Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894.warten. Heut ist es zu spät; wir haben (mir immer wieder ein Vorwurf) die besten Stunden verschlafen, aber morgen, morgen. Wir machen's in einem Tag und bei Sonnenuntergang sind wir wieder zurück." "Aber der Sonnenuntergang ist ja gerade das Beste." "Thorheit. Erstens ist der Mittag ebenso gut wie der Abend, und wenn es blendet, was vorkommt, so setzen wir eine blaue Brille auf. Und dann zweitens, und das ist die Hauptsache: ,das Ziel ist nichts und der Weg ist alles', ohne welche Wahrheit und Reiseweisheit die ganze Brockenreputation sich keinen Sommer lang halten könnte. Denn haben Sie schon je wen gesprochen, der vom Brocken aus 'was gesehen hätte? Ich nicht. Und ist auch nicht nötig. Worauf es ankommt, das sind die Stationen: in Hohenstein einen Wachholder, auf der steinernen Rinne was Belegtes, in Schierke zwei Seidel und auf dem Brocken zu Mittag. Aber im Freien. Und wenn es dann so fegt und bläst und man erst seinen Reisestock und dann einen Stein aufs Tischtuch legt, damit es nicht weggeblasen wird, sehen Sie, Doktor, das ist die Freude, darin steckt die Genesung. Ob Sie die Türme von Magdeburg sehn, ist gleichgültig und hat noch keinen gesund gemacht. warten. Heut ist es zu spät; wir haben (mir immer wieder ein Vorwurf) die besten Stunden verschlafen, aber morgen, morgen. Wir machen’s in einem Tag und bei Sonnenuntergang sind wir wieder zurück.“ „Aber der Sonnenuntergang ist ja gerade das Beste.“ „Thorheit. Erstens ist der Mittag ebenso gut wie der Abend, und wenn es blendet, was vorkommt, so setzen wir eine blaue Brille auf. Und dann zweitens, und das ist die Hauptsache: ‚das Ziel ist nichts und der Weg ist alles‘, ohne welche Wahrheit und Reiseweisheit die ganze Brockenreputation sich keinen Sommer lang halten könnte. Denn haben Sie schon je wen gesprochen, der vom Brocken aus ’was gesehen hätte? Ich nicht. Und ist auch nicht nötig. Worauf es ankommt, das sind die Stationen: in Hohenstein einen Wachholder, auf der steinernen Rinne was Belegtes, in Schierke zwei Seidel und auf dem Brocken zu Mittag. Aber im Freien. Und wenn es dann so fegt und bläst und man erst seinen Reisestock und dann einen Stein aufs Tischtuch legt, damit es nicht weggeblasen wird, sehen Sie, Doktor, das ist die Freude, darin steckt die Genesung. Ob Sie die Türme von Magdeburg sehn, ist gleichgültig und hat noch keinen gesund gemacht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0113" n="111"/> warten. Heut ist es zu spät; wir haben (mir immer wieder ein Vorwurf) die besten Stunden verschlafen, aber morgen, morgen. Wir machen’s in einem Tag und bei Sonnenuntergang sind wir wieder zurück.“</p><lb/> <p>„Aber der Sonnenuntergang ist ja gerade das Beste.“</p><lb/> <p>„Thorheit. Erstens ist der Mittag ebenso gut wie der Abend, und wenn es blendet, was vorkommt, so setzen wir eine blaue Brille auf. Und dann zweitens, und das ist die Hauptsache: ‚das Ziel ist nichts und der Weg ist alles‘, ohne welche Wahrheit und Reiseweisheit die ganze Brockenreputation sich keinen Sommer lang halten könnte. Denn haben Sie schon je wen gesprochen, der vom Brocken aus ’was gesehen hätte? Ich nicht. Und ist auch nicht nötig. Worauf es ankommt, das sind die Stationen: in Hohenstein einen Wachholder, auf der steinernen Rinne was Belegtes, in Schierke zwei Seidel und auf dem Brocken zu Mittag. Aber im Freien. Und wenn es dann so fegt und bläst und man erst seinen Reisestock und dann einen Stein aufs Tischtuch legt, damit es nicht weggeblasen wird, sehen Sie, Doktor, <hi rendition="#g">das</hi> ist die Freude, darin steckt die Genesung. Ob Sie die Türme von Magdeburg sehn, ist gleichgültig und hat noch keinen <choice><sic>gesnnd</sic><corr>gesund</corr></choice> gemacht. </p> </div> </body> </text> </TEI> [111/0113]
warten. Heut ist es zu spät; wir haben (mir immer wieder ein Vorwurf) die besten Stunden verschlafen, aber morgen, morgen. Wir machen’s in einem Tag und bei Sonnenuntergang sind wir wieder zurück.“
„Aber der Sonnenuntergang ist ja gerade das Beste.“
„Thorheit. Erstens ist der Mittag ebenso gut wie der Abend, und wenn es blendet, was vorkommt, so setzen wir eine blaue Brille auf. Und dann zweitens, und das ist die Hauptsache: ‚das Ziel ist nichts und der Weg ist alles‘, ohne welche Wahrheit und Reiseweisheit die ganze Brockenreputation sich keinen Sommer lang halten könnte. Denn haben Sie schon je wen gesprochen, der vom Brocken aus ’was gesehen hätte? Ich nicht. Und ist auch nicht nötig. Worauf es ankommt, das sind die Stationen: in Hohenstein einen Wachholder, auf der steinernen Rinne was Belegtes, in Schierke zwei Seidel und auf dem Brocken zu Mittag. Aber im Freien. Und wenn es dann so fegt und bläst und man erst seinen Reisestock und dann einen Stein aufs Tischtuch legt, damit es nicht weggeblasen wird, sehen Sie, Doktor, das ist die Freude, darin steckt die Genesung. Ob Sie die Türme von Magdeburg sehn, ist gleichgültig und hat noch keinen gesund gemacht.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894/113 |
Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894/113>, abgerufen am 04.07.2024. |