Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

"Wer Melusine heißt, sollte wissen, was Namen be¬
deuten."

"Ich weiß es leider. Denn es giebt Leute, die sich
vor ,Melusine' fürchten."

"Was immer eine Dummheit, aber doch viel mehr
noch eine Huldigung ist."

Unter diesem Gespräche waren sie bis über die
Breitung der Spree hinaus gekommen und fuhren wieder
in das schmaler werdende Flußbett ein. An beiden Ufern
hörten die Häuserreihen auf, sich in dünnen Zeilen hin¬
zuziehen, Baumgruppen traten in nächster Nähe dafür
ein, und weiter landeinwärts wurden aufgeschüttete Bahn¬
dämme sichtbar, über die hinweg die Telegraphenstangen
ragten und ihre Drähte von Pfahl zu Pfahl spannten.
Hie und da, bis ziemlich weit in den Fluß hinein, stand
ein Schilfgürtel, aus dessen Dickicht vereinzelte Krickenten
aufflogen.

"Es ist doch weiter, als ich dachte," sagte Melusine.
"Wir sind ja schon wie in halber Einsamkeit. Und da¬
bei wird es frisch. Ein Glück, daß wir Decken mitge¬
nommen. Denn wir bleiben doch wohl im Freien? Oder
giebt es auch Zimmer da? Freilich kann ich mir kaum
denken, daß wir zu sechs in einem Eierhäuschen Platz
haben."

"Ach, Frau Gräfin, ich sehe, Sie rechnen auf etwas extrem
Idyllisches und erwarten, wenn wir angelangt sein werden,
einen Mischling von Kiosk und Hütte. Da harrt Ihrer
aber eine grausame Enttäuschung. Das Eierhäuschen ist
ein sogenanntes ,Lokal', und wenn uns die Lust anwandelt,
so können wir da tanzen oder eine Volksversammlung
abhalten. Raum genug ist da. Sehen Sie, das Schiff
wendet sich schon, und der rote Bau da, der zwischen
den Pappelweiden mit Turm und Erker sichtbar wird,
das ist das Eierhäuschen."

"O weh! Ein Palazzo," sagte die Baronin und war

„Wer Meluſine heißt, ſollte wiſſen, was Namen be¬
deuten.“

„Ich weiß es leider. Denn es giebt Leute, die ſich
vor ‚Meluſine‘ fürchten.“

„Was immer eine Dummheit, aber doch viel mehr
noch eine Huldigung iſt.“

Unter dieſem Geſpräche waren ſie bis über die
Breitung der Spree hinaus gekommen und fuhren wieder
in das ſchmaler werdende Flußbett ein. An beiden Ufern
hörten die Häuſerreihen auf, ſich in dünnen Zeilen hin¬
zuziehen, Baumgruppen traten in nächſter Nähe dafür
ein, und weiter landeinwärts wurden aufgeſchüttete Bahn¬
dämme ſichtbar, über die hinweg die Telegraphenſtangen
ragten und ihre Drähte von Pfahl zu Pfahl ſpannten.
Hie und da, bis ziemlich weit in den Fluß hinein, ſtand
ein Schilfgürtel, aus deſſen Dickicht vereinzelte Krickenten
aufflogen.

„Es iſt doch weiter, als ich dachte,“ ſagte Meluſine.
„Wir ſind ja ſchon wie in halber Einſamkeit. Und da¬
bei wird es friſch. Ein Glück, daß wir Decken mitge¬
nommen. Denn wir bleiben doch wohl im Freien? Oder
giebt es auch Zimmer da? Freilich kann ich mir kaum
denken, daß wir zu ſechs in einem Eierhäuschen Platz
haben.“

„Ach, Frau Gräfin, ich ſehe, Sie rechnen auf etwas extrem
Idylliſches und erwarten, wenn wir angelangt ſein werden,
einen Miſchling von Kioſk und Hütte. Da harrt Ihrer
aber eine grauſame Enttäuſchung. Das Eierhäuschen iſt
ein ſogenanntes ‚Lokal‘, und wenn uns die Luſt anwandelt,
ſo können wir da tanzen oder eine Volksverſammlung
abhalten. Raum genug iſt da. Sehen Sie, das Schiff
wendet ſich ſchon, und der rote Bau da, der zwiſchen
den Pappelweiden mit Turm und Erker ſichtbar wird,
das iſt das Eierhäuschen.“

