Vorliebe für solch vierhändiges Spiel Ausdruck zu geben, was Wrschowitz, dessen Künstlerüberheblichkeit keine Grenzen kannte, zu der ruhig lächelnden Gegenbemerkung veran¬ laßte, daß man dieser Auffassung bei Dilettanten sehr häufig begegne. Der alte Graf, wenig befriedigt von dieser "Krittikk", war doch andrerseits viel zu vertraut mit Künstlerallüren im allgemeinen und mit den Wrscho¬ witzschen im besonderen, um sich ernstlich über solche Worte zu verwundern. Er begnügte sich vielmehr mit einer ge¬ messenen Verbeugung gegen den Musikdoktor und zog, auf einer nebenstehenden Causeuse Platz nehmend, die gute Frau von Berchtesgaden ins Gespräch, von der er wußte, daß ihre Munterkeiten nie den Charakter "goldener Rück¬ sichtslosigkeiten" annahmen.
Wrschowitz seinerseits war an dem aufgeklappten Flügel stehen geblieben, ohne jede Spur von Verlegen¬ heit, so daß ein Sichkümmern um ihn eigentlich nicht nötig gewesen wäre. Trotzdem hielt es Czako für angezeigt, sich seiner anzunehmen und dabei die herkömmliche Frage zu thun "ob er, der Herr Dr. Wrschowitz, sich schon in Berlin eingelebt habe?"
"Hab' ich," sagte Wrschowitz kurz.
"Und beklagen es nicht, Ihr Zelt unter uns auf¬ geschlagen zu haben?"
"Au contraire. Berlin eine schöne Stadt, eine serr gutte Stadt. Eine serr gutte Stadt pour moi en parti¬ culier et pour les etrangers en general. Eine serr gutte Stadt, weil es hat Musikk und weil es hat Krittikk."
"Ich bin beglückt, Dr. Wrschowitz, speziell aus Ihrem Munde so viel Gutes über unsre Stadt zu hören. Im allgemeinen ist die slavische, besonders die tschechische Welt ..."
"O, die tschechische Welt. Vanitas vanitatum."
"Es ist sehr selten, in nationalen Fragen einem so freien Drüberstehn zu begegnen ... Aber wenn es Ihnen
Vorliebe für ſolch vierhändiges Spiel Ausdruck zu geben, was Wrſchowitz, deſſen Künſtlerüberheblichkeit keine Grenzen kannte, zu der ruhig lächelnden Gegenbemerkung veran¬ laßte, daß man dieſer Auffaſſung bei Dilettanten ſehr häufig begegne. Der alte Graf, wenig befriedigt von dieſer „Krittikk“, war doch andrerſeits viel zu vertraut mit Künſtlerallüren im allgemeinen und mit den Wrſcho¬ witzſchen im beſonderen, um ſich ernſtlich über ſolche Worte zu verwundern. Er begnügte ſich vielmehr mit einer ge¬ meſſenen Verbeugung gegen den Muſikdoktor und zog, auf einer nebenſtehenden Cauſeuſe Platz nehmend, die gute Frau von Berchtesgaden ins Geſpräch, von der er wußte, daß ihre Munterkeiten nie den Charakter „goldener Rück¬ ſichtsloſigkeiten“ annahmen.
Wrſchowitz ſeinerſeits war an dem aufgeklappten Flügel ſtehen geblieben, ohne jede Spur von Verlegen¬ heit, ſo daß ein Sichkümmern um ihn eigentlich nicht nötig geweſen wäre. Trotzdem hielt es Czako für angezeigt, ſich ſeiner anzunehmen und dabei die herkömmliche Frage zu thun „ob er, der Herr Dr. Wrſchowitz, ſich ſchon in Berlin eingelebt habe?“
„Hab' ich,“ ſagte Wrſchowitz kurz.
