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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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ja auch das Maß hat) dem Landvogt so mutig in den
Zügel fällt. Ganz so wirkt Comtesse Armgard! Ich
möchte beinah' sagen, es läßt sich an ihr wahrnehmen,
daß ihre Mutter eine richtige Schweizerin war. Und
dazu der alte Graf! Wie ein Zwillingsbruder von
Papa; derselbe Bismarckkopf, dasselbe humane Wesen,
dieselbe Freundlichkeit, dieselbe gute Laune. Papa ist
aber ausgiebiger und auch wohl origineller. Vielleicht
hat der verschiedene Lebensgang diese Verschiedenheiten
erst geschaffen. Papa sitzt nun seit richtigen dreißig
Jahren in seinem Ruppiner Winkel fest, der Graf war
ebensolange draußen! Ein Botschaftsrat ist eben was
andres als ein Ritterschaftsrat, und an der Themse
wächst man sich anders aus als am ,Stechlin' -- unsern
Stechlin dabei natürlich in Ehren. Trotzdem die Verwandt¬
schaft bleibt. Und der alte Diener, den sie Jeserich
nennen, der ist nun schon ganz und gar unser Engelke
vom Kopf bis zur Zeh'. Aber was am verwandtesten
ist, das ist doch die gesamte Hausatmosphäre, das Liberale.
Papa selbst würde zwar darüber lachen, -- er lacht über
nichts so sehr wie über Liberalismus -- und doch kenne
ich keinen Menschen, der innerlich so frei wäre, wie gerade
mein guter Alter. Zugeben wird er's freilich nie und
wird in dem Glauben sterben: ,Morgen tragen sie einen
echten alten Junker zu Grabe'. Das ist er auch, aber
doch auch wieder das volle Gegenteil davon. Er hat
keine Spur von Selbstsucht. Und diesen schönen Zug
(ach, so selten), den hat auch der alte Graf. Nebenher
freilich ist er Weltmann, und das giebt dann den Unter¬
schied und das Übergewicht. Er weiß -- was sie hier¬
zulande nicht wissen oder nicht wissen wollen -- daß
hinterm Berge auch noch Leute wohnen. Und mitunter
noch ganz andre."


ja auch das Maß hat) dem Landvogt ſo mutig in den
Zügel fällt. Ganz ſo wirkt Comteſſe Armgard! Ich
möchte beinah' ſagen, es läßt ſich an ihr wahrnehmen,
daß ihre Mutter eine richtige Schweizerin war. Und
dazu der alte Graf! Wie ein Zwillingsbruder von
Papa; derſelbe Bismarckkopf, dasſelbe humane Weſen,
dieſelbe Freundlichkeit, dieſelbe gute Laune. Papa iſt
aber ausgiebiger und auch wohl origineller. Vielleicht
hat der verſchiedene Lebensgang dieſe Verſchiedenheiten
erſt geſchaffen. Papa ſitzt nun ſeit richtigen dreißig
Jahren in ſeinem Ruppiner Winkel feſt, der Graf war
ebenſolange draußen! Ein Botſchaftsrat iſt eben was
andres als ein Ritterſchaftsrat, und an der Themſe
wächſt man ſich anders aus als am ‚Stechlin‘ — unſern
Stechlin dabei natürlich in Ehren. Trotzdem die Verwandt¬
ſchaft bleibt. Und der alte Diener, den ſie Jeſerich
nennen, der iſt nun ſchon ganz und gar unſer Engelke
vom Kopf bis zur Zeh'. Aber was am verwandteſten
iſt, das iſt doch die geſamte Hausatmoſphäre, das Liberale.
Papa ſelbſt würde zwar darüber lachen, — er lacht über
nichts ſo ſehr wie über Liberalismus — und doch kenne
ich keinen Menſchen, der innerlich ſo frei wäre, wie gerade
mein guter Alter. Zugeben wird er's freilich nie und
wird in dem Glauben ſterben: ‚Morgen tragen ſie einen
echten alten Junker zu Grabe‘. Das iſt er auch, aber
doch auch wieder das volle Gegenteil davon. Er hat
keine Spur von Selbſtſucht. Und dieſen ſchönen Zug
(ach, ſo ſelten), den hat auch der alte Graf. Nebenher
freilich iſt er Weltmann, und das giebt dann den Unter¬
ſchied und das Übergewicht. Er weiß — was ſie hier¬
zulande nicht wiſſen oder nicht wiſſen wollen — daß
hinterm Berge auch noch Leute wohnen. Und mitunter
noch ganz andre.“


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[149/0156] ja auch das Maß hat) dem Landvogt ſo mutig in den Zügel fällt. Ganz ſo wirkt Comteſſe Armgard! Ich möchte beinah' ſagen, es läßt ſich an ihr wahrnehmen, daß ihre Mutter eine richtige Schweizerin war. Und dazu der alte Graf! Wie ein Zwillingsbruder von Papa; derſelbe Bismarckkopf, dasſelbe humane Weſen, dieſelbe Freundlichkeit, dieſelbe gute Laune. Papa iſt aber ausgiebiger und auch wohl origineller. Vielleicht hat der verſchiedene Lebensgang dieſe Verſchiedenheiten erſt geſchaffen. Papa ſitzt nun ſeit richtigen dreißig Jahren in ſeinem Ruppiner Winkel feſt, der Graf war ebenſolange draußen! Ein Botſchaftsrat iſt eben was andres als ein Ritterſchaftsrat, und an der Themſe wächſt man ſich anders aus als am ‚Stechlin‘ — unſern Stechlin dabei natürlich in Ehren. Trotzdem die Verwandt¬ ſchaft bleibt. Und der alte Diener, den ſie Jeſerich nennen, der iſt nun ſchon ganz und gar unſer Engelke vom Kopf bis zur Zeh'. Aber was am verwandteſten iſt, das iſt doch die geſamte Hausatmoſphäre, das Liberale. Papa ſelbſt würde zwar darüber lachen, — er lacht über nichts ſo ſehr wie über Liberalismus — und doch kenne ich keinen Menſchen, der innerlich ſo frei wäre, wie gerade mein guter Alter. Zugeben wird er's freilich nie und wird in dem Glauben ſterben: ‚Morgen tragen ſie einen echten alten Junker zu Grabe‘. Das iſt er auch, aber doch auch wieder das volle Gegenteil davon. Er hat keine Spur von Selbſtſucht. Und dieſen ſchönen Zug (ach, ſo ſelten), den hat auch der alte Graf. Nebenher freilich iſt er Weltmann, und das giebt dann den Unter¬ ſchied und das Übergewicht. Er weiß — was ſie hier¬ zulande nicht wiſſen oder nicht wiſſen wollen — daß hinterm Berge auch noch Leute wohnen. Und mitunter noch ganz andre.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/156>, abgerufen am 23.11.2024.