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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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über die zwar immer nur kurze Worte fielen, aber doch
so, daß sie, weil spöttisch, die gute Laune des Alten
wesentlich steigerten.

Und in dieser guten Laune war er auch noch, als
er, um die fünfte Stunde seinen Eichenstock und seinen
eingeknautschten Filzhut vom Riegel nahm, um am See
hin, in der Richtung auf Globsow zu, seinen gewöhn¬
lichen Spaziergang zu machen. Unmittelbar am Süd¬
ufer, da wo die Wand steil abfiel, befand sich eine von
Buchenzweigen überdachte Steinbank. Das war sein
Lieblingsplatz. Die Sonne stand schon unterm Horizont,
und nur das Abendrot glühte noch durch die Bäume.
Da saß er nun und überdachte sein Leben, Altes und
Neues, seine Kindheits- und seine Leutnantstage, die
Tage kurz vor seiner Verheiratung, wo das junge blasse
Fräulein, das seine Frau werden sollte, noch Lieblings¬
hofdame bei der alten Prinzeß Karl war. All das zog
jetzt wieder an ihm vorüber, und dazwischen seine
Schwester Adelheid, in jenen Tagen noch leidlich gut bei
Weg, aber auch schon hart und herbe wie heute, so daß
sie den reizenden Kerl, den Baron Krech, bloß weil er
über ein schon halbabgestorbenes ,Verhältnis' und eine
freilich noch fortlebende Spielschuld verfügte, durch
ihre Tugend weggegrault hatte. Das waren die alten
Geschichten. Und dann wurde Woldemar geboren, und
die junge Frau starb, und der Junge wuchs heran und
lernte bei Lorenzen all das dumme Zeug, das Neue
(dran vielleicht doch was war), und nun fuhr er nach
England 'rüber und war vielleicht schon in Köln und
in ein paar Stunden in Ostende.

Dabei sah er vor sich hin und malte mit seinem
Stock Figuren in den Sand. Der Wald war ganz still;
auf dem See schwanden die letzten roten Lichter, und
aus einiger Entfernung klangen Schläge herüber, wie
wenn Leute Holz fällen. Er hörte mit halbem Ohr

über die zwar immer nur kurze Worte fielen, aber doch
ſo, daß ſie, weil ſpöttiſch, die gute Laune des Alten
weſentlich ſteigerten.

Und in dieſer guten Laune war er auch noch, als
er, um die fünfte Stunde ſeinen Eichenſtock und ſeinen
eingeknautſchten Filzhut vom Riegel nahm, um am See
hin, in der Richtung auf Globſow zu, ſeinen gewöhn¬
lichen Spaziergang zu machen. Unmittelbar am Süd¬
ufer, da wo die Wand ſteil abfiel, befand ſich eine von
Buchenzweigen überdachte Steinbank. Das war ſein
Lieblingsplatz. Die Sonne ſtand ſchon unterm Horizont,
und nur das Abendrot glühte noch durch die Bäume.
Da ſaß er nun und überdachte ſein Leben, Altes und
Neues, ſeine Kindheits- und ſeine Leutnantſtage, die
Tage kurz vor ſeiner Verheiratung, wo das junge blaſſe
Fräulein, das ſeine Frau werden ſollte, noch Lieblings¬
hofdame bei der alten Prinzeß Karl war. All das zog
jetzt wieder an ihm vorüber, und dazwiſchen ſeine
Schweſter Adelheid, in jenen Tagen noch leidlich gut bei
Weg, aber auch ſchon hart und herbe wie heute, ſo daß
ſie den reizenden Kerl, den Baron Krech, bloß weil er
über ein ſchon halbabgeſtorbenes ‚Verhältnis‘ und eine
freilich noch fortlebende Spielſchuld verfügte, durch
ihre Tugend weggegrault hatte. Das waren die alten
Geſchichten. Und dann wurde Woldemar geboren, und
die junge Frau ſtarb, und der Junge wuchs heran und
lernte bei Lorenzen all das dumme Zeug, das Neue
(dran vielleicht doch was war), und nun fuhr er nach
England 'rüber und war vielleicht ſchon in Köln und
in ein paar Stunden in Oſtende.

Dabei ſah er vor ſich hin und malte mit ſeinem
Stock Figuren in den Sand. Der Wald war ganz ſtill;
auf dem See ſchwanden die letzten roten Lichter, und
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wenn Leute Holz fällen. Er hörte mit halbem Ohr

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[294/0301] über die zwar immer nur kurze Worte fielen, aber doch ſo, daß ſie, weil ſpöttiſch, die gute Laune des Alten weſentlich ſteigerten. Und in dieſer guten Laune war er auch noch, als er, um die fünfte Stunde ſeinen Eichenſtock und ſeinen eingeknautſchten Filzhut vom Riegel nahm, um am See hin, in der Richtung auf Globſow zu, ſeinen gewöhn¬ lichen Spaziergang zu machen. Unmittelbar am Süd¬ ufer, da wo die Wand ſteil abfiel, befand ſich eine von Buchenzweigen überdachte Steinbank. Das war ſein Lieblingsplatz. Die Sonne ſtand ſchon unterm Horizont, und nur das Abendrot glühte noch durch die Bäume. Da ſaß er nun und überdachte ſein Leben, Altes und Neues, ſeine Kindheits- und ſeine Leutnantſtage, die Tage kurz vor ſeiner Verheiratung, wo das junge blaſſe Fräulein, das ſeine Frau werden ſollte, noch Lieblings¬ hofdame bei der alten Prinzeß Karl war. All das zog jetzt wieder an ihm vorüber, und dazwiſchen ſeine Schweſter Adelheid, in jenen Tagen noch leidlich gut bei Weg, aber auch ſchon hart und herbe wie heute, ſo daß ſie den reizenden Kerl, den Baron Krech, bloß weil er über ein ſchon halbabgeſtorbenes ‚Verhältnis‘ und eine freilich noch fortlebende Spielſchuld verfügte, durch ihre Tugend weggegrault hatte. Das waren die alten Geſchichten. Und dann wurde Woldemar geboren, und die junge Frau ſtarb, und der Junge wuchs heran und lernte bei Lorenzen all das dumme Zeug, das Neue (dran vielleicht doch was war), und nun fuhr er nach England 'rüber und war vielleicht ſchon in Köln und in ein paar Stunden in Oſtende. Dabei ſah er vor ſich hin und malte mit ſeinem Stock Figuren in den Sand. Der Wald war ganz ſtill; auf dem See ſchwanden die letzten roten Lichter, und aus einiger Entfernung klangen Schläge herüber, wie wenn Leute Holz fällen. Er hörte mit halbem Ohr

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/301>, abgerufen am 22.11.2024.