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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Papa hat das auf gut Glück hin gesagt, hat bloß ein
beliebiges Beispiel herausgegriffen. Und nun diese Trag¬
weite! Lassen wir das aber und sagen Sie mir lieber:
was ist Waltham-Abbey? Und wo liegt es?"

"Es liegt ganz in der Nähe von London und ist
eine Nachmittagsfahrt, etwa wie wenn man das Mausoleum
in Charlottenburg besucht oder das in der Potsdamer
Friedenskirche."

"Hat es denn etwas von einem Mausoleum?"

"Ja und nein. Der Denkstein fehlt, aber die ganze
Kirche kann als ein Denkmal gelten."

"Als ein Denkmal für wen?"

"Für König Harald."

"Für den, den Editha Schwanenhals auf dem Schlacht¬
felde von Hastings suchte?"

"Für denselben."

"Ich habe während meiner Londoner Tage das
Bild von Horace Vernet gesehn, das den Moment dar¬
stellt, wo die schöne Col de Cygne zwischen den Toten
umherirrt. Und ich erinnre mich auch, daß zwei Mönche
neben ihr herschritten. Aber weiter weiß ich nichts. Und
am wenigsten weiß ich, was daraus wurde."

"Was daraus wurde, -- das ist eben der Schlußakt
des Dramas. Und dieser Schlußakt heißt Waltham-Abbey.
Die Mönche, deren Sie sich erinnern, und die da neben
Editha herschritten, das waren Waltham-Abbeymönche,
und als sie schließlich gefunden hatten, was sie suchten,
legten sie den König auf dichtes Baumgezweig und trugen
ihn den weiten Weg bis nach Waltham-Abbey zurück.
Und da begruben sie ihn."

"Und die Stätte, wo sie ihn begruben, die haben
Sie besucht?"

"Nein, nicht sein Grab; das existiert nicht. Man
weiß nur, daß man ihn dort überhaupt begrub. Und als
ich da, die Sonne ging eben unter, in einem uralten

Papa hat das auf gut Glück hin geſagt, hat bloß ein
beliebiges Beiſpiel herausgegriffen. Und nun dieſe Trag¬
weite! Laſſen wir das aber und ſagen Sie mir lieber:
was iſt Waltham-Abbey? Und wo liegt es?“

„Es liegt ganz in der Nähe von London und iſt
eine Nachmittagsfahrt, etwa wie wenn man das Mauſoleum
in Charlottenburg beſucht oder das in der Potsdamer
Friedenskirche.“

„Hat es denn etwas von einem Mauſoleum?“

„Ja und nein. Der Denkſtein fehlt, aber die ganze
Kirche kann als ein Denkmal gelten.“

„Als ein Denkmal für wen?“

„Für König Harald.“

„Für den, den Editha Schwanenhals auf dem Schlacht¬
felde von Haſtings ſuchte?“

„Für denſelben.“

„Ich habe während meiner Londoner Tage das
Bild von Horace Vernet geſehn, das den Moment dar¬
ſtellt, wo die ſchöne Col de Cygne zwiſchen den Toten
umherirrt. Und ich erinnre mich auch, daß zwei Mönche
neben ihr herſchritten. Aber weiter weiß ich nichts. Und
am wenigſten weiß ich, was daraus wurde.“

„Was daraus wurde, — das iſt eben der Schlußakt
des Dramas. Und dieſer Schlußakt heißt Waltham-Abbey.
Die Mönche, deren Sie ſich erinnern, und die da neben
Editha herſchritten, das waren Waltham-Abbeymönche,
und als ſie ſchließlich gefunden hatten, was ſie ſuchten,
legten ſie den König auf dichtes Baumgezweig und trugen
ihn den weiten Weg bis nach Waltham-Abbey zurück.
Und da begruben ſie ihn.“

„Und die Stätte, wo ſie ihn begruben, die haben
Sie beſucht?“

„Nein, nicht ſein Grab; das exiſtiert nicht. Man
weiß nur, daß man ihn dort überhaupt begrub. Und als
ich da, die Sonne ging eben unter, in einem uralten

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[318/0325] Papa hat das auf gut Glück hin geſagt, hat bloß ein beliebiges Beiſpiel herausgegriffen. Und nun dieſe Trag¬ weite! Laſſen wir das aber und ſagen Sie mir lieber: was iſt Waltham-Abbey? Und wo liegt es?“ „Es liegt ganz in der Nähe von London und iſt eine Nachmittagsfahrt, etwa wie wenn man das Mauſoleum in Charlottenburg beſucht oder das in der Potsdamer Friedenskirche.“ „Hat es denn etwas von einem Mauſoleum?“ „Ja und nein. Der Denkſtein fehlt, aber die ganze Kirche kann als ein Denkmal gelten.“ „Als ein Denkmal für wen?“ „Für König Harald.“ „Für den, den Editha Schwanenhals auf dem Schlacht¬ felde von Haſtings ſuchte?“ „Für denſelben.“ „Ich habe während meiner Londoner Tage das Bild von Horace Vernet geſehn, das den Moment dar¬ ſtellt, wo die ſchöne Col de Cygne zwiſchen den Toten umherirrt. Und ich erinnre mich auch, daß zwei Mönche neben ihr herſchritten. Aber weiter weiß ich nichts. Und am wenigſten weiß ich, was daraus wurde.“ „Was daraus wurde, — das iſt eben der Schlußakt des Dramas. Und dieſer Schlußakt heißt Waltham-Abbey. Die Mönche, deren Sie ſich erinnern, und die da neben Editha herſchritten, das waren Waltham-Abbeymönche, und als ſie ſchließlich gefunden hatten, was ſie ſuchten, legten ſie den König auf dichtes Baumgezweig und trugen ihn den weiten Weg bis nach Waltham-Abbey zurück. Und da begruben ſie ihn.“ „Und die Stätte, wo ſie ihn begruben, die haben Sie beſucht?“ „Nein, nicht ſein Grab; das exiſtiert nicht. Man weiß nur, daß man ihn dort überhaupt begrub. Und als ich da, die Sonne ging eben unter, in einem uralten

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/325>, abgerufen am 25.11.2024.