Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.habe solche Angst um Dich, das heißt eigentlich um "Deine Lene", sprach er, die Briefunterschrift Er lehnte sich in den Stuhl zurück und legte habe ſolche Angſt um Dich, das heißt eigentlich um „Deine Lene“, ſprach er, die Briefunterſchrift Er lehnte ſich in den Stuhl zurück und legte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0067" n="57"/> habe ſolche Angſt um Dich, das heißt eigentlich um<lb/> mich. Du verſtheeſt mich ſchon. Deine Lene.“</p><lb/> <p>„Deine Lene“, ſprach er, die Briefunterſchrift<lb/> wiederholend, noch einmal vor ſich hin und eine<lb/> Unruhe bemächtigte ſich ſeiner, weil ihm allerwider¬<lb/> ſtreitendſte Gefühle durch's Herz gingen: Liebe,<lb/> Sorge, Furcht. Dann durchlas er den Brief noch<lb/> einmal. An zwei, drei Stellen konnt' er ſich nicht<lb/> verſagen, ein Strichelchen mit dem ſilbernen Crayon<lb/> zu machen, aber nicht aus Schulmeiſterei, ſondern<lb/> aus eitel Freude. „Wie gut ſie ſchreibt! Kalli¬<lb/> graphiſch gewiß und orthographiſch beinah ... Stiehl<lb/> ſtatt Stiel ... Ja, warum nicht? Stiehl war<lb/> eigentlich ein gefürchteter Schulrath, aber, Gott ſei<lb/> Dank, ich bin keiner. Und „emphehlen“. Soll ich<lb/> wegen f und h mit ihr zürnen? Großer Gott, wer<lb/> kann „empfehlen“ richtig ſchreiben? Die ganz jungen<lb/> Comteſſen nicht immer und die ganz alten nie.<lb/> Alſo was ſchadt's! Wahrhaftig, der Brief iſt wie<lb/> Lene ſelber, gut, treu, zuverläſſig und die Fehler<lb/> machen ihn nur noch reizender.“</p><lb/> <p>Er lehnte ſich in den Stuhl zurück und legte<lb/> die Hand über Stirn und Augen: „Arme Lene,<lb/> was ſoll werden! Es wär' uns beiden beſſer ge¬<lb/> weſen, der Oſtermontag wäre dies Mal ausgefallen.<lb/> Wozu giebt es auch zwei Feiertage? Wozu Trep¬<lb/> tow und Stralau und Waſſerfahrten? Und nun<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [57/0067]
habe ſolche Angſt um Dich, das heißt eigentlich um
mich. Du verſtheeſt mich ſchon. Deine Lene.“
„Deine Lene“, ſprach er, die Briefunterſchrift
wiederholend, noch einmal vor ſich hin und eine
Unruhe bemächtigte ſich ſeiner, weil ihm allerwider¬
ſtreitendſte Gefühle durch's Herz gingen: Liebe,
Sorge, Furcht. Dann durchlas er den Brief noch
einmal. An zwei, drei Stellen konnt' er ſich nicht
verſagen, ein Strichelchen mit dem ſilbernen Crayon
zu machen, aber nicht aus Schulmeiſterei, ſondern
aus eitel Freude. „Wie gut ſie ſchreibt! Kalli¬
graphiſch gewiß und orthographiſch beinah ... Stiehl
ſtatt Stiel ... Ja, warum nicht? Stiehl war
eigentlich ein gefürchteter Schulrath, aber, Gott ſei
Dank, ich bin keiner. Und „emphehlen“. Soll ich
wegen f und h mit ihr zürnen? Großer Gott, wer
kann „empfehlen“ richtig ſchreiben? Die ganz jungen
Comteſſen nicht immer und die ganz alten nie.
Alſo was ſchadt's! Wahrhaftig, der Brief iſt wie
Lene ſelber, gut, treu, zuverläſſig und die Fehler
machen ihn nur noch reizender.“
Er lehnte ſich in den Stuhl zurück und legte
die Hand über Stirn und Augen: „Arme Lene,
was ſoll werden! Es wär' uns beiden beſſer ge¬
weſen, der Oſtermontag wäre dies Mal ausgefallen.
Wozu giebt es auch zwei Feiertage? Wozu Trep¬
tow und Stralau und Waſſerfahrten? Und nun
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