„Und beklagen es nicht, Ihr Zelt unter uns auf¬ geſchlagen zu haben?“
„Au contraire. Berlin eine ſchöne Stadt, eine ſerr gutte Stadt. Eine ſerr gutte Stadt pour moi en parti¬ culier et pour les étrangers en général. Eine ſerr gutte Stadt, weil es hat Muſikk und weil es hat Krittikk.“
„Ich bin beglückt, Dr. Wrſchowitz, ſpeziell aus Ihrem Munde ſo viel Gutes über unſre Stadt zu hören. Im allgemeinen iſt die ſlaviſche, beſonders die tſchechiſche Welt ...“
„O, die tſchechiſche Welt. Vanitas vanitatum.“
„Es iſt ſehr ſelten, in nationalen Fragen einem ſo freien Drüberſtehn zu begegnen ... Aber wenn es Ihnen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0309"n="302"/>
Vorliebe für ſolch vierhändiges Spiel Ausdruck zu geben,<lb/>
was Wrſchowitz, deſſen Künſtlerüberheblichkeit keine Grenzen<lb/>
kannte, zu der ruhig lächelnden Gegenbemerkung veran¬<lb/>
laßte, daß man dieſer Auffaſſung bei Dilettanten ſehr<lb/>
häufig begegne. Der alte Graf, wenig befriedigt von<lb/>
dieſer „Krittikk“, war doch andrerſeits viel zu vertraut<lb/>
mit Künſtlerallüren im allgemeinen und mit den Wrſcho¬<lb/>
witzſchen im beſonderen, um ſich ernſtlich über ſolche Worte<lb/>
zu verwundern. Er begnügte ſich vielmehr mit einer ge¬<lb/>
meſſenen Verbeugung gegen den Muſikdoktor und zog, auf<lb/>
einer nebenſtehenden Cauſeuſe Platz nehmend, die gute<lb/>
Frau von Berchtesgaden ins Geſpräch, von der er wußte,<lb/>
daß ihre Munterkeiten nie den Charakter „goldener Rück¬<lb/>ſichtsloſigkeiten“ annahmen.</p><lb/><p>Wrſchowitz ſeinerſeits war an dem aufgeklappten<lb/>
Flügel ſtehen geblieben, ohne jede Spur von Verlegen¬<lb/>
heit, ſo daß ein Sichkümmern um ihn eigentlich nicht nötig<lb/>
geweſen wäre. Trotzdem hielt es Czako für angezeigt, ſich<lb/>ſeiner anzunehmen und dabei die herkömmliche Frage zu<lb/>
thun „ob er, der Herr <hirendition="#aq">Dr.</hi> Wrſchowitz, ſich ſchon in Berlin<lb/>
eingelebt habe?“</p><lb/><p>„Hab' ich,“ſagte Wrſchowitz kurz.</p><lb/><p>„Und beklagen es nicht, Ihr Zelt unter uns auf¬<lb/>
geſchlagen zu haben?“</p><lb/><p>„<hirendition="#aq">Au contraire</hi>. Berlin eine ſchöne Stadt, eine ſerr<lb/>
gutte Stadt. Eine ſerr gutte Stadt <hirendition="#aq">pour moi en parti¬<lb/>
culier et pour les étrangers en général</hi>. Eine ſerr<lb/>
gutte Stadt, weil es hat Muſikk und weil es hat Krittikk.“</p><lb/><p>„Ich bin beglückt, <hirendition="#aq">Dr.</hi> Wrſchowitz, ſpeziell aus Ihrem<lb/>
Munde ſo viel Gutes über unſre Stadt zu hören. Im<lb/>
allgemeinen iſt die ſlaviſche, beſonders die tſchechiſche<lb/>
Welt ...“</p><lb/><p>„O, die tſchechiſche Welt. <hirendition="#aq">Vanitas vanitatum</hi>.“</p><lb/><p>„Es iſt ſehr ſelten, in nationalen Fragen einem ſo<lb/>
freien Drüberſtehn zu begegnen ... Aber wenn es Ihnen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[302/0309]
Vorliebe für ſolch vierhändiges Spiel Ausdruck zu geben,
was Wrſchowitz, deſſen Künſtlerüberheblichkeit keine Grenzen
kannte, zu der ruhig lächelnden Gegenbemerkung veran¬
laßte, daß man dieſer Auffaſſung bei Dilettanten ſehr
häufig begegne. Der alte Graf, wenig befriedigt von
dieſer „Krittikk“, war doch andrerſeits viel zu vertraut
mit Künſtlerallüren im allgemeinen und mit den Wrſcho¬
witzſchen im beſonderen, um ſich ernſtlich über ſolche Worte
zu verwundern. Er begnügte ſich vielmehr mit einer ge¬
meſſenen Verbeugung gegen den Muſikdoktor und zog, auf
einer nebenſtehenden Cauſeuſe Platz nehmend, die gute
Frau von Berchtesgaden ins Geſpräch, von der er wußte,
daß ihre Munterkeiten nie den Charakter „goldener Rück¬
ſichtsloſigkeiten“ annahmen.
Wrſchowitz ſeinerſeits war an dem aufgeklappten
Flügel ſtehen geblieben, ohne jede Spur von Verlegen¬
heit, ſo daß ein Sichkümmern um ihn eigentlich nicht nötig
geweſen wäre. Trotzdem hielt es Czako für angezeigt, ſich
ſeiner anzunehmen und dabei die herkömmliche Frage zu
thun „ob er, der Herr Dr. Wrſchowitz, ſich ſchon in Berlin
eingelebt habe?“
„Hab' ich,“ ſagte Wrſchowitz kurz.
„Und beklagen es nicht, Ihr Zelt unter uns auf¬
geſchlagen zu haben?“
„Au contraire. Berlin eine ſchöne Stadt, eine ſerr
gutte Stadt. Eine ſerr gutte Stadt pour moi en parti¬
culier et pour les étrangers en général. Eine ſerr
gutte Stadt, weil es hat Muſikk und weil es hat Krittikk.“
„Ich bin beglückt, Dr. Wrſchowitz, ſpeziell aus Ihrem
Munde ſo viel Gutes über unſre Stadt zu hören. Im
allgemeinen iſt die ſlaviſche, beſonders die tſchechiſche
Welt ...“
„O, die tſchechiſche Welt. Vanitas vanitatum.“
„Es iſt ſehr ſelten, in nationalen Fragen einem ſo
freien Drüberſtehn zu begegnen ... Aber wenn es Ihnen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/309>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.