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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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sprochen hatte, doch wieder von ihm ab. Ihm bangte
vor der Möglichkeit einer seitens seiner Schwester "auf¬
gesetzten hohen Miene" wie vor einem Gespenst, und des¬
gleichen vor der Kostümfrage. Wohl war er sich, ob er
nun seine rote Landstandsuniform oder seinen hochkragigen
schwarzen Frack anlegte, seiner eignen altmodischen Er¬
scheinung voll bewußt, aber nebenher, was seine Person
anging, doch auch wieder einer gewissen Patriarchalität.
Einen gleichen Trost konnt' er dem äußern Menschen seiner
Schwester Adelheid nicht entnehmen. Er wußte genau,
wie sie kommen würde: schwarzes Seidenkleid, Rüsche mit
kleinen Knöpfelchen oben und die Siebenkurfürstenbrosche.
Was ihn aber am meisten ängstigte, war der Moment
nach Tisch, wo sie, wenn sie sich einigermaßen behaglich
zu fühlen anfing, ihre Wutzer Gesamtchaussure auf das
Kamingitter zu stellen und die Wärme von unten her ein¬
zusaugen pflegte.


Gleich nach sieben trafen Woldemar und die Barby¬
schen Damen auf dem Granseer Bahnhof ein und fanden
Martin und den Stechlinschen Schlitten vor, letzterer in¬
soweit ein Prachtstück, als er ein richtiges Bärenfell hatte,
während andrerseits Geläut und Schneedecken und fast
auch die Pferde mehr oder weniger zu wünschen übrig
ließen. Aber Melusine sah nichts davon und Armgard
noch weniger. Es war eine reizende Fahrt; die Luft
stand, und am stahlblauen Himmel oben blinkten die
Sterne. So ging es zwischen den eingeschneiten Feldern
hin, und wenn ihre Kappen und Hüte hier und dort die
herniederhängenden Zweige streiften, fielen die Flocken in
ihren Schlitten. In den Dörfern war überall noch
Leben, und das Anschlagen der Hunde, das vom nächsten
Dorf her beantwortet wurde, klang übers Feld. Alle
drei Schlitteninsassen waren glücklich, und ohne daß sie

ſprochen hatte, doch wieder von ihm ab. Ihm bangte
vor der Möglichkeit einer ſeitens ſeiner Schweſter „auf¬
geſetzten hohen Miene“ wie vor einem Geſpenſt, und des¬
gleichen vor der Koſtümfrage. Wohl war er ſich, ob er
nun ſeine rote Landſtandsuniform oder ſeinen hochkragigen
ſchwarzen Frack anlegte, ſeiner eignen altmodiſchen Er¬
ſcheinung voll bewußt, aber nebenher, was ſeine Perſon
anging, doch auch wieder einer gewiſſen Patriarchalität.
Einen gleichen Troſt konnt' er dem äußern Menſchen ſeiner
Schweſter Adelheid nicht entnehmen. Er wußte genau,
wie ſie kommen würde: ſchwarzes Seidenkleid, Rüſche mit
kleinen Knöpfelchen oben und die Siebenkurfürſtenbroſche.
Was ihn aber am meiſten ängſtigte, war der Moment
nach Tiſch, wo ſie, wenn ſie ſich einigermaßen behaglich
zu fühlen anfing, ihre Wutzer Geſamtchauſſure auf das
Kamingitter zu ſtellen und die Wärme von unten her ein¬
zuſaugen pflegte.


Gleich nach ſieben trafen Woldemar und die Barby¬
ſchen Damen auf dem Granſeer Bahnhof ein und fanden
Martin und den Stechlinſchen Schlitten vor, letzterer in¬
ſoweit ein Prachtſtück, als er ein richtiges Bärenfell hatte,
während andrerſeits Geläut und Schneedecken und faſt
auch die Pferde mehr oder weniger zu wünſchen übrig
ließen. Aber Meluſine ſah nichts davon und Armgard
noch weniger. Es war eine reizende Fahrt; die Luft
ſtand, und am ſtahlblauen Himmel oben blinkten die
Sterne. So ging es zwiſchen den eingeſchneiten Feldern
hin, und wenn ihre Kappen und Hüte hier und dort die
herniederhängenden Zweige ſtreiften, fielen die Flocken in
ihren Schlitten. In den Dörfern war überall noch
Leben, und das Anſchlagen der Hunde, das vom nächſten
Dorf her beantwortet wurde, klang übers Feld. Alle
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[330/0337] ſprochen hatte, doch wieder von ihm ab. Ihm bangte vor der Möglichkeit einer ſeitens ſeiner Schweſter „auf¬ geſetzten hohen Miene“ wie vor einem Geſpenſt, und des¬ gleichen vor der Koſtümfrage. Wohl war er ſich, ob er nun ſeine rote Landſtandsuniform oder ſeinen hochkragigen ſchwarzen Frack anlegte, ſeiner eignen altmodiſchen Er¬ ſcheinung voll bewußt, aber nebenher, was ſeine Perſon anging, doch auch wieder einer gewiſſen Patriarchalität. Einen gleichen Troſt konnt' er dem äußern Menſchen ſeiner Schweſter Adelheid nicht entnehmen. Er wußte genau, wie ſie kommen würde: ſchwarzes Seidenkleid, Rüſche mit kleinen Knöpfelchen oben und die Siebenkurfürſtenbroſche. Was ihn aber am meiſten ängſtigte, war der Moment nach Tiſch, wo ſie, wenn ſie ſich einigermaßen behaglich zu fühlen anfing, ihre Wutzer Geſamtchauſſure auf das Kamingitter zu ſtellen und die Wärme von unten her ein¬ zuſaugen pflegte. Gleich nach ſieben trafen Woldemar und die Barby¬ ſchen Damen auf dem Granſeer Bahnhof ein und fanden Martin und den Stechlinſchen Schlitten vor, letzterer in¬ ſoweit ein Prachtſtück, als er ein richtiges Bärenfell hatte, während andrerſeits Geläut und Schneedecken und faſt auch die Pferde mehr oder weniger zu wünſchen übrig ließen. Aber Meluſine ſah nichts davon und Armgard noch weniger. Es war eine reizende Fahrt; die Luft ſtand, und am ſtahlblauen Himmel oben blinkten die Sterne. So ging es zwiſchen den eingeſchneiten Feldern hin, und wenn ihre Kappen und Hüte hier und dort die herniederhängenden Zweige ſtreiften, fielen die Flocken in ihren Schlitten. In den Dörfern war überall noch Leben, und das Anſchlagen der Hunde, das vom nächſten Dorf her beantwortet wurde, klang übers Feld. Alle drei Schlitteninſaſſen waren glücklich, und ohne daß ſie

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/337>, abgerufen am 26.11.2024.