„O weh! Ein Palazzo,“ ſagte die Baronin und war

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0187" n="180"/>
          <p>&#x201E;Wer Melu&#x017F;ine heißt, &#x017F;ollte wi&#x017F;&#x017F;en, was Namen be¬<lb/>
deuten.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich weiß es leider. Denn es giebt Leute, die &#x017F;ich<lb/>
vor &#x201A;Melu&#x017F;ine&#x2018; fürchten.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Was immer eine Dummheit, aber doch viel mehr<lb/>
noch eine Huldigung i&#x017F;t.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Unter die&#x017F;em Ge&#x017F;präche waren &#x017F;ie bis über die<lb/>
Breitung der Spree hinaus gekommen und fuhren wieder<lb/>
in das &#x017F;chmaler werdende Flußbett ein. An beiden Ufern<lb/>
hörten die Häu&#x017F;erreihen auf, &#x017F;ich in dünnen Zeilen hin¬<lb/>
zuziehen, Baumgruppen traten in näch&#x017F;ter Nähe dafür<lb/>
ein, und weiter landeinwärts wurden aufge&#x017F;chüttete Bahn¬<lb/>
dämme &#x017F;ichtbar, über die hinweg die Telegraphen&#x017F;tangen<lb/>
ragten und ihre Drähte von Pfahl zu Pfahl &#x017F;pannten.<lb/>
Hie und da, bis ziemlich weit in den Fluß hinein, &#x017F;tand<lb/>
ein Schilfgürtel, aus de&#x017F;&#x017F;en Dickicht vereinzelte Krickenten<lb/>
aufflogen.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Es i&#x017F;t doch weiter, als ich dachte,&#x201C; &#x017F;agte Melu&#x017F;ine.<lb/>
&#x201E;Wir &#x017F;ind ja &#x017F;chon wie in halber Ein&#x017F;amkeit. Und da¬<lb/>
bei wird es fri&#x017F;ch. Ein Glück, daß wir Decken mitge¬<lb/>
nommen. Denn wir bleiben doch wohl im Freien? Oder<lb/>
giebt es auch Zimmer da? Freilich kann ich mir kaum<lb/>
denken, daß wir zu &#x017F;echs in einem Eierhäuschen Platz<lb/>
haben.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ach, Frau Gräfin, ich &#x017F;ehe, Sie rechnen auf etwas extrem<lb/>
Idylli&#x017F;ches und erwarten, wenn wir angelangt &#x017F;ein werden,<lb/>
einen Mi&#x017F;chling von Kio&#x017F;k und Hütte. Da harrt Ihrer<lb/>
aber eine grau&#x017F;ame Enttäu&#x017F;chung. Das Eierhäuschen i&#x017F;t<lb/>
ein &#x017F;ogenanntes &#x201A;Lokal&#x2018;, und wenn uns die Lu&#x017F;t anwandelt,<lb/>
&#x017F;o können wir da tanzen oder eine Volksver&#x017F;ammlung<lb/>
abhalten. Raum genug i&#x017F;t da. Sehen Sie, das Schiff<lb/>
wendet &#x017F;ich &#x017F;chon, und der rote Bau da, der zwi&#x017F;chen<lb/>
den Pappelweiden mit Turm und Erker &#x017F;ichtbar wird,<lb/>
das i&#x017F;t das Eierhäuschen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;O weh! Ein Palazzo,&#x201C; &#x017F;agte die Baronin und war<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0187] „Wer Meluſine heißt, ſollte wiſſen, was Namen be¬ deuten.“ „Ich weiß es leider. Denn es giebt Leute, die ſich vor ‚Meluſine‘ fürchten.“ „Was immer eine Dummheit, aber doch viel mehr noch eine Huldigung iſt.“ Unter dieſem Geſpräche waren ſie bis über die Breitung der Spree hinaus gekommen und fuhren wieder in das ſchmaler werdende Flußbett ein. An beiden Ufern hörten die Häuſerreihen auf, ſich in dünnen Zeilen hin¬ zuziehen, Baumgruppen traten in nächſter Nähe dafür ein, und weiter landeinwärts wurden aufgeſchüttete Bahn¬ dämme ſichtbar, über die hinweg die Telegraphenſtangen ragten und ihre Drähte von Pfahl zu Pfahl ſpannten. Hie und da, bis ziemlich weit in den Fluß hinein, ſtand ein Schilfgürtel, aus deſſen Dickicht vereinzelte Krickenten aufflogen. „Es iſt doch weiter, als ich dachte,“ ſagte Meluſine. „Wir ſind ja ſchon wie in halber Einſamkeit. Und da¬ bei wird es friſch. Ein Glück, daß wir Decken mitge¬ nommen. Denn wir bleiben doch wohl im Freien? Oder giebt es auch Zimmer da? Freilich kann ich mir kaum denken, daß wir zu ſechs in einem Eierhäuschen Platz haben.“ „Ach, Frau Gräfin, ich ſehe, Sie rechnen auf etwas extrem Idylliſches und erwarten, wenn wir angelangt ſein werden, einen Miſchling von Kioſk und Hütte. Da harrt Ihrer aber eine grauſame Enttäuſchung. Das Eierhäuschen iſt ein ſogenanntes ‚Lokal‘, und wenn uns die Luſt anwandelt, ſo können wir da tanzen oder eine Volksverſammlung abhalten. Raum genug iſt da. Sehen Sie, das Schiff wendet ſich ſchon, und der rote Bau da, der zwiſchen den Pappelweiden mit Turm und Erker ſichtbar wird, das iſt das Eierhäuschen.“ „O weh! Ein Palazzo,“ ſagte die Baronin und war

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/187
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/187>, abgerufen am 06.05.2024.