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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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abfiel, lagen mit Sand beladene Kähne, große Zillen,
aus deren Innerem eine baggerartige Vorrichtung die
Kies- und Sandmassen in die dicht am Ufer hin etablierten
Kalkgruben schüttete. Es waren dies die Berliner Mörtel¬
werke, die hier die Herrschaft behaupteten und das Ufer¬
bild bestimmten.

Unsre Reisenden sprachen wenig, weil unter dem
raschen Wechsel der Bilder eine Frage die andre zurück¬
drängte. Nur als der Dampfer an Treptow vorüber
zwischen den kleinen Inseln hinfuhr, die hier mannigfach
aus dem Fluß aufwachsen, wandte sich Melusine an
Woldemar und sagte: "Lizzi hat mir erzählt, hier zwischen
Treptow und Stralau sei auch die ,Liebesinsel'; da stürben
immer die Liebespaare, meist mit einem Zettel in der
Hand, drauf alles stünde. Trifft das zu?"

"Ja, Gräfin, soviel ich weiß, trifft es zu. Solche
Liebesinseln giebt es übrigens vielfach in unsrer Gegend
und kann als Beweis gelten, wie weitverbreitet der Zu¬
stand ist, dem abgeholfen werden soll, und wenn's auch
durch Sterben wäre."

"Das nehm' ich Ihnen übel, daß Sie darüber spotten.
Und Armgard wird es noch mehr thun, weil sie gefühl¬
voller ist als ich. Zudem sollten sie wissen, daß sich so
was rächt."

"Ich weiß es. Aber Sie lesen auch durchaus falsch
in meiner Seele. Sicher haben Sie mal gehört, daß der,
der Furcht hat, zu singen anfängt, und wer nicht singen
kann, nun, der witzelt eben. Übrigens, so schön ,Liebes¬
insel' klingt, der Zauber davon geht wieder verloren,
wenn Sie sich den Namen des Ganzen vergegenwärtigen.
Die sich so mächtig hier verbreiternde Spreefläche heißt
nämlich der ,Rummelsburger' See."

"Freilich nicht hübsch; das kann ich zugeben. Aber
die Stelle selbst ist schön, und Namen bedeuten nichts."

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abfiel, lagen mit Sand beladene Kähne, große Zillen,
aus deren Innerem eine baggerartige Vorrichtung die
Kies- und Sandmaſſen in die dicht am Ufer hin etablierten
Kalkgruben ſchüttete. Es waren dies die Berliner Mörtel¬
werke, die hier die Herrſchaft behaupteten und das Ufer¬
bild beſtimmten.

Unſre Reiſenden ſprachen wenig, weil unter dem
raſchen Wechſel der Bilder eine Frage die andre zurück¬
drängte. Nur als der Dampfer an Treptow vorüber
zwiſchen den kleinen Inſeln hinfuhr, die hier mannigfach
aus dem Fluß aufwachſen, wandte ſich Meluſine an
Woldemar und ſagte: „Lizzi hat mir erzählt, hier zwiſchen
Treptow und Stralau ſei auch die ‚Liebesinſel‘; da ſtürben
immer die Liebespaare, meiſt mit einem Zettel in der
Hand, drauf alles ſtünde. Trifft das zu?“

„Ja, Gräfin, ſoviel ich weiß, trifft es zu. Solche
Liebesinſeln giebt es übrigens vielfach in unſrer Gegend
und kann als Beweis gelten, wie weitverbreitet der Zu¬
ſtand iſt, dem abgeholfen werden ſoll, und wenn's auch
durch Sterben wäre.“

„Das nehm' ich Ihnen übel, daß Sie darüber ſpotten.
Und Armgard wird es noch mehr thun, weil ſie gefühl¬
voller iſt als ich. Zudem ſollten ſie wiſſen, daß ſich ſo
was rächt.“

„Ich weiß es. Aber Sie leſen auch durchaus falſch
in meiner Seele. Sicher haben Sie mal gehört, daß der,
der Furcht hat, zu ſingen anfängt, und wer nicht ſingen
kann, nun, der witzelt eben. Übrigens, ſo ſchön ‚Liebes¬
inſel‘ klingt, der Zauber davon geht wieder verloren,
wenn Sie ſich den Namen des Ganzen vergegenwärtigen.
Die ſich ſo mächtig hier verbreiternde Spreefläche heißt
nämlich der ‚Rummelsburger‘ See.“

„Freilich nicht hübſch; das kann ich zugeben. Aber
die Stelle ſelbſt iſt ſchön, und Namen bedeuten nichts.“

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[179/0186] abfiel, lagen mit Sand beladene Kähne, große Zillen, aus deren Innerem eine baggerartige Vorrichtung die Kies- und Sandmaſſen in die dicht am Ufer hin etablierten Kalkgruben ſchüttete. Es waren dies die Berliner Mörtel¬ werke, die hier die Herrſchaft behaupteten und das Ufer¬ bild beſtimmten. Unſre Reiſenden ſprachen wenig, weil unter dem raſchen Wechſel der Bilder eine Frage die andre zurück¬ drängte. Nur als der Dampfer an Treptow vorüber zwiſchen den kleinen Inſeln hinfuhr, die hier mannigfach aus dem Fluß aufwachſen, wandte ſich Meluſine an Woldemar und ſagte: „Lizzi hat mir erzählt, hier zwiſchen Treptow und Stralau ſei auch die ‚Liebesinſel‘; da ſtürben immer die Liebespaare, meiſt mit einem Zettel in der Hand, drauf alles ſtünde. Trifft das zu?“ „Ja, Gräfin, ſoviel ich weiß, trifft es zu. Solche Liebesinſeln giebt es übrigens vielfach in unſrer Gegend und kann als Beweis gelten, wie weitverbreitet der Zu¬ ſtand iſt, dem abgeholfen werden ſoll, und wenn's auch durch Sterben wäre.“ „Das nehm' ich Ihnen übel, daß Sie darüber ſpotten. Und Armgard wird es noch mehr thun, weil ſie gefühl¬ voller iſt als ich. Zudem ſollten ſie wiſſen, daß ſich ſo was rächt.“ „Ich weiß es. Aber Sie leſen auch durchaus falſch in meiner Seele. Sicher haben Sie mal gehört, daß der, der Furcht hat, zu ſingen anfängt, und wer nicht ſingen kann, nun, der witzelt eben. Übrigens, ſo ſchön ‚Liebes¬ inſel‘ klingt, der Zauber davon geht wieder verloren, wenn Sie ſich den Namen des Ganzen vergegenwärtigen. Die ſich ſo mächtig hier verbreiternde Spreefläche heißt nämlich der ‚Rummelsburger‘ See.“ „Freilich nicht hübſch; das kann ich zugeben. Aber die Stelle ſelbſt iſt ſchön, und Namen bedeuten nichts.“ 12*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/186>, abgerufen am 06.05.2024.