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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Das hängt ganz davon ab," sagte Melusine, "wie
Sie sich einschätzen. Haben Sie den Ehrgeiz, nicht bloß
den eigentlichen alten Giotto von Florenz zu kennen,
sondern auch all die Giottinos, die neuerdings in Ost¬
elbien von Rittergut zu Rittergut ziehn, um für Kunst und
Christentum ein übriges zu leisten, so müssen Sie Cujacius
freilich kennen. Er hat da die große Lieferung; ist übrigens
lange nicht der Schlimmste. Selbst seine Gegner, und er
hat deren ein gerüttelt und geschüttelt Maß, gestehen ihm
ein hübsches Talent zu, nur verdirbt er alles durch seinen
Dünkel. Und so hat er denn keine Freunde, trotzdem er
beständig von Richtungsgenossen spricht und auch heute
wieder sprach. Gerade diese Richtungsgenossen aber hat
er aufs entschiedenste gegen sich, was übrigens nicht bloß
an ihm, sondern auch an den Genossen liegt. Gerade die,
die dasselbe Ziel verfolgen, bekämpfen sich immer am
heftigsten untereinander, vor allem auf christlichem Gebiet,
auch wenn es sich nicht um christliche Dogmen, sondern
bloß um christliche Kunst handelt. Zu des Professors
Lieblingswendungen zählt die, daß er ,in der Tradition
stehe', was ihm indessen nur Spott und Achselzucken
einträgt. Einer seiner Richtungsgenossen, -- als ob er
mich persönlich dafür hätte verantwortlich machen wollen,
-- fragte mich erst neulich voll ironischer Teilnahme:
,Steht denn Ihr Cujacius immer noch in der Tradition?'
Und als ich ihm antwortete: ,Sie spötteln darüber, hat
er denn aber keine?' bemerkte dieser Spezialkollege: ,Ge¬
wiß hat er eine Tradition, und das ist seine eigne. Seit
fünfundvierzig Jahren malt er immer denselben Christus
und bereist als Kunst-, aber fast auch schon als Kirchen-
Fanatiker, die ihm unterstellten Provinzen, so daß man
betreffs seiner beinah' sagen kann: ,Es predigt sein Christus
allerorten, ist aber drum nicht schöner geworden'."

"Melusine, du darfst so nicht weiter sprechen," unter¬
brach hier Armgard. "Sie wissen übrigens, Herr von Stechlin,

„Das hängt ganz davon ab,“ ſagte Meluſine, „wie
Sie ſich einſchätzen. Haben Sie den Ehrgeiz, nicht bloß
den eigentlichen alten Giotto von Florenz zu kennen,
ſondern auch all die Giottinos, die neuerdings in Oſt¬
elbien von Rittergut zu Rittergut ziehn, um für Kunſt und
Chriſtentum ein übriges zu leiſten, ſo müſſen Sie Cujacius
freilich kennen. Er hat da die große Lieferung; iſt übrigens
lange nicht der Schlimmſte. Selbſt ſeine Gegner, und er
hat deren ein gerüttelt und geſchüttelt Maß, geſtehen ihm
ein hübſches Talent zu, nur verdirbt er alles durch ſeinen
Dünkel. Und ſo hat er denn keine Freunde, trotzdem er
beſtändig von Richtungsgenoſſen ſpricht und auch heute
wieder ſprach. Gerade dieſe Richtungsgenoſſen aber hat
er aufs entſchiedenſte gegen ſich, was übrigens nicht bloß
an ihm, ſondern auch an den Genoſſen liegt. Gerade die,
die dasſelbe Ziel verfolgen, bekämpfen ſich immer am
heftigſten untereinander, vor allem auf chriſtlichem Gebiet,
auch wenn es ſich nicht um chriſtliche Dogmen, ſondern
bloß um chriſtliche Kunſt handelt. Zu des Profeſſors
Lieblingswendungen zählt die, daß er ‚in der Tradition
ſtehe‘, was ihm indeſſen nur Spott und Achſelzucken
einträgt. Einer ſeiner Richtungsgenoſſen, — als ob er
mich perſönlich dafür hätte verantwortlich machen wollen,
— fragte mich erſt neulich voll ironiſcher Teilnahme:
‚Steht denn Ihr Cujacius immer noch in der Tradition?‘
Und als ich ihm antwortete: ‚Sie ſpötteln darüber, hat
er denn aber keine?‘ bemerkte dieſer Spezialkollege: ‚Ge¬
wiß hat er eine Tradition, und das iſt ſeine eigne. Seit
fünfundvierzig Jahren malt er immer denſelben Chriſtus
und bereiſt als Kunſt-, aber faſt auch ſchon als Kirchen-
Fanatiker, die ihm unterſtellten Provinzen, ſo daß man
betreffs ſeiner beinah' ſagen kann: ‚Es predigt ſein Chriſtus
allerorten, iſt aber drum nicht ſchöner geworden‘.“

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brach hier Armgard. „Sie wiſſen übrigens, Herr von Stechlin,

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[316/0323] „Das hängt ganz davon ab,“ ſagte Meluſine, „wie Sie ſich einſchätzen. Haben Sie den Ehrgeiz, nicht bloß den eigentlichen alten Giotto von Florenz zu kennen, ſondern auch all die Giottinos, die neuerdings in Oſt¬ elbien von Rittergut zu Rittergut ziehn, um für Kunſt und Chriſtentum ein übriges zu leiſten, ſo müſſen Sie Cujacius freilich kennen. Er hat da die große Lieferung; iſt übrigens lange nicht der Schlimmſte. Selbſt ſeine Gegner, und er hat deren ein gerüttelt und geſchüttelt Maß, geſtehen ihm ein hübſches Talent zu, nur verdirbt er alles durch ſeinen Dünkel. Und ſo hat er denn keine Freunde, trotzdem er beſtändig von Richtungsgenoſſen ſpricht und auch heute wieder ſprach. Gerade dieſe Richtungsgenoſſen aber hat er aufs entſchiedenſte gegen ſich, was übrigens nicht bloß an ihm, ſondern auch an den Genoſſen liegt. Gerade die, die dasſelbe Ziel verfolgen, bekämpfen ſich immer am heftigſten untereinander, vor allem auf chriſtlichem Gebiet, auch wenn es ſich nicht um chriſtliche Dogmen, ſondern bloß um chriſtliche Kunſt handelt. Zu des Profeſſors Lieblingswendungen zählt die, daß er ‚in der Tradition ſtehe‘, was ihm indeſſen nur Spott und Achſelzucken einträgt. Einer ſeiner Richtungsgenoſſen, — als ob er mich perſönlich dafür hätte verantwortlich machen wollen, — fragte mich erſt neulich voll ironiſcher Teilnahme: ‚Steht denn Ihr Cujacius immer noch in der Tradition?‘ Und als ich ihm antwortete: ‚Sie ſpötteln darüber, hat er denn aber keine?‘ bemerkte dieſer Spezialkollege: ‚Ge¬ wiß hat er eine Tradition, und das iſt ſeine eigne. Seit fünfundvierzig Jahren malt er immer denſelben Chriſtus und bereiſt als Kunſt-, aber faſt auch ſchon als Kirchen- Fanatiker, die ihm unterſtellten Provinzen, ſo daß man betreffs ſeiner beinah' ſagen kann: ‚Es predigt ſein Chriſtus allerorten, iſt aber drum nicht ſchöner geworden‘.“ „Meluſine, du darfſt ſo nicht weiter ſprechen,“ unter¬ brach hier Armgard. „Sie wiſſen übrigens, Herr von Stechlin,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/323>, abgerufen am 25.11.2024.