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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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urteil ausspreche. Denn ich bin alles, nur kein Rätsel.
Aber am Ende, man ist, wie man ist, und so muß ich
dies Manko zu verwinden suchen .... Es heißt immer
,üble Nachrede, drin man sich mehr oder weniger mit
Vorliebe gefalle, sei was Sündhaftes', Aber was heißt hier
,üble Nachrede'? Vielleicht ist das, was uns so bruch¬
stückweise zu Gehör kommt, nur ein schwaches Echo vom
Eigentlichen, und bedeutet eher ein zu wenig als ein zu
viel. Im übrigen, wie's damit auch sei, mein Sinn ist nun
mal auf das Sensationelle gerichtet. Unser Leben verläuft,
offen gestanden, etwas durchschnittsmäßig, also langweilig,
und weil dem so ist, setz' ich getrost hinzu: ,Gott sei Dank,
daß es Skandale giebt'. Freilich für Armgard ist so was
nicht gesagt. Die darf es nicht hören."

"Sie hört es aber doch," lachte die Comtesse, "und
denkt dabei: was es doch für sonderbare Neigungen und
Glücke giebt. Ich habe für dergleichen gar kein Organ.
Unsre teure Baronin findet unser Leben langweilig und
solche Chronik interessant. Ich, umgekehrt, finde solche
Chronik langweilig und unser alltägliches Leben inter¬
essant. Wenn ich den Rudolf unsers Portier Hartwig
unten mit seinem Hoop und seinen dünnen langen Berliner
Beinen über die Straße laufen sehe, so find' ich das
interessanter als diese sogenannte Pikanterie."

Melusine stand auf und gab Armgard einen Kuß.
"Du bist doch deiner Schwester Schwester, oder mein Er¬
ziehungsprodukt, und zum erstenmal in meinem Leben
muß ich meine teure Baronin ganz im Stiche lassen. Es
ist nichts mit diesem Klatsch; es kommt nichts dabei
heraus."

"Ach, liebe Melusine, das ist durchaus nicht richtig.
Es kommt umgekehrt sehr viel dabei heraus. Ihr Barbys
seid alle so schrecklich diskret und ideal, aber ich für mein
Teil ich bin anders und nehme die Welt, wie sie ist; ein
Bier und ein Schnaderhüpfl und mal ein Haberfeld¬

urteil ausſpreche. Denn ich bin alles, nur kein Rätſel.
Aber am Ende, man iſt, wie man iſt, und ſo muß ich
dies Manko zu verwinden ſuchen .... Es heißt immer
‚üble Nachrede, drin man ſich mehr oder weniger mit
Vorliebe gefalle, ſei was Sündhaftes‘, Aber was heißt hier
‚üble Nachrede‘? Vielleicht iſt das, was uns ſo bruch¬
ſtückweiſe zu Gehör kommt, nur ein ſchwaches Echo vom
Eigentlichen, und bedeutet eher ein zu wenig als ein zu
viel. Im übrigen, wie's damit auch ſei, mein Sinn iſt nun
mal auf das Senſationelle gerichtet. Unſer Leben verläuft,
offen geſtanden, etwas durchſchnittsmäßig, alſo langweilig,
und weil dem ſo iſt, ſetz' ich getroſt hinzu: ‚Gott ſei Dank,
daß es Skandale giebt‘. Freilich für Armgard iſt ſo was
nicht geſagt. Die darf es nicht hören.“

„Sie hört es aber doch,“ lachte die Comteſſe, „und
denkt dabei: was es doch für ſonderbare Neigungen und
Glücke giebt. Ich habe für dergleichen gar kein Organ.
Unſre teure Baronin findet unſer Leben langweilig und
ſolche Chronik intereſſant. Ich, umgekehrt, finde ſolche
Chronik langweilig und unſer alltägliches Leben inter¬
eſſant. Wenn ich den Rudolf unſers Portier Hartwig
unten mit ſeinem Hoop und ſeinen dünnen langen Berliner
Beinen über die Straße laufen ſehe, ſo find' ich das
intereſſanter als dieſe ſogenannte Pikanterie.“

Meluſine ſtand auf und gab Armgard einen Kuß.
„Du biſt doch deiner Schweſter Schweſter, oder mein Er¬
ziehungsprodukt, und zum erſtenmal in meinem Leben
muß ich meine teure Baronin ganz im Stiche laſſen. Es
iſt nichts mit dieſem Klatſch; es kommt nichts dabei
heraus.“

„Ach, liebe Meluſine, das iſt durchaus nicht richtig.
Es kommt umgekehrt ſehr viel dabei heraus. Ihr Barbys
ſeid alle ſo ſchrecklich diskret und ideal, aber ich für mein
Teil ich bin anders und nehme die Welt, wie ſie iſt; ein
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[300/0307] urteil ausſpreche. Denn ich bin alles, nur kein Rätſel. Aber am Ende, man iſt, wie man iſt, und ſo muß ich dies Manko zu verwinden ſuchen .... Es heißt immer ‚üble Nachrede, drin man ſich mehr oder weniger mit Vorliebe gefalle, ſei was Sündhaftes‘, Aber was heißt hier ‚üble Nachrede‘? Vielleicht iſt das, was uns ſo bruch¬ ſtückweiſe zu Gehör kommt, nur ein ſchwaches Echo vom Eigentlichen, und bedeutet eher ein zu wenig als ein zu viel. Im übrigen, wie's damit auch ſei, mein Sinn iſt nun mal auf das Senſationelle gerichtet. Unſer Leben verläuft, offen geſtanden, etwas durchſchnittsmäßig, alſo langweilig, und weil dem ſo iſt, ſetz' ich getroſt hinzu: ‚Gott ſei Dank, daß es Skandale giebt‘. Freilich für Armgard iſt ſo was nicht geſagt. Die darf es nicht hören.“ „Sie hört es aber doch,“ lachte die Comteſſe, „und denkt dabei: was es doch für ſonderbare Neigungen und Glücke giebt. Ich habe für dergleichen gar kein Organ. Unſre teure Baronin findet unſer Leben langweilig und ſolche Chronik intereſſant. Ich, umgekehrt, finde ſolche Chronik langweilig und unſer alltägliches Leben inter¬ eſſant. Wenn ich den Rudolf unſers Portier Hartwig unten mit ſeinem Hoop und ſeinen dünnen langen Berliner Beinen über die Straße laufen ſehe, ſo find' ich das intereſſanter als dieſe ſogenannte Pikanterie.“ Meluſine ſtand auf und gab Armgard einen Kuß. „Du biſt doch deiner Schweſter Schweſter, oder mein Er¬ ziehungsprodukt, und zum erſtenmal in meinem Leben muß ich meine teure Baronin ganz im Stiche laſſen. Es iſt nichts mit dieſem Klatſch; es kommt nichts dabei heraus.“ „Ach, liebe Meluſine, das iſt durchaus nicht richtig. Es kommt umgekehrt ſehr viel dabei heraus. Ihr Barbys ſeid alle ſo ſchrecklich diskret und ideal, aber ich für mein Teil ich bin anders und nehme die Welt, wie ſie iſt; ein Bier und ein Schnaderhüpfl und mal ein Haberfeld¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/307>, abgerufen am 23.11.2024.