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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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treiben, damit kommt man am weitesten. Was wir da
jetzt hier erleben, das ist auch solch Haberfeldtreiben, ein
Stück Fehme."

"Nur keine heilige."

"Nein," sagte die Baronin, "keine heilige. Die Fehme
war aber auch nicht immer heilig. Habe mir da neulich
erst den Götz wieder angesehn, bloß wegen dieser Scene. Die
Poppe beiläufig vorzüglich. Und der schwarze Mann von
der Fehme soll im Urtext noch viel schlimmer gewesen
sein, so daß man es (Goethe war damals noch sehr jung)
eigentlich kaum lesen kann. Ich würde mir's aber doch
getrauen. Und nun wend' ich mich an unsre Herren, die
dies difficile Kampffeld, ich weiß nicht ritterlicher- oder
unritterlicherweise, mir ganz allein überlassen haben. Dr.
Wrschowitz, wie denken Sie darüber?"

"Ich denke darüber ganz wie gnädige Frau. Was
wir da lesen wie Runenschrift ... nein, nicht wie
Runenschrift ... (Wrschowitz unterbrach sich hier mißmutig
über sein eignes Hineingeraten in's Skandinavische) -- was
wir da lesen in Briefen vom Hofe, das ist Krittikk. Und
weil es Krittikk ist, ist es gutt. Mag es auch sein Mi߬
brauch von Krittikk. Alles hat Mißbrauch. Gerechtigkeit
hat Mißbrauch, Kirche hat Mißbrauch, Krittikk hat Mi߬
brauch. Aber trotzdem. Auf die Fehme kommt es an,
und das große Messer muß wieder stecken im Baum."

"Brrr," sagte Czako, was ihm einen ernsten Augen¬
aufschlag von Wrschowitz eintrug. --

Als man sich nach einer halben Stunde von Tisch
erhoben hatte, wechselte man den Raum und begab sich
in das Damenzimmer zurück, weil der alte Graf etwas
Musik hören und sich von Armgards Fortschritten über¬
zeugen wollte. "Dr. Wrschowitz hat vielleicht die Güte,
dich zu begleiten."

So folgte denn ein Quatremains und als man da¬
mit aufhörte, nahm der alte Barby Veranlassung, seiner

treiben, damit kommt man am weiteſten. Was wir da
jetzt hier erleben, das iſt auch ſolch Haberfeldtreiben, ein
Stück Fehme.“

„Nur keine heilige.“

„Nein,“ ſagte die Baronin, „keine heilige. Die Fehme
war aber auch nicht immer heilig. Habe mir da neulich
erſt den Götz wieder angeſehn, bloß wegen dieſer Scene. Die
Poppe beiläufig vorzüglich. Und der ſchwarze Mann von
der Fehme ſoll im Urtext noch viel ſchlimmer geweſen
ſein, ſo daß man es (Goethe war damals noch ſehr jung)
eigentlich kaum leſen kann. Ich würde mir's aber doch
getrauen. Und nun wend' ich mich an unſre Herren, die
dies difficile Kampffeld, ich weiß nicht ritterlicher- oder
unritterlicherweiſe, mir ganz allein überlaſſen haben. Dr.
Wrſchowitz, wie denken Sie darüber?“

„Ich denke darüber ganz wie gnädige Frau. Was
wir da leſen wie Runenſchrift ... nein, nicht wie
Runenſchrift ... (Wrſchowitz unterbrach ſich hier mißmutig
über ſein eignes Hineingeraten in's Skandinaviſche) — was
wir da leſen in Briefen vom Hofe, das iſt Krittikk. Und
weil es Krittikk iſt, iſt es gutt. Mag es auch ſein Mi߬
brauch von Krittikk. Alles hat Mißbrauch. Gerechtigkeit
hat Mißbrauch, Kirche hat Mißbrauch, Krittikk hat Mi߬
brauch. Aber trotzdem. Auf die Fehme kommt es an,
und das große Meſſer muß wieder ſtecken im Baum.“

„Brrr,“ ſagte Czako, was ihm einen ernſten Augen¬
aufſchlag von Wrſchowitz eintrug. —

Als man ſich nach einer halben Stunde von Tiſch
erhoben hatte, wechſelte man den Raum und begab ſich
in das Damenzimmer zurück, weil der alte Graf etwas
Muſik hören und ſich von Armgards Fortſchritten über¬
zeugen wollte. „Dr. Wrſchowitz hat vielleicht die Güte,
dich zu begleiten.“

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mit aufhörte, nahm der alte Barby Veranlaſſung, ſeiner

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[301/0308] treiben, damit kommt man am weiteſten. Was wir da jetzt hier erleben, das iſt auch ſolch Haberfeldtreiben, ein Stück Fehme.“ „Nur keine heilige.“ „Nein,“ ſagte die Baronin, „keine heilige. Die Fehme war aber auch nicht immer heilig. Habe mir da neulich erſt den Götz wieder angeſehn, bloß wegen dieſer Scene. Die Poppe beiläufig vorzüglich. Und der ſchwarze Mann von der Fehme ſoll im Urtext noch viel ſchlimmer geweſen ſein, ſo daß man es (Goethe war damals noch ſehr jung) eigentlich kaum leſen kann. Ich würde mir's aber doch getrauen. Und nun wend' ich mich an unſre Herren, die dies difficile Kampffeld, ich weiß nicht ritterlicher- oder unritterlicherweiſe, mir ganz allein überlaſſen haben. Dr. Wrſchowitz, wie denken Sie darüber?“ „Ich denke darüber ganz wie gnädige Frau. Was wir da leſen wie Runenſchrift ... nein, nicht wie Runenſchrift ... (Wrſchowitz unterbrach ſich hier mißmutig über ſein eignes Hineingeraten in's Skandinaviſche) — was wir da leſen in Briefen vom Hofe, das iſt Krittikk. Und weil es Krittikk iſt, iſt es gutt. Mag es auch ſein Mi߬ brauch von Krittikk. Alles hat Mißbrauch. Gerechtigkeit hat Mißbrauch, Kirche hat Mißbrauch, Krittikk hat Mi߬ brauch. Aber trotzdem. Auf die Fehme kommt es an, und das große Meſſer muß wieder ſtecken im Baum.“ „Brrr,“ ſagte Czako, was ihm einen ernſten Augen¬ aufſchlag von Wrſchowitz eintrug. — Als man ſich nach einer halben Stunde von Tiſch erhoben hatte, wechſelte man den Raum und begab ſich in das Damenzimmer zurück, weil der alte Graf etwas Muſik hören und ſich von Armgards Fortſchritten über¬ zeugen wollte. „Dr. Wrſchowitz hat vielleicht die Güte, dich zu begleiten.“ So folgte denn ein Quatremains und als man da¬ mit aufhörte, nahm der alte Barby Veranlaſſung, ſeiner

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/308>, abgerufen am 20.05.2024.