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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Ihnen morgen eine Radierung nach einem Bilde des rich¬
tigen englischen Millais zu schicken. Dragonerkaserne,
Hallesches Thor, -- ich weiß. Übermorgen lass' ich die
Mappe wieder abholen. Name des Bildes: ,Sir Isumbras'.
Merkwürdige Schöpfung. Schade, daß er, der Vater des
Präraffaelitentums, dabei nicht aushielt. Aber nicht zu
verwundern. Nichts hält jetzt aus, und mit nächstem
werden wir die Berühmtheiten nach Tagen zählen. Tizian
entzückte noch mit hundert Jahren; wer jetzt fünf Jahre
gemalt hat, ist altes Eisen. Gnädigste Gräfin, Comtesse
Armgard ... Darf ich bitten, mich meinem Gönner,
Ihrem Herrn Vater, dem Grafen, angelegentlichst empfehlen
zu wollen."


Woldemar, die Honneurs des Hauses machend, was
er bei seiner intimen Stellung durfte, hatte den Professor
bis auf den Korridor geleitet und ihm hier den Künstler¬
mantel umgegeben, den er, in unverändertem Schnitt, seit
seinen Romtagen trug. Es war ein Radmantel. Dazu
ein Kalabreser von Seidenfilz.

"Er ist doch auf seine Weise nicht übel," sagte Wolde¬
mar, als er bei den Damen wieder eintrat. "An einem
starken Selbstbewußtsein, dran er wohl leidet, darf man
heutzutage nicht Anstoß nehmen, vorausgesetzt, daß die
Thatsachen es einigermaßen rechtfertigen."

"Ein starkes Selbstbewußtsein ist nie gerechtfertigt,"
sagte Armgard, "Bismarck vielleicht ausgenommen. Das
heißt also in jedem Jahrhundert einer."

"Wonach Cujacius günstigstenfalls der zweite wäre,"
lachte Woldemar. "Wie steht es eigentlich mit ihm? Ich
habe nie von ihm gehört, was aber nicht viel besagen
will, namentlich nachdem ich Millais und Millet glücklich
verwechselt habe. Nun geht alles so in einem hin. Ist
er ein Mann, den ich eigentlich kennen müßte?"

Ihnen morgen eine Radierung nach einem Bilde des rich¬
tigen engliſchen Millais zu ſchicken. Dragonerkaſerne,
Halleſches Thor, — ich weiß. Übermorgen laſſ' ich die
Mappe wieder abholen. Name des Bildes: ‚Sir Iſumbras‘.
Merkwürdige Schöpfung. Schade, daß er, der Vater des
Präraffaelitentums, dabei nicht aushielt. Aber nicht zu
verwundern. Nichts hält jetzt aus, und mit nächſtem
werden wir die Berühmtheiten nach Tagen zählen. Tizian
entzückte noch mit hundert Jahren; wer jetzt fünf Jahre
gemalt hat, iſt altes Eiſen. Gnädigſte Gräfin, Comteſſe
Armgard ... Darf ich bitten, mich meinem Gönner,
Ihrem Herrn Vater, dem Grafen, angelegentlichſt empfehlen
zu wollen.“


Woldemar, die Honneurs des Hauſes machend, was
er bei ſeiner intimen Stellung durfte, hatte den Profeſſor
bis auf den Korridor geleitet und ihm hier den Künſtler¬
mantel umgegeben, den er, in unverändertem Schnitt, ſeit
ſeinen Romtagen trug. Es war ein Radmantel. Dazu
ein Kalabreſer von Seidenfilz.

„Er iſt doch auf ſeine Weiſe nicht übel,“ ſagte Wolde¬
mar, als er bei den Damen wieder eintrat. „An einem
ſtarken Selbſtbewußtſein, dran er wohl leidet, darf man
heutzutage nicht Anſtoß nehmen, vorausgeſetzt, daß die
Thatſachen es einigermaßen rechtfertigen.“

„Ein ſtarkes Selbſtbewußtſein iſt nie gerechtfertigt,“
ſagte Armgard, „Bismarck vielleicht ausgenommen. Das
heißt alſo in jedem Jahrhundert einer.“

„Wonach Cujacius günſtigſtenfalls der zweite wäre,„
lachte Woldemar. „Wie ſteht es eigentlich mit ihm? Ich
habe nie von ihm gehört, was aber nicht viel beſagen
will, namentlich nachdem ich Millais und Millet glücklich
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er ein Mann, den ich eigentlich kennen müßte?“

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[315/0322] Ihnen morgen eine Radierung nach einem Bilde des rich¬ tigen engliſchen Millais zu ſchicken. Dragonerkaſerne, Halleſches Thor, — ich weiß. Übermorgen laſſ' ich die Mappe wieder abholen. Name des Bildes: ‚Sir Iſumbras‘. Merkwürdige Schöpfung. Schade, daß er, der Vater des Präraffaelitentums, dabei nicht aushielt. Aber nicht zu verwundern. Nichts hält jetzt aus, und mit nächſtem werden wir die Berühmtheiten nach Tagen zählen. Tizian entzückte noch mit hundert Jahren; wer jetzt fünf Jahre gemalt hat, iſt altes Eiſen. Gnädigſte Gräfin, Comteſſe Armgard ... Darf ich bitten, mich meinem Gönner, Ihrem Herrn Vater, dem Grafen, angelegentlichſt empfehlen zu wollen.“ Woldemar, die Honneurs des Hauſes machend, was er bei ſeiner intimen Stellung durfte, hatte den Profeſſor bis auf den Korridor geleitet und ihm hier den Künſtler¬ mantel umgegeben, den er, in unverändertem Schnitt, ſeit ſeinen Romtagen trug. Es war ein Radmantel. Dazu ein Kalabreſer von Seidenfilz. „Er iſt doch auf ſeine Weiſe nicht übel,“ ſagte Wolde¬ mar, als er bei den Damen wieder eintrat. „An einem ſtarken Selbſtbewußtſein, dran er wohl leidet, darf man heutzutage nicht Anſtoß nehmen, vorausgeſetzt, daß die Thatſachen es einigermaßen rechtfertigen.“ „Ein ſtarkes Selbſtbewußtſein iſt nie gerechtfertigt,“ ſagte Armgard, „Bismarck vielleicht ausgenommen. Das heißt alſo in jedem Jahrhundert einer.“ „Wonach Cujacius günſtigſtenfalls der zweite wäre,„ lachte Woldemar. „Wie ſteht es eigentlich mit ihm? Ich habe nie von ihm gehört, was aber nicht viel beſagen will, namentlich nachdem ich Millais und Millet glücklich verwechſelt habe. Nun geht alles ſo in einem hin. Iſt er ein Mann, den ich eigentlich kennen müßte?“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/322>, abgerufen am 18.05.2024.