht einzig da; mehr als irgend

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/341
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/341>, abgerufen am 19.05.2024.