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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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ins Großartige hinein und düpiert dann regelmäßig die
Menge. Mundus vult decipi. Allem vorauf in Eng¬
land. Es giebt nur ein Heil: Umkehr, Rückkehr zur
keuschen Linie. Die Koloristen sind das Unglück in der
Kunst. Einige wenige waren hervorragend, aber nicht
parceque, sondern quoique. Noch heute wird es mir
obliegen, in unserm Verein über eben dieses Thema zu
sprechen. Gewiß unter Widerspruch, vielleicht auch unter
Lärm und Gepolter; denn mit den richtigen Linien in der
Kunst sind auch die richtigen Formen in der Gesellschaft
verloren gegangen. Aber viel Feind', viel Ehr', und jede
Stelle verlangt heutzutage ihren Mann von Worms, ihren
Luther. ,Hier stehe ich'. Am elendesten aber sind die
paktierenwollenden Halben. Zwischen schön und häßlich
ist nicht zu paktieren."

"Und schön und häßlich," unterbrach hier Melusine,
(froh, überhaupt unterbrechen zu können,) "war auch die
große Frage, die wir, als wir Sie begrüßen durften, eben
unter Diskussion stellten. Herr von Stechlin sollte beichten
über die Schönheit der Engländerinnen. Und nun frag'
ich Sie, Herr Professor, finden auch Sie sie so schön, wie
einem hierlandes immer versichert wird?"

"Ich spreche nicht gern über Engländerinnen," fuhr
Cujacius fort. "Etwas von Idiosynkrasie beherrscht mich
da. Diese Töchter Albions, sie singen so viel und musizieren
so viel und malen so viel. Und haben eigentlich kein
Talent."

"Vielleicht. Aber davon dürfen Sie jetzt nicht sprechen.
Bloß das eine: schön oder nicht schön?"

"Schön? Nun denn ,nein'. Alles wirkt wie tot.
Und was wie tot wirkt, wenn es nicht der Tod selbst ist,
ist nicht schön. Im übrigen, ich sehe, daß ich nur noch
zehn Minuten habe. Wie gerne wär' ich an einer Stelle
geblieben, wo man so vielem Verständnis und Entgegen¬
kommen begegnet. Herr von Stechlin, ich erlaube mir,

ins Großartige hinein und düpiert dann regelmäßig die
Menge. Mundus vult decipi. Allem vorauf in Eng¬
land. Es giebt nur ein Heil: Umkehr, Rückkehr zur
keuſchen Linie. Die Koloriſten ſind das Unglück in der
Kunſt. Einige wenige waren hervorragend, aber nicht
parceque, ſondern quoique. Noch heute wird es mir
obliegen, in unſerm Verein über eben dieſes Thema zu
ſprechen. Gewiß unter Widerſpruch, vielleicht auch unter
Lärm und Gepolter; denn mit den richtigen Linien in der
Kunſt ſind auch die richtigen Formen in der Geſellſchaft
verloren gegangen. Aber viel Feind', viel Ehr', und jede
Stelle verlangt heutzutage ihren Mann von Worms, ihren
Luther. ‚Hier ſtehe ich‘. Am elendeſten aber ſind die
paktierenwollenden Halben. Zwiſchen ſchön und häßlich
iſt nicht zu paktieren.“

„Und ſchön und häßlich,“ unterbrach hier Meluſine,
(froh, überhaupt unterbrechen zu können,) „war auch die
große Frage, die wir, als wir Sie begrüßen durften, eben
unter Diskuſſion ſtellten. Herr von Stechlin ſollte beichten
über die Schönheit der Engländerinnen. Und nun frag'
ich Sie, Herr Profeſſor, finden auch Sie ſie ſo ſchön, wie
einem hierlandes immer verſichert wird?“

„Ich ſpreche nicht gern über Engländerinnen,“ fuhr
Cujacius fort. „Etwas von Idioſynkraſie beherrſcht mich
da. Dieſe Töchter Albions, ſie ſingen ſo viel und muſizieren
ſo viel und malen ſo viel. Und haben eigentlich kein
Talent.“

„Vielleicht. Aber davon dürfen Sie jetzt nicht ſprechen.
Bloß das eine: ſchön oder nicht ſchön?“

„Schön? Nun denn ‚nein‘. Alles wirkt wie tot.
Und was wie tot wirkt, wenn es nicht der Tod ſelbſt iſt,
iſt nicht ſchön. Im übrigen, ich ſehe, daß ich nur noch
zehn Minuten habe. Wie gerne wär' ich an einer Stelle
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kommen begegnet. Herr von Stechlin, ich erlaube mir,

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[314/0321] ins Großartige hinein und düpiert dann regelmäßig die Menge. Mundus vult decipi. Allem vorauf in Eng¬ land. Es giebt nur ein Heil: Umkehr, Rückkehr zur keuſchen Linie. Die Koloriſten ſind das Unglück in der Kunſt. Einige wenige waren hervorragend, aber nicht parceque, ſondern quoique. Noch heute wird es mir obliegen, in unſerm Verein über eben dieſes Thema zu ſprechen. Gewiß unter Widerſpruch, vielleicht auch unter Lärm und Gepolter; denn mit den richtigen Linien in der Kunſt ſind auch die richtigen Formen in der Geſellſchaft verloren gegangen. Aber viel Feind', viel Ehr', und jede Stelle verlangt heutzutage ihren Mann von Worms, ihren Luther. ‚Hier ſtehe ich‘. Am elendeſten aber ſind die paktierenwollenden Halben. Zwiſchen ſchön und häßlich iſt nicht zu paktieren.“ „Und ſchön und häßlich,“ unterbrach hier Meluſine, (froh, überhaupt unterbrechen zu können,) „war auch die große Frage, die wir, als wir Sie begrüßen durften, eben unter Diskuſſion ſtellten. Herr von Stechlin ſollte beichten über die Schönheit der Engländerinnen. Und nun frag' ich Sie, Herr Profeſſor, finden auch Sie ſie ſo ſchön, wie einem hierlandes immer verſichert wird?“ „Ich ſpreche nicht gern über Engländerinnen,“ fuhr Cujacius fort. „Etwas von Idioſynkraſie beherrſcht mich da. Dieſe Töchter Albions, ſie ſingen ſo viel und muſizieren ſo viel und malen ſo viel. Und haben eigentlich kein Talent.“ „Vielleicht. Aber davon dürfen Sie jetzt nicht ſprechen. Bloß das eine: ſchön oder nicht ſchön?“ „Schön? Nun denn ‚nein‘. Alles wirkt wie tot. Und was wie tot wirkt, wenn es nicht der Tod ſelbſt iſt, iſt nicht ſchön. Im übrigen, ich ſehe, daß ich nur noch zehn Minuten habe. Wie gerne wär' ich an einer Stelle geblieben, wo man ſo vielem Verſtändnis und Entgegen¬ kommen begegnet. Herr von Stechlin, ich erlaube mir,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/321>, abgerufen am 24.11.2024.