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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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wie's hier steht, und daß ich meine ältere Schwester, die
mich erzogen hat, (hoffentlich gut,) jetzt nachträglich mit¬
unter meinerseits erziehen muß." Dabei reichte sie Melusine
die Hand. "Eben erst ist er fort, der arme Professor,
und jetzt schon so schlechte Nachrede. Welchen Trost soll
sich unser Freund Stechlin daraus schöpfen? Er wird
denken: heute dir, morgen mir."

"Du sollst in allem recht haben, Armgard, nur nicht
in diesem letzten. Schließlich weiß doch jeder, was er
gilt, ob er geliebt wird oder nicht, vorausgesetzt, daß er
ein Gentleman und nicht ein Gigerl ist. Aber Gentleman.
Da hab' ich wieder die Einhake-Öse für England. Das
Schönheitskapitel ist erledigt, war ohnehin nur Caprice.
Von all dem andern aber, das schließlich doch wichtiger
ist, wissen wir noch immer so gut wie gar nichts. Wie
war es in Tower? Und hab' ich recht behalten mit
Traitors Gate?"

"Nur in einem Punkt, Gräfin, in Ihrem Mißtrauen
gegen meine Phantasie. Die versagte da total, wenn es
nicht doch vielleicht an der Sache selbst, also an Traitors
Gate, gelegen hat. Denn an einer anderen Stelle konnt'
ich mich meiner Phantasie beinah' berühmen und am
meisten da, wo, (wie mir übrigens nur zu begreiflich,) auch
Sie persönlich mit so viel Vorliebe verweilt haben."

"Und welche Stelle war das?"

"Waltham-Abbey."

"Waltham-Abbey? Aber davon weiß ich ja gar
nichts. Waltham-Abbey kenn' ich nicht, kaum dem Namen
nach."

"Und doch weiß ich bestimmt, daß mir Ihr Herr
Papa gerade am Abend vor meiner Abreise sagte: "das
muß Melusine wissen; die weiß ja dort überall Bescheid
und kennt, glaub' ich, Waltham-Abbey besser, als Treptow
oder Stralau."

"So bilden sich Renommees," lachte Melusine. "Der

wie's hier ſteht, und daß ich meine ältere Schweſter, die
mich erzogen hat, (hoffentlich gut,) jetzt nachträglich mit¬
unter meinerſeits erziehen muß.“ Dabei reichte ſie Meluſine
die Hand. „Eben erſt iſt er fort, der arme Profeſſor,
und jetzt ſchon ſo ſchlechte Nachrede. Welchen Troſt ſoll
ſich unſer Freund Stechlin daraus ſchöpfen? Er wird
denken: heute dir, morgen mir.“

„Du ſollſt in allem recht haben, Armgard, nur nicht
in dieſem letzten. Schließlich weiß doch jeder, was er
gilt, ob er geliebt wird oder nicht, vorausgeſetzt, daß er
ein Gentleman und nicht ein Gigerl iſt. Aber Gentleman.
Da hab' ich wieder die Einhake-Öſe für England. Das
Schönheitskapitel iſt erledigt, war ohnehin nur Caprice.
Von all dem andern aber, das ſchließlich doch wichtiger
iſt, wiſſen wir noch immer ſo gut wie gar nichts. Wie
war es in Tower? Und hab' ich recht behalten mit
Traitors Gate?“

„Nur in einem Punkt, Gräfin, in Ihrem Mißtrauen
gegen meine Phantaſie. Die verſagte da total, wenn es
nicht doch vielleicht an der Sache ſelbſt, alſo an Traitors
Gate, gelegen hat. Denn an einer anderen Stelle konnt'
ich mich meiner Phantaſie beinah' berühmen und am
meiſten da, wo, (wie mir übrigens nur zu begreiflich,) auch
Sie perſönlich mit ſo viel Vorliebe verweilt haben.“

„Und welche Stelle war das?“

„Waltham-Abbey.“

„Waltham-Abbey? Aber davon weiß ich ja gar
nichts. Waltham-Abbey kenn' ich nicht, kaum dem Namen
nach.“

„Und doch weiß ich beſtimmt, daß mir Ihr Herr
Papa gerade am Abend vor meiner Abreiſe ſagte: „das
muß Meluſine wiſſen; die weiß ja dort überall Beſcheid
und kennt, glaub' ich, Waltham-Abbey beſſer, als Treptow
oder Stralau.“

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[317/0324] wie's hier ſteht, und daß ich meine ältere Schweſter, die mich erzogen hat, (hoffentlich gut,) jetzt nachträglich mit¬ unter meinerſeits erziehen muß.“ Dabei reichte ſie Meluſine die Hand. „Eben erſt iſt er fort, der arme Profeſſor, und jetzt ſchon ſo ſchlechte Nachrede. Welchen Troſt ſoll ſich unſer Freund Stechlin daraus ſchöpfen? Er wird denken: heute dir, morgen mir.“ „Du ſollſt in allem recht haben, Armgard, nur nicht in dieſem letzten. Schließlich weiß doch jeder, was er gilt, ob er geliebt wird oder nicht, vorausgeſetzt, daß er ein Gentleman und nicht ein Gigerl iſt. Aber Gentleman. Da hab' ich wieder die Einhake-Öſe für England. Das Schönheitskapitel iſt erledigt, war ohnehin nur Caprice. Von all dem andern aber, das ſchließlich doch wichtiger iſt, wiſſen wir noch immer ſo gut wie gar nichts. Wie war es in Tower? Und hab' ich recht behalten mit Traitors Gate?“ „Nur in einem Punkt, Gräfin, in Ihrem Mißtrauen gegen meine Phantaſie. Die verſagte da total, wenn es nicht doch vielleicht an der Sache ſelbſt, alſo an Traitors Gate, gelegen hat. Denn an einer anderen Stelle konnt' ich mich meiner Phantaſie beinah' berühmen und am meiſten da, wo, (wie mir übrigens nur zu begreiflich,) auch Sie perſönlich mit ſo viel Vorliebe verweilt haben.“ „Und welche Stelle war das?“ „Waltham-Abbey.“ „Waltham-Abbey? Aber davon weiß ich ja gar nichts. Waltham-Abbey kenn' ich nicht, kaum dem Namen nach.“ „Und doch weiß ich beſtimmt, daß mir Ihr Herr Papa gerade am Abend vor meiner Abreiſe ſagte: „das muß Meluſine wiſſen; die weiß ja dort überall Beſcheid und kennt, glaub' ich, Waltham-Abbey beſſer, als Treptow oder Stralau.“ „So bilden ſich Renommees,“ lachte Meluſine. „Der

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/324>, abgerufen am 25.11.2